de Molina/Kaiser/Widuckel (Hrsg)Kompetenzen der Zukunft – Arbeit 2030. Als lernende Organisation wettbewerbsfähig bleiben

Haufe Verlag, Freiburg 2018, 615 Seiten, gebunden, € 49,95

ASTRIDREICHEL (SALZBURG)

Der vorliegende Sammelband versammelt – im engsten Wortsinn – eine große Zahl an AutorInnen, die jeweils aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus Beiträge zur Relevanz von Entwicklung in Organisationen leisten. Die Perspektiven decken dabei das Feld des Human Resource Management (HRM) großflächig ab, indem die AutorInnen ihre Blickwinkel als ExpertInnen für (Teilbereiche des) HRM größerer Unternehmen, als selbständige BeraterInnen für (größere) Organisationen, MitarbeiterInnen in größeren Beratungsfirmen, Coaches für Einzelpersonen oder HRM-WissenschaftlerInnen und Lehrende an tertiären Bildungseinrichtungen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen einbringen. Ebenso vielfältig wie die AutorInnen sind auch die Beiträge. Diese reichen von Beschreibungen von 596 Programmen und Instrumenten, die in Organisationen eingesetzt werden, um Kompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen zu messen oder zu entwickeln, über die Verknüpfung des Kompetenzthemas mit anderen Teilbereichen des HRM oder größeren Trends, insb der digitalen Transformation, bis hin zu einem in Dialogform wiedergegebenen Erfahrungsaustausch (Damm/Hölzl). Die Erläuterungen beziehen sich auf einzelne Unternehmen oder Befunde aus mehreren Organisationen, verwenden empirisch quantitatives Material oder bringen Schlagworte miteinander in Verbindung. Trotz dieser Vielfältigkeit weist der Sammelband eine klare Klammer über den Kapiteln auf. Es eint sie die Annahme einer sich aktuell und in Zukunft schnell und dynamisch verändernden Organisationsumwelt und der Glaube daran, dass Agilität und die Entwicklung von Kompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen dafür entscheidend sind, dass Organisationen in einem solchen Kontext erfolgreich agieren können.

Der Sammelband umfasst 36 Kapitel, die allesamt von unterschiedlichen AutorInnen(teams) verfasst wurden und einem der Bereiche Kompetenzen und Kompetenzmanagement/-modelle, Werte und Führung, digitale Transformation oder Start-ups zugeordnet sind.

Die Überschrift „Kompetenzen und Kompetenzmanage ment/-modelle“ beschreibt den Kern der unter ihr vereinten Kapitel. In diesem ersten Abschnitt des Buches stellen größtenteils Unternehmen aber auch HRM-BeraterInnen die von ihnen entwickelten und angewandten Kompetenzmodelle, Kompetenzmanagementprogramme (zB Kompetenzprogramm für SachbearbeiterInnen bei ADAC, Hanauer; integratives Kompetenzmanagement bei PSW, Keller; Integration digitaler Kompetenzen bei Trumpf, Maassen/Kohler) und -instrumente (zB Modell zur Einordnung bezüglich des Grades der agilen Transformation, Zeppenfeld/Oimann) vor und beschreiben die Relevanz von Kompetenzen für HRM-Subfunktionen (zB Performance Management, Ullah oder Recruiting, Keller/Ebinger/Schulze) neben der Personalentwicklung. Für die Einordnung von als wichtig erachteten Kompetenzen werden gängige Kategorien wie Fach-, Methoden-, personale Kompetenzen oder (auf Interviewdaten basierende) eigens entwickelte Kategorisierungen (zB kommunizieren und überzeugen, zusammenarbeiten und unterstützen, Ziele und Ergebnisse erreichen, unternehmerisch denken und handeln, analysieren und konzeptionell denken, sich selbst führen, Mitarbeiter führen, aus dem Lekkerland-Kompetenzmodell, Jerusalem/Kühn) beschrieben oder Kompetenz(klassen) (zB digitale Kompetenz, Michailowa/Röhrig) in andere Modelle (zB Business Model Innovation Process, Goldmann/Krause) integriert.

Der Abschnitt Werte und Führung knüpft unmittelbar an den ersten Abschnitt an, hat aber Führungskräfte im Fokus, wobei diese MitarbeiterInnengruppe differenziert betrachtet wird und Kompetenzanforderungen spezifisch für zB das Mittelmanagement allgemein (Widuckel), HR-ManagerInnen (Olesch) oder Aufsichtsräte (Gunnesch/Pacher/v. Preen/Jochmann) beschrieben werden. Die AutorInnen orten durchwegs einen Kontext in Bewegung, der durch die Eigenschaften Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität charakterisiert ist, und identifizieren Digitalisierung als maßgeblichen Veränderungstreiber. Als adäquate (Re)Aktion in dieser Situation (für ihr spezifisches Unternehmen) identifizieren sie zB die Kompetenz der Selbstführung (AOK, Hofmann), das Denken in Verantwortungsebenen statt in Hierarchien (DATEV eG, Bangerth/Danhof) oder transformationale Führung (Dennochweiler/Müller/Schulte-Deußen).

Auch im Abschnitt „digitale Transformation“ gehen die AutorInnen von einer solchen aus und beschreiben Kompetenzanforderungen für den Umgang mit dem digitalen Wandel oder digitalen Technologien für MitarbeiterInnen, die Organisation (dynamic capabilities, Rost/Kozica) und die betriebliche Personalentwicklung selbst (vom Kursentwickler zum Erlebnismanager, Knispel). Als Basis dafür dienen neben ihrer professionellen Erfahrung auch teilweise empirische Daten (HR-Report von IBE und Hays, Rump/Eilers; Osborne-Frey-Studie und Metastudie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Wintermann). Einige der Beiträge erläutern integrierte Ansätze (zB das Internet of People, das eine „selbstoptimierende Organisation“ verspricht [S 377], de Molina) oder Instrumente für die entsprechende Kompetenzentwicklung (Feedbacktools, Werther oder soziales Lernen, Hollmann/Kluge).

Der letzte Abschnitt widmet sich Start-Up-Unternehmen. Im deutschen Start-Up-Monitor werden diese Organisationen definiert als GründerInnenunternehmen, die jünger als zehn Jahre sind, innovative Technologien oder Geschäftsmodelle aufweisen und ein signifikantes MitarbeiterInnen- und Umsatzwachstum anstreben. Daneben werde mit Start-Ups neben hoher Motivation der GründerInnen und ersten MitarbeiterInnen ein gewisses kreatives Chaos, flache Hierarchien, direkte Kommunikation und Verschmelzen von Arbeit mit Freizeit assoziiert – Attribute, die auch in den Beiträgen als „durchwurschtele“ (Boost/v. Bittenfeld/Rödiger, S 601), „Austausch zwischen Gründer und Mitarbeiter über den Schreibtisch“ (Benkler, S 585) und dem „obligatorischen Kicker“ (Nöll, S 545) teils mit einem Augenzwinkern thematisiert werden. Die Beiträge stammen von GründerInnen, GeschäftsführerInnen oder HRM-ExpertInnen von Organisationen, die vor einigen Jahren als Start-Ups begonnen haben und es tatsächlich geschafft haben, schnell zu mittelständischen (internationalen) Unternehmen zu wachsen. Dabei zeigt sich, dass zum einen ein Mehr an Struktur (Testbirds, Benkler) und Führung (Mister Spex, Nöll) nötig wird, zum anderen wollen die Unternehmen die Kultur und die MitarbeiterInnen, die das Wachstum ermöglicht haben, nicht gänzlich aufgeben. Die Beiträge beschreiben den sich daraus ergebenden Kompetenzbedarf (vor allem Selbst- und Sozialkompetenzen) und Personalentwicklungsmaßnahmen wie zB Feedback (jambit, Mächtel/Wottschal), informelles Lernen (Seibert, Boost/Herwert/Rödinger), Learning Bites und Guru Sessions (eGym, Edl).

Das vorliegende Herausgeberwerk von de Molina/Kaiser/Widuckel gibt interessante Einblicke in unternehmerische Praxis, gepaart mit stark praxisorientierten Beiträgen aus der Wissenschaft zum großen Thema der Entwicklung von diversen MitarbeiterInnengruppen in unterschiedlichsten organisationalen Kontexten. In ihren Beiträgen verfolgen die AutorInnen aber nicht das Ziel, den Anforderungen an wissenschaftliches Arbeiten (vgl Goldstein/Hunold/Walgenbach [2018]) zu genügen. Die von persönlichen Erfahrungen geprägten 597 Inhalte hegen keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit. In Kapiteleinleitungen werden vereinzelt Vorhaben geschildert, aber keine Forschungsfragen gestellt. Der Schreibstil fällt oft sehr normativ aus und Behauptungen, insb zur Veränderungsrhetorik und wie man ihr zu begegnen habe, werden nur vereinzelt mit Datenmaterial belegt oder konsistent hergeleitet. Die Theorieorientierung entfällt fast gänzlich und nur wenige AutorInnen definieren klar die Konzepte, die hinter ihren Modellen, Programmen und Instrumenten stehen. Kritische Anmerkungen findet man wenige (Ausnahmen sind Aussagen darüber, dass Lernen auf individueller [Wagner] und organisationaler Ebene [Wintermann] doch nicht immer ganz so schnell vonstatten geht). Insb der Kompetenzbegriff wird im Zusammenhang mit Subjektivierung von Arbeit (vgl Rastetter [2006]) durchaus kontrovers diskutiert, was in diesem Werk aber nicht angeschnitten wird.

Nichtsdestotrotz ist der Sammelband „Kompetenzen der Zukunft – Arbeit 2030“ eine lohnende Lektüre. PraktikerInnen erhalten wertvolle Einblicke in die Aktivitäten anderer Unternehmen, die sie iS von Best Practice für sich nutzen können. Für Lehrende liefert das Buch interessante Fallbeispiele, die im Unterricht mit theoretischer Unterfütterung verwendet werden können und auch für wissenschaftlich Tätige ist das Buch neben den inhaltlichen Aspekten nicht zuletzt deshalb spannend, weil die versammelte AutorInnenschaft eine gute Übersicht über relevante AkteurInnen im HRM-Feld gibt und die Beiträge in ihrer Gesamtheit aufschlussreiche Einblicke in die Diskurse und Regeln der Diskurse in diesem Feld liefern.

Anm: In der Buchbesprechung verwendete Literatur: Goldstein/Hunold/Walgenbach, Wissenschaftliches Arbeiten in den Wirtschaftswissenschaften (2018); Rastetter, Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit, in Schreyögg/Conrad (Hrsg), Management von Kompetenz (2006) 16, 163-199.