Williams/HorodnicDependent Self-Employment – Theory, Practice and Policy

Edward Elgar Publishing, Cheltenham UK 2019 XII, 211 Seiten, gebunden, € 75,–

THOMASDULLINGER (WIEN)

Abhängige selbständige Erwerbstätigkeit (dazu sogleich) ist ein verbreitetes und stark wachsendes Phänomen, das in engem Zusammenhang mit prekären Arbeitsbedingungen steht und oft Randgruppen betrifft – soweit zumindest die weit verbreitete Theorie. Colin C. Williams und Ioana Alexandra Horodnic haben es sich zum Ziel gesetzt, diese weit verbreitete Ansicht für 35 europäische Staaten empirisch zu überprüfen, um dadurch die Grundlage für die weitere Beschäftigung mit diesem Phänomen und politische Entscheidungen zu schaffen. Dazu stellen sie zunächst generelle Trends in der Beschäftigung arbeitender Personen dar (S 15 ff), gefolgt von der herrschenden Darstellung der abhängigen Selbständigkeit (S 39 ff). Anschließend untersuchen sie die Verbreitung und das (vermeintliche) Wachstum dieser Beschäftigungsform (S 67 ff) und gehen der Frage nach, wer die Personen sind, die in abhängiger Beschäftigung tätig sind (S 101 ff), und welche Arbeitsbedingungen sie haben (S 118 ff). Darauf aufbauend stellen die AutorInnen Lösungsansätze dar, wie der Gesetzgeber und die Sozialpartner diesem Beschäftigungstyp begegnen können (S 142 ff) und überlegen abschließend, wie allen Personen unabhängig von der Klassifikation ihres Beschäftigungsverhältnisses annehmbare Arbeitsbedingungen garantiert werden können (S 161 ff). Die vorliegende Besprechung soll das aus der Perspektive der Public Policy verfasste Werk aus juristischer Sicht beleuchten und der Frage nachgehen, was JuristInnen – insb aus rechtspolitischer Sicht – aus den mittlerweile vorliegenden Daten ableiten können.

Sehr positiv fällt zunächst auf, dass alle im Laufe der Abhandlung gestellten Fragen eindeutig, klar und nachvollziehbar beantwortet werden. So kommen die AutorInnen bspw zu dem Ergebnis, dass Ausmaß und Anstieg der abhängigen Selbständigkeit zwar von den betrachteten Staaten und Branchen abhängen, der Anstieg insgesamt jedoch gering ist (S 99 f). Dabei ist besonders auffallend, dass die zahlenmäßige Bedeutung dieser Beschäftigungsform in jenen Staaten besonders groß ist, die nicht der EU angehören (S 76). Die Hypothese, dass vor allem Randgruppen von diesem Phänomen betroffen sind, konnte nur teilweise bestätigt werden (Personen mit finanziellen Schwierigkeiten und geringer formaler Ausbildung 102 ff). Dass überwiegend niedrig qualifizierte Tätigkeiten oder Tätigkeiten iZm Plattformen (Uber & Co) betroffen sind, widerlegen die AutorInnen (S 107 ff).

Das aus juristischer Sicht größte Problem der vorliegenden Untersuchung ist die gewählte Definition des abhängigen Selbständigen. Die AutorInnen verstehen darunter sowohl Scheinselbständige, die rechtlich als AN zu qualifizieren sind, faktisch jedoch als Selbständige behandelt werden, als auch wirtschaftlich abhängige Personen. Eine Unterscheidung sei nicht erforderlich, weil dieser Unterschied für die Ziele der Untersuchung nicht relevant sei (S 6). Bei der Definition letzterer stellen sie auf drei Aspekte ab: (1) den Umstand, dass der Beschäftigte nur einen Vertragspartner hat, (2) nicht das Recht hat, eigene MitarbeiterInnen zu beschäftigen und (3) nicht das Recht hat, wichtige Entscheidungen betreffend das Unternehmen selbst zu treffen (S 6). Problematisch ist an diesem Ansatz, dass das dritte Kriterium nicht 594 ausreichend präzisiert wird, um einen eigenständigen, praktisch anwendbaren Gehalt zu haben, und dass bereits das Erfüllen eines Kriteriums für die Annahme abhängiger Selbständigkeit ausreichen soll (S 70). Dadurch können Vorstandsmitglieder von AG abhängig sein (ein Vertragspartner, keine Möglichkeit, eigene AN einzustellen), während bspw im Falle unqualifizierter manueller Tätigkeiten eine Qualifikation als abhängiger Selbständiger uU dadurch verhindert werden kann, dass die Beschäftigten angehalten werden, für mehrere Vertragspartner zu arbeiten (gegebenenfalls im selben Konzern) und ihnen erlaubt wird, eigenes (Hilfs-) Personal einzustellen, auch wenn dies ökonomisch für den Beschäftigten vielleicht gar nicht sinnvoll ist. Als Anknüpfungspunkt für Schutzbestimmungen taugt diese Definition mE daher nur bedingt.

Aus rechtspolitischer Sicht besonders spannend ist der Abschnitt über die Arbeitsbedingungen der abhängigen Selbständigen. Untersucht wurde die Qualität der Arbeitsbedingungen der abhängigen Selbständigen im Vergleich zu jener der übrigen Beschäftigten, wobei diese in zwei von sechs Themenfeldern besser und in drei Themenfeldern schlechter sind. Einen deutlichen Unterschied gibt es nur hinsichtlich der Arbeitsintensität, bei der die abhängigen Selbständigen deutlich besser abschneiden (S 121). Dieser Befund verunsichert zunächst, wenn man bedenkt, wie viel Energie in den letzten Jahren darauf verwendet wurde auszuloten, wie die Beschäftigungsbedingungen von Scheinselbständigen und wirtschaftlich Abhängigen angesichts Kartellverbot, europäischer Grundfreiheiten und unternehmerischer Freiheit faktisch und rechtlich verbessert werden können. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass aus juristischer Sicht wesentliche Faktoren in den untersuchten sechs Bereichen nicht oder zumindest nicht unmittelbar betrachtet werden. So fehlt jede Bezugnahme auf die Entgelthöhe und auf viele mit dem Entgelt direkt oder indirekt in Verbindung stehende Ansprüche, wie etwa Anspruch auf bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung.

Spätestens bei den Handlungsmöglichkeiten beim Umgang mit abhängiger Selbständigkeit wird dann auch die bereits angesprochene Gleichstellung von Scheinselbständigkeit und wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Problem, als einige der angeführten Lösungsansätze nur im Falle der Scheinselbständigkeit greifen (zB Ausweitung der Kontrollen und strengere Sanktionen bei falscher Qualifikation, Beweislastumkehr oder Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft S 142, 146), andere nur im Falle der wirtschaftlichen Abhängigkeit (Einführung einer Zwischenkategorie S 144 f). Generell bleibt dieses Kapitel eher vage, was vermutlich den großen Unterschieden in den untersuchten Rechtsordnungen geschuldet sein dürfte.

Schließlich finden sich insb im letzten Abschnitt der vorliegenden Abhandlung Ungenauigkeiten bzw Fehler. So wird bspw für Österreich behauptet, Arbeitnehmerähnliche wären nicht arbeitslosenversichert (S 145, 166), was zumindest für Versicherte gem § 4 Abs 4 ASVG nicht stimmt (§ 1 Abs 8 AlVG), und es gäbe eine Vermutung der persönlichen Abhängigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Handelsvertreter, Pharmazeuten in Apotheken und Sportler S 146). Widersprochen werden muss auch der Annahme, es gäbe auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft verschiedene Schutzniveaus, wobei nur dem klassischen Normalarbeitsverhältnis der volle Schutz zukommen soll, davon abweichenden Formen, wie Teilzeit- oder befristeten Arbeitsverhältnissen hingegen nur eingeschränkter Schutz (S 18 ff). Spätestens seit der sekundärrechtlichen Implementierung des Verbots der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter und befristet Beschäftigter ist dies in dieser Allgemeinheit zumindest in den Staaten der EU nicht mehr zutreffend. Zwar ergeben sich in spezifischen Aspekten Unterschiede (zB eingeschränkte Möglichkeiten, eine Beendigung zu bekämpfen, wenn das Arbeitsverhältnis befristet ist), jedoch gilt dies mitunter auch für andere AN (zB leitende Angestellte oder AN in Kleinstbetrieben) und die Unterschiede zwischen den Branchen überwiegen diese Aspekte wohl bei weitem.

Insgesamt bietet das vorliegende Werk dennoch einen anschaulichen Überblick über die Diversität innerhalb der abhängigen Selbständigen, die nationalen und branchenabhängigen Unterschiede und die Bandbreite der möglichen Lösungsansätze. Aus rechtspolitischer Sicht lässt sich daraus mE ableiten, dass insb bei der Ausgestaltung des persönlichen Anwendungsbereichs allfälliger Schutzvorschriften Vorsicht geboten ist und wohl keine Einheitslösung für sämtliche abhängigen Selbständigen wünschenswert ist. Darüber hinausgehende Ableitungen erscheinen hingegen schwierig. Dafür wäre eine stärkere Differenzierung innerhalb der abhängigen Selbständigen erforderlich (nach Branchen, Qualifikationsniveau, Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit der Selbständigkeit, Entgelthöhe, usw), was sich letztlich auch bei aktuellen Untersuchungen zur Thematik Plattformarbeit zeigt, bei denen selbst diese Beschäftigtengruppe mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen noch in weitere Untergruppen aufgeteilt wird. Zudem bleibt das Werk in vielen Fällen angesichts der Vielzahl der betroffenen Rechtsordnungen zu oberflächlich und nimmt keine Rücksicht auf die rechtlichen Grenzen möglicher Gestaltungen, was einerseits dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial und andererseits den auch innerhalb der Rechtswissenschaften bestehenden Unsicherheiten geschuldet sein dürfte.