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Kündigungsentschädigung: Rückforderung irrtümlich nicht abgezogener Dienstnehmerbeiträge

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
  1. Der Umstand, dass zwischen den Parteien ein Vergleich über eine Kündigungsentschädigung abgeschlossen wurde, ändert nichts daran, dass für dieses Entgelt nach § 49 Abs 1 ASVG die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für Sozialversicherungsbeiträge gelten

  2. § 60 Abs 1 ASVG stelle eine abschließende Regelung dar; abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen besteht dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich ist, keine Verpflichtung des DN zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen (Bekräftigung von OGH 28.11.2017, 9 ObA 36/17k).

  3. Sieht ein gerichtlicher Vergleich die Leistung einer Kündigungsentschädigung „brutto“ vor und wurde in der Folge der Bruttobetrag ohne Abzüge vom DG geleistet, so ist die überhöhte Zahlung nach § 1431 ABGB rückforderbar. Dabei macht es keinen Unterschied, woraus diese Überzahlung resultiert.

Der Bekl war DN der Kl und wurde am 25.4.2014 entlassen. Er brachte daraufhin gegen die (hier) Kl eine Klage auf Zahlung von 11.326,66 € brutto an Kündigungsentschädigung, Sonderzahlung, Urlaubsersatzleistung und Feiertagszuschlägen ein. In diesem Verfahren schlossen die Parteien am 18.1.2016 den nachstehend auszugsweise wiedergegebenen Vergleich, wobei der dortige Kl im vorliegenden Verfahren Bekl, die dortige Bekl nunmehr Kl ist:

„1. Die Streitteile vereinbaren eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Kl zur bekl P zum 25.4.20142. Die bekl P verpflichtet sich, dem Kl binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleichs [...] eine Kündigungsentschädigung in Höhe von brutto 7.000 EUR zu bezahlen.3. [...]4. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Streitteile aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten verglichen, sodass keiner der Streitteile mehr Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei erheben kann.“

Nach Rechtswirksamkeit des Vergleichs überwies die (hier) Kl am 17.2.2016 7.000 € an den Vertreter des (hier) Bekl, der das Geld an den Bekl weiterleitete.

Zwischen 16.2.2016 und 28.4.2016 führte die Kl den sich aus dem Vergleichsbetrag ergebenden DN-Beitrag zur SV von 1.274 € an die Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK) ab.

Die Kl begehrt vom Bekl den Ersatz dieses Sozialversicherungsbeitrags; die Überweisung von 7.000 € ohne Abzug des Sozialversicherungsbeitrags sei irrtümlich erfolgt. Der Bekl sei daher in diesem Umfang ungerechtfertigt bereichert. [...]

Das Erstgericht gab der Kl statt. Die Zahlung sei irrtümlich geleistet worden. Der Bekl hätte wissen müssen, dass aus dem Bruttobetrag von 7.000 € keine Nettozahlung von 7.000 € resultiere. Der Anspruch sei auch nicht von der Streitbereinigungsklausel erfasst, die sich nicht auf Forderungen aus dem Vergleich beziehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Bekl gegen dieses Urteil nicht Folge. Der Vergleich trete als Neuerungsvertrag anstelle allfälliger Ansprüche des Bekl aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis, sodass § 60 ASVG nicht mehr schlagend sei. [...]

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Anwendbarkeit des § 60 ASVG im Zusammenhang mit Zahlungen aufgrund eines Vergleichs keine klare und gefestigte Judikatur bestehe. [...]

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem DN nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder das Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich gem § 11 Abs 2 ASVG die Pflichtversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gem § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der 574 Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist. Die Pflichtversicherung besteht weiter für die Zeit des Bezugs einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) sowie für die Zeit des Bezugs einer Kündigungsentschädigung.

Nach der Rsp des VwGH sind derartige Vergleichssummen als Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis iSd § 49 Abs 1 ASVG anzusehen (VwGH2000/08/0064).

Der Umstand, dass zwischen den Parteien ein Vergleich über eine Kündigungsentschädigung abgeschlossen wurde, ändert daher nichts daran, dass für dieses Entgelt nach § 49 Abs 1 ASVG die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für Sozialversicherungsbeiträge gelten.

2. Nach § 58 Abs 2 erster Satz ASVG schuldet die auf den Versicherten und den DG entfallenden Beiträge zur SV der DG. Schuldner (und nicht bloß Inkassant oder Zahlstelle) ist daher auch für den DN-Anteil zur SV der DG (vgl VwGH92/08/0090). Diese Verpflichtung des DG ist – abgesehen von gesetzlichen Ausnahmefällen – zwingendes Recht und kann durch Vereinbarung zwischen DG und DN nicht abgeändert werden (Derntl in Sonntag, ASVG § 58 Rz 15).

Dementsprechend hat die Kl, indem sie die DN-Anteile zur SV hinsichtlich des Vergleichsbetrags abgeführt hat, eine eigene Schuld beglichen.

3. § 60 ASVG regelt, inwieweit der DG die von ihm abgeführten Beiträge vom DN einbehalten kann. In der E 9 ObA 36/17k hat der OGH ausdrücklich die bisherige Rsp bestätigt, dass § 60 Abs 1 ASVG eine abschließende Regelung darstellt und abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich ist, keine Verpflichtung des DN zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen besteht.

4. Zu prüfen ist daher, ob die Tatsache, dass über den vom DG zu zahlenden Betrag zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen wurde, zu einer anderen Beurteilung führen kann.

Die Regelung [Ergänzung des Rezensenten: des § 539 ASVG], nach der Vereinbarungen zwischen AG und AN keine Wirkung gegenüber dem Sozialversicherungsträger haben, bedeutet zunächst nicht, dass damit nicht das Verhältnis zwischen AG und AN (in den Grenzen zwingenden Rechts) durch Vereinbarung gestaltet werden kann.

In der E 9 ObA 119/11g bejahte der OGH bereits einen Rückforderungsanspruch des AG für von ihm bezahlte DN-Beiträge zur SV aus einem Vergleich. Er verwies dabei auf die Judikatur, durch die der Umfang und die Bedeutung von § 60 Abs 1 ASVG bei Nachzahlungen – mögen diese auch im Rahmen von Vergleichen erfolgen – eingeschränkt worden sei (9 ObA 222/93, 3 Ob 15/96 und 8 ObA 63/01z). Darüber hinaus sei im konkreten Fall dem AG aufgrund der komplexen Berechnung des DN-Anteils kein Verschulden an der verspäteten Zahlung der Versicherungsbeiträge zur Last zu legen.

Ein Vergleich ist nach § 1380 ABGB ein Neuerungsvertrag bestimmter Art. Dessen ungeachtet ist die Rechtsnatur des Vergleichs dennoch umstritten. Die überwiegende Rsp billigt dem Vergleich zwar nicht jedenfalls, aber doch dann Novationswirkung zu, wenn er die ursprüngliche Obligation – als Ergebnis der Auslegung des Parteiwillens – durch eine Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands des Anspruchs ersetzt, sodass ein Rückgriff auf das seinerzeitige Schuldverhältnis nicht mehr möglich ist (7 Ob 165/00smwN). Ein Neuerungsvertrag liegt ua dann vor, wenn streitige oder zweifelhafte Rechte unter gegenseitigem Nachgeben neu festgelegt werden (RS0032600 [T3]).

Im konkreten Fall sollten durch den Vergleich die sich aus der – nach der (von der Kl bestrittenen) Behauptung des Bekl – ungerechtfertigten Entlassung ergebenden Ansprüche erledigt werden. Vereinbart wurde, dass die Kl 7.000 € brutto bezahlt. Das konnte von einem objektiven Erklärungsempfänger nur dahingehend verstanden werden, dass die Kl die mit dieser Zahlung verbundenen Gebühren und Abgaben trägt, sie weiters berechtigt ist, diese vom Vergleichsbetrag abzuziehen und dem Bekl nur der sich daraus ergebende Nettobetrag zukommen soll. Durch die Zahlung eines höheren als des Nettobetrags hat die Kl daher mehr an den Bekl geleistet, als sie aufgrund des Vergleichs an ihn zu zahlen verpflichtet war. Dabei kann es keinen Unterschied machen, woraus diese Überzahlung resultiert. Der Rückforderungsanspruch der Kl ergibt sich damit letztlich nicht daraus, dass der DN-Beitrag zur SV gegenverrechnet wird, sondern eine irrtümlich überhöhte Auszahlung des verglichenen Betrags erfolgt ist. Hätten die Parteien von vornherein die Auszahlung eines konkreten Nettobetrags vereinbart, würde ebenfalls kein Zweifel bestehen, dass eine überhöhte Zahlung nach § 1431 ABGB rückforderbar ist.

Soweit die Revision darauf verweist, dass bei einer solchen Auslegung AN schlecht beraten wären, einen Vergleich abzuschließen und nicht auf ein Urteil zu bestehen, übergeht sie, dass kein Zweifel daran besteht, dass nach dem Vergleich dem AN jedenfalls nur der Nettobetrag zukommen sollte, die höhere Auszahlung auf einen Irrtum des AG beruht. Hätte die Kl nicht geirrt, wäre dem Kl auch nur der Nettobetrag zugekommen.

5. [...]

6. [...]

7. Dass ein Rückzahlungsanspruch aufgrund gutgläubigen Verbrauchs zu entfallen hätte, wird in der Revision nicht mehr aufrecht erhalten. [...]

ANMERKUNG
1.
Das Problem

Die Anwendbarkeit des § 1431 im Arbeitsverhältnis ist in Lehre und Rsp nicht strittig. Da die §§ 1432 (Verjährung bzw wissentliche Leistung von nicht geschuldetem) und 1433 (Einschränkung zugunsten Pflegebefohlener) vorliegendenfalls nicht in Betracht kommen, lagen theoretisch alle Voraussetzungen für die Anwendung des § 1431 ABGB vor und man müsste darüber kein Wort mehr verlieren, wäre da nicht § 60 Abs 1 ASVG, dessen Zusammenspiel 575 mit § 1431 ABGB nach wie vor Rätsel aufzugeben scheint. Während das Erstgericht – der kurzen Wiedergabe seiner Entscheidungsgründe in der Begründung des OGH folgend – schnörkellos und ohne Weiteres von einem begründeten Anspruch nach § 1431 ABGB ausgegangen sein dürfte, leugnete das Berufungsgericht ausdrücklich die Anwendbarkeit des § 60 Abs 1 ASVG mit der Begründung, der Vergleich trete „als Neuerungsvertrag anstelle allfälliger Ansprüche des Beklagten aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis, sodass § 60 Abs 1 ASVG nicht mehr schlagend sei“.

Der OGH sah diesen Punkt offenbar zunächst anders, zumal er in einem ersten Begründungsschritt die Beitragspflicht der verglichenen Kündigungsentschädigung nachweist und daraus die grundsätzliche Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (wohl auch des § 60 Abs 1 ASVG) ableitet. Der OGH bekräftigt sodann die in 9 ObA 36/17k vom 28.11.2017vertretene Auffassung, dass es sich bei § 60 Abs 1 ASVG um eine abschließende Regelung handle; abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen bestehe dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich sei, keine Verpflichtung des DN zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen.

Dieses Ergebnis schien dem OGH – wie auch den Vorinstanzen – offenbar als so unbefriedigend, dass nach einem Ausweg gesucht wurde: Der OGH kommt auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Novationsfrage zurück. Warum, ist rätselhaft: Wenn in einem gerichtlichen Vergleich ausdrücklich ein Bruttobetrag als Kündigungsentschädigung aus der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verglichen wird, dann sehe ich weit und breit keine Novationswirkungen, die der Anwendung des Beitragsrechts des ASVG entgegenstehen könnten, auch wenn der Vergleich nach § 1380 ABGB „ein Neuerungsvertrag bestimmter Art“ mit umstrittener Rechtsnatur ist.

Aber der OGH will auf etwas ganz anderes hinaus: Die Bruttovereinbarung im Vergleich habe von einem objektiven Erklärungsempfänger nur dahingehend verstanden werden können, dass die Kl berechtigt sei, die „Gebühren und Abgaben“ vom Vergleichsbetrag abzuziehen und dem Bekl nur der sich daraus ergebende Nettobetrag zukommen solle. Durch die Zahlung eines höheren als des Nettobetrags habe die Kl daher mehr an den Bekl geleistet, als sie aufgrund des Vergleichs an ihn zu zahlen verpflichtet war. Dabei könne es keinen Unterschied machen, woraus diese Überzahlung resultiere. Das Recht zur Rückforderung der DN-Beiträge durch den DG bejaht der OGH somit – an § 60 Abs 1 ASVG vorbei – kraft der im Vergleich geschlossenen Vereinbarung. Der DN sei aufgrund dieser Vereinbarung (arg: „brutto“) nicht gutgläubig und der Weg des Anspruchs nach § 1431 ABGB daher eröffnet.

Im Verhältnis zur Einleitung des OGH ist das ein deutlicher Begründungsknick. Um der Vereinbarung Wirksamkeit gegenüber § 60 Abs 1 ASVG zu verleihen, wischt der OGH – in einem Satz – § 539 ASVG weg: Er unterstellt, dass Vereinbarungen zwischen DG und DN bloß keine Wirkung gegenüber dem Sozialversicherungsträger hätten. Damit bietet die Entscheidung eine Reihe von Angriffsflächen, was aber – wie zu zeigen ist – für das Ergebnis keine Rolle spielt.

2.
Bereicherung und Rückforderung im Arbeitsrecht

Der versehentliche Nichtabzug von DN-Anteilen in der SV führt unter der Voraussetzung der erfolgten Beitragsentrichtung des DG an den Sozialversicherungsträger beim DN zu einer Bereicherung in dem Ausmaß, um den der Auszahlungsbetrag den geschuldeten Nettobetrag übersteigt. Die Überzahlung eines Lohnbestandteils kann auch im Arbeitsrecht nach § 1431 ABGB zurückgefordert werden, wenn der DN nicht iSd Jud 33 mit Erfolg gutgläubigen Empfang und Verbrauch einwenden kann (vgl Wachter, Zur Nichtrückforderbarkeit irrtümlich bezahlten Arbeitsentgelts bei gutgläubigem Verbrauch, in FS Strasser [1983] 147 [149] mwN sowie 171 ff; Lang/Weber in Kozak [Hrsg], ABGB und Arbeitsrecht §§ 1431-1433 Rz 6 mwN; Löschnigg, Arbeitsrecht13 6/254 mit Judikaturhinweis in FN 386; OGH9 ObA 53/05t SZ 2005/110; OGH14 ObA 86/87 Arb 10.639 = SZ 60/136; OGH4 Ob 108/81 SZ 54/147 = ZAS 1983, 101 [Geppert] = Arb 10.057 = DRdA 1983, 178 [Wachter] – versehentliche Doppelüberweisung).

Dieser grundsätzlich bestehende Anspruch des DG nach § 1431 ABGB wird aber für die Erstattung von DN-Anteilen zur Pflichtversicherung nach dem ASVG durch § 60 Abs 1 ASVG zumindest insoweit eingeschränkt, als diese Bestimmung einerseits dem DG ein Abzugsrecht einräumt, bei dessen versehentlicher Nichtausübung aber nur in einem sehr engen Rahmen die „Reparatur“ zulässt. Um die Tragweite des § 60 Abs 1 ASVG beurteilen zu können, empfiehlt es sich – wie oft im Sozialversicherungsrecht – die Entstehungsgeschichte der Norm näher anzusehen.

3.
Die Entwicklung des Abzugsrechts

Schon in den ersten Sozialversicherungsgesetzen (§ 22 UnfallversicherungsG 1888, § 36 KrankenversicherungsG 1888, § 30 BruderladenG 1889) wurde dem DG Abzugsrecht für jene Beiträge, welche zwar von ihm zu entrichten, aber von den DN wirtschaftlich zu tragen waren, eingeräumt, und zwar bei sonstigem Erlöschen des Rechts (vgl dazu Menzel, Arbeiterversicherung [1895] 144 ff). Ein entsprechendes Abzugsrecht räumte dem DG in der Folge auch § 116 erster Satz Angestelltenversicherungsgesetz (AngVersG) 1927 ein. Die 2. Novelle zum AngVersG milderte die Präklusion jedoch für den Fall, dass den DG kein Verschulden an der verspäteten Beitragsentrichtung trifft; es wurde eingefügt: „es sei denn, dass die nachträgliche Entrichtung ... vom DG nicht verschuldet ist“. Für diesen Fall schränkt das Gesetz die Rückforderung aber auf einen monatlichen Ratenabzug von nicht mehr als jeweils einen Beitrag ein. Als 576 typischen Anwendungsfall nennen die Kommentatoren Spann/Rudolph/Kerber (Das Angestelltenversicherungsgesetz idF seiner II. Novelle [1929] 556), dass dann, wenn erst im Instanzenzug (bzw erst vom VwGH) die Versicherungspflicht festgestellt werde und der DG die Beiträge auf einmal nachzahlen müsse, er den auf den DN entfallenden Teil „nur nach und nach hereinbringen“ könne. Eine gleichartige Regelung enthielt in der Folge auch § 89 GSVG 1935/1938, allerdings mit der Maßgabe, dass an die Stelle der einmonatigen Frist der Satz getreten ist, dass die Nachholung des Abzugsrechts „bei sonstigem Erlöschen spätestens bei der nächsten auf die Fälligkeit des Beitrages folgenden Lohn(Gehalts)zahlung ausgeübt werden darf“.

§ 60 Abs 1 ASVG entspricht der Formulierung des § 89 GSVG 1935/1938 bzw des § 116 AngVersG 1927 idF der 2. Novelle, dies mit der Maßgabe, dass es statt „bei sonstigem Erlöschen“ nunmehr „bei sonstigem Verlust“ heißt.

Der kurze historische Überblick zeigt, dass der Gesetzgeber des Jahres 1888 noch in einer sehr rigiden Art und Weise die Beitragslast hinsichtlich der DN-Beiträge bei Abzugsfehlern des DG auf den DG verschoben und die alternative Anwendung zivilrechtlicher Hilfsmittel (konsequenterweise) gänzlich ausgeschlossen hat. Spätestens seit der 2. Novelle zum AngVersG 1927 ist der Gesetzgeber von diesem rigiden Programm aber abgerückt: Er hat dem am Nichtabzug schuldlosen DG, insb in der Konstellation, dass der Nichtabzug die Folge einer nicht verschuldeten Entgeltminderung war, auch gegen den gutgläubigen DN den Ersatz der DN-Beiträge gewährt, wenngleich er die Rückzahlung im Falle des Abzugs vom laufenden Arbeitslohn auf einen Monatsbeitrag pro Monatsentgelt beschränkt hat.

Seit einer E des OGH aus 1987 (14 ObA 502/87 SZ 60/114 = JBl 1987, 739 = RdW 1988, 21 = Arb 10.646) wird aus dem in den §§ 60 und 61 geregelten Modell der Beitragsentrichtung (Beitragsnachentrichtung) zutreffend die Absicht des Gesetzgebers abgeleitet, im Falle einer vom DG unverschuldeten Beitragsnachentrichtung keine Änderung der Beitragslast und der Beitragsschuldnerschaft zulasten des DG herbeizuführen, sondern vielmehr nur das Abzugsrecht derart zu regeln, dass der DN durch die notwendig gewordene Beitragsnachentrichtung auf einmal nicht allzu sehr belastet wird (zur weiteren Entwicklung dieser Rsp vgl Runggaldier, DRdA 1994, 393 [E-Bespr]).

Die Lehre und Rsp hat hingegen bis 1993 beim fahrlässig handelnden DG (ganz in der Rigidität, die wir in den ersten Sozialversicherungsgesetzen angetroffen haben) einen Verlust des Abzugsrechts sogar für den Fall angenommen, dass beitragspflichtiges Entgelt (zB aufgrund eines Gerichtsurteils) vom DG zeitlich verspätet nachgezahlt werden musste (zB OGH4 Ob 29/67 Arb 8418 = ZAS 1968/14 [Dittrich]; vgl Stifter, Übergenuß im öffentlich-rechtlichen und im vertraglichen Dienstverhältnis,

[343]).

Mit Beschluss vom 24.11.1993 ging der OGH von dieser strengen Rsp ab (OGH9 ObA 222/93

[krit Pöltner] sowie 390 [zust Runggaldier]). Anknüpfend an 14 ObA 502/87(SZ 60/114 = JBl 1987, 739 = RdW 1988, 21 = Arb 10.646) begründet dies der OGH damit, dass das Abzugsverbot den Zweck habe, den DN, der sein Entgelt gutgläubig verbraucht, davor zu schützen, laufend mit nachträglichen Abzügen übermäßig belastet zu werden. Werde hingegen zugleich mit der Nachzahlung der Abzug der darauf entfallenden Beiträge vorgenommen, so komme es zu keiner derartigen Belastung laufender Entgelte (ebenso zwischen periodenkongruenten und nicht periodenkongruenten Abzügen differenzierend OGH3 Ob 15/96 SZ 70/132).

Für den Fall, dass in der Vergangenheit von einem Auftraggeber Honorar beitragsfrei an einen Scheinselbständigen abzugsfrei ausbezahlt wurde, aber nach Aufdeckung des beitragspflichtigen Dienstverhältnisses von diesem Auftraggeber als DG Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden müssen, hat der OGH aber – wieder ausgerichtet am Zweck des § 60 ASVG – weiterhin am Untergang des Abzugsrechts, aber auch jedes anderen Regressrechts gegenüber dem DN festgehalten (OGH9 ObA 36/17kDRdA 2018/26 [Julcher] = ZAS 2018/50 [Pfalz]). Diese Rsp führte mittlerweile zur Neuregelung der Beitragsverrechnung zwischen Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), nunmehr: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) und GKK (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse [ÖGK] bei nachträglicher Umqualifizierung einer GSVG- in eine ASVG-Versicherung (vgl dazu R. Müller, Das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz – Mehr Rechtssicherheit? ASoK-Spezial 2018, 8).

4.
§ 539 ASVG und Vereinbarungen zwischen DG und DN

Vereinbarungen, wonach die Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum Nachteil der Versicherten (ihrer Angehörigen) im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind gem § 539 ASVG ohne rechtliche Wirkung. Es bleibt dunkel, woher der OGH die Meinung nimmt, dies gelte bloß gegenüber dem Sozialversicherungsträger, wenn das Gesetz doch schlechthin die „Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum Nachteil der Versicherten“ ausschließt, ohne eine solche Einschränkung zu machen (vgl dazu unter Hinweis auf die dies bestätigende Entstehungsgeschichte R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm §§ 539, 539a Rz 7).

Aber selbst dann, wenn man § 539 ASVG außer Acht lässt, müsste man sich fragen, ob § 60 Abs 1 ASVG zwischen den Vertragsparteien des Arbeitsvertrages vertraglich abbedungen werden kann; die bisherige Lehre und Rsp spricht eher für das Gegenteil. Der OGH bleibt aber auch die Begründung dafür schuldig, aus welchem Grund einem gerichtlichen Vergleich betreffend eine Kündigungsentschädigung insoweit weiterreichende Wirkungen zukommen sollen als einer sonstigen vertraglichen Vereinbarung. Die „novierende Wirkung“ kann es angesichts des eindeutigen, einen Entgeltanspruch iSd § 49 ASVG beschreibenden 577 Wortlautes des Vergleichs wohl nicht sein. Auch ein sonstiger Grund für die Rechtsauffassung des OGH ist nicht zu finden. Die Annahme der Nichtanwendbarkeit des § 539 ASVG scheint daher verfehlt zu sein.

5.
Verhältnis des § 60 Abs 1 ASVG zu § 1431 ABGB

§ 60 Abs 1 ASVG und Vorläuferbestimmungen räumen dem DG ein Abzugsrecht von laufendem Arbeitslohn unabhängig davon ein, ob er die Beiträge an den Krankenversicherungsträger bereits abgeführt hat oder nicht. Es genügt, dass der DG zu dieser Abfuhr verpflichtet ist.

Insoweit geht die Norm über mögliche Anspruchsgrundlagen im Zivilrecht hinaus. Umgekehrt lässt das Gesetz den Anspruch des DG auf Abzug bzw Ersatz der DN-Beiträge bei Verschulden des DG erlöschen (arg: „bei sonstigem Verlust“), obwohl der DN typischerweise nicht gutgläubig ist, sofern die Versäumung des Abzugs nicht bei der nächstfolgenden Entgeltzahlung nachgeholt wird. Dieser Anspruchsverlust tritt für den DG (nur) dann nicht ein, wenn die nachträgliche Entrichtung der vollen Beiträge oder eines Teils davon vom DG nicht verschuldet ist; diesfalls wird die Hereinbringung beim DN durch Lohnabzug aber auf Monatsraten beschränkt, die einen Monatsbeitrag nicht überschreiten dürfen. Wenn es zutrifft – wie der OGH meint –, dass § 60 Abs 1 ASVG mit diesem System eine abschließende Regelung intendiert, dann werden im Falle eines versehentlichen Nichtabzugs der DN-Anteile beim Regress am DN die Weichen zwischen Anspruchsverlust und grundsätzlicher Anspruchserhaltung je nach dem gestellt, ob ein Verschulden des DG vorliegt oder nicht. Die Verschuldensfrage blieb in der vorliegenden E allerdings unbeantwortet.

Das deutlich ausgedrückte Unbehagen der drei Gerichtsinstanzen, den Anspruch an der abschließenden Regelung des § 60 Abs 1 ASVG scheitern zu lassen, bestand nicht zu Unrecht:

Denn träfe den DG am Nichtabzug ein Verschulden, so fehlte für die Anwendung des Verlusttatbestandes des § 60 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz ASVG immer noch die Versäumung auch der „zweiten Chance“, dh die Versäumung auch der Abzugsmöglichkeit bei der nächstfolgenden Entgeltzahlung. Träfe den DG hingegen kein Verschulden, so räumt ihm § 60 Abs 1 zweiter Satz, zweiter Halbsatz und dritter Satz ASVG sogar den Erhalt des Anspruchs unabhängig davon ein, ob der DN gutgläubig ist oder nicht, beschränkt ihn aber bei laufendem Entgelt auf Ratenabzug. Es wäre im letztgenannten Fall wohl ein unsachliches Ergebnis, wenn der schuldlose DG seinen noch offenen Rückforderungsanspruch nur wegen Wegfalls der Entgeltzahlungen und damit der Möglichkeit des Ratenabzuges (womöglich infolge Kündigung des Dienstverhältnisses durch den DN) wieder verlieren sollte.

Zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses bietet sich daher im Falle der Schuldlosigkeit des DG eine Auslegung an, nach welcher bei anfänglicher oder nachträglicher Unmöglichkeit des ratenweisen Abzugs vom Arbeitsentgelt iSd § 60 Abs 1 dritter Satz ASVG einer Anwendung des § 1431 ABGB nichts im Wege steht (aA, weil die Rückforderbarkeit mit Hilfe zivilrechtlicher Rechtsgrundlagen neben § 60 Abs 1 ASVG anscheinend prinzipiell ablehnend, Auer-Mayer, Ein genialer Plan? – Sozialversicherungsrechtliche Fehlbeurteilung von Erwerbstätigkeiten und ihre Folgen, DRdA 2015, 550  ff [557], wobei allerdings nur die §§ 1042 und 1358 ABGB in den Blick genommen werden). Eine solche Rückforderung könnte wegen Judikat 33 neu – wie jede andere Rückforderung von zu viel bezahltem Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis – nur an der Gutgläubigkeit des DN bei Empfang und Verbrauch des abzugsfreien Entgelts scheitern.

Kehren wir zu unserem Sachverhalt zurück: Stimmt man mit der jüngeren Lehre und Rsp darin überein, dass das Abzugsverbot des § 60 Abs 1 ASVG den Zweck hat, den DN, der sein Entgelt gutgläubig verbraucht, davor zu schützen, mit nachträglichen Abzügen übermäßig belastet zu werden, denn wäre bei Fehlen der im Gesetz vorausgesetzten „zweiten Abzugschance“ (also bei Fehlen eines wesentlichen Tatbestandsmerkmals) die unmittelbare Anwendung des § 60 Abs 1 zweiter Satz ASVG nicht möglich. Eine sinngemäße (oder auch analoge) Anwendung dieses Verlusttatbestandes trotz Fehlens einer Tatbestandsvoraussetzung wäre aber dann überschießend, wenn – wie hier – von einem gutgläubigen Empfang und Verbrauch beim DN keine Rede sein kann. Wenn aber der Schutz vor nachträglichen laufenden Abzügen ins Leere ginge und es überdies auch nicht des Schutzes des guten Glaubens des DN bedarf, dann verfehlte die Sanktion des gänzlichen Anspruchsverlustes ihren Zweck. Eine solche Sanktion wäre in einer solchen Konstellation – angesichts der nach dem Gesetz grundsätzlich gleichen Lastenverteilung der Sozialversicherungsbeiträge in der KV und PV zwischen DG und DN – unverhältnismäßig. Es steht daher in einem Fall wie dem hier vorliegenden mE der Begründungsweg offen, dass der Gesetzgeber diesen Fall in § 60 Abs 1 ASVG nicht geregelt hat und einer analogen Anwendung der Rechtsfolge des § 60 Abs 1 zweiter Satz ASVG der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Eigentumsgrundrechts entgegensteht: Damit wäre auch in diesem Fall der Weg frei für eine Anwendung des § 1431 ABGB.

6.
Ergebnis

Anders als bei der Beitragsnachzahlung nach Aufdeckung von Scheinselbständigkeit erhielt hier der DN die (irrtümlich ungeschmälerte) Nachzahlung an Kündigungsentschädigung in positiver Kenntnis (allenfalls fahrlässiger Unkenntnis) des Bestehens einer Beitragspflicht. § 1431 ABGB kann in diesem von § 60 Abs 1 ASVG nicht erfassten Fall angewendet werden, und zwar unabhängig davon, ob die Nachzahlung auf Vergleich, Urteil oder außergerichtlicher Vereinbarung beruht. Es ist in einem solchen Fall – wie der OGH zurecht ausführt – für die Anwendung des § 1431 ABGB gleichgültig, worin der rückzufordernde Überbezug seine Ursache hat. 578 Ich vermag daher der vorliegenden E nur im Ergebnis, aber in nahezu keinem Teil ihrer tragenden Begründung zuzustimmen. Es bleibt zu hoffen, dass die Fehlinterpretation des § 539 ASVG und demgemäß auch der Vergleichswirkungen im Verhältnis zu § 60 Abs 1 ASVG nicht weitere Kreise in der Judikatur zieht. Es gibt – wie gezeigt – auch dogmatisch unbedenkliche Wege, um zu dem allein als sachgerecht empfundenen Ergebnis zu kommen.