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Bei fehlender Selbstbestimmungsmöglichkeit: Fahrzeit Wohnort – Kunde ist Arbeitszeit

GERDAHEILEGGER (WIEN)
  1. Die Zeit, die ein AN braucht, um den Weg von seinem Wohnort zur Arbeitsstätte zurückzulegen, ist grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen. Maßgeblich ist, dass der AN über die Verwendung seiner Zeit noch bzw wieder selbst entscheiden kann.

  2. Die Zeit, in der ein Kundendiensttechniker die Strecke vom Wohnort zum ersten Kunden bzw vom letzten Kunden zum Wohnort zurücklegt, ist hingegen als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen, wenn die AN Firmenfahrzeuge zu verwenden haben, ihnen die Route vorgegeben ist und sie die kürzeste Strecke zu fahren haben, weshalb sie nicht eigenen Interessen, wie zB einer nicht auf dem Heimweg liegenden Freizeitaktivität, nachgehen können. Lage und Dauer der Fahrten sowie die Möglichkeit, die Fahrten in nicht vorgegebenem Ausmaß zu unterbrechen, sind dabei keine ausschlaggebenden Kriterien. Maßgeblich ist die fehlende Selbstbestimmungsmöglichkeit der AN über die Verwendung dieser Zeiten.

  3. Soweit die Reisetätigkeit zum ständigen Aufgabenkreis eines AN gehört, wie bei einem Monteur, der zur Durchführung von Servicearbeiten von Kundschaft zu Kundschaft fährt, ist die Reisezeit auch stets „Arbeitszeit im engeren Sinn“.

Die Bekl beschäftigt österreichweit ua rund 190 im Außendienst tätige Kundendiensttechniker. Auf deren Arbeitsverhältnisse ist der KollV für Angestellte des Metallgewerbes anzuwenden.

Hauptaufgabengebiet der Kundendiensttechniker ist die Inbetriebnahme, Wartung und Reparatur von Heizgeräten bei Kunden. Sie verrichten die ihnen übertragenen Aufgaben in den ihnen jeweils zugewiesenen Einsatzgebieten und fahren täglich von ihrem Wohnort aus mit einem von der Bekl überlassenen Firmenfahrzeug, das die erforderlichen Arbeitsmaterialien und Werkzeuge enthält, zu den Kunden und vom letzten Kunden wieder zurück zu ihrem Wohnort. Die Bestückung der von den Kundendiensttechnikern verwendeten Firmenfahrzeuge mit Arbeitsmaterial und Ersatzteilen erfolgt jeweils in der Nacht durch Kooperationspartner der Bekl, denen der Standort der Firmenfahrzeuge während der Nacht bekannt ist, die die regelmäßig im unmittelbaren Umfeld des Wohnortes der Kundendiensttechniker abgestellten Fahrzeuge mit einem Zweitschlüssel öffnen können und die erforderlichen Materialien und Ersatzteile einladen.

Den Kundendiensttechnikern werden die am jeweiligen Arbeitstag zu erledigenden Termine bei Kunden in der Früh vor Beginn des Arbeitseinsatzes von der Bekl elektronisch bereitgestellt.332

Die Zeit der Anfahrt der Kundendiensttechniker zum ersten Kunden sowie die Zeit der Rückfahrt vom letzten Kunden zum Wohnort des Kundendiensttechnikers werden miteinander verglichen, die jeweils längere (richtig: kürzere) Wegzeit wird zwar nicht als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 AZG gewertet, dennoch aber als solche bis auf einen „Selbstbehalt“ von 30 Minuten vergütet.

Es werden Aufzeichnungen geführt, aus welchen auch Fahrtunterbrechungen erkennbar sind. Überprüfungen erfolgen nicht systematisch, sondern nur dann, wenn Kundenreklamationen wegen zu hoher Verrechnung von Fahrzeiten vorliegen.

Die Kundendiensttechniker haben den direkten Weg vom Wohnort zum Kunden und vom Kunden nach Hause zu wählen. Am Weg liegende private Tätigkeiten, wie etwa das Bringen und Abholen von Kindern zu oder von Schule oder Kindergarten, dürfen durchgeführt werden. Wenn dafür eine Fahrtunterbrechung von über 15 Minuten erfolgt, wird dies nicht bezahlt.

Der Kl, Angestelltenbetriebsrat der Bekl, begehrt iSd § 54 Abs 1 erster Satz ASGG die Feststellung, dass die Anfahrt der Kundendiensttechniker von der Wohnung zum ersten Kunden sowie die Rückfahrt vom letzten Kunden zur Wohnung Arbeitszeit gemäß AZG darstellten und als solche ungekürzt zu vergüten seien. [...]

Das Erstgericht gab der Klage statt. [...]

Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung [...] keine Folge. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Fahrzeiten zwischen Wohnort und erstem/letztem Kunden als Arbeitszeit iSd AZG

1.1. Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 AZG ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen.

Es entspricht Lehre und Rsp, dass die Arbeitszeit beginnt, sobald der AN in Entsprechung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung seine Arbeit aufnimmt oder dem AG zur Aufnahme der Arbeit zur Verfügung steht (zB 8 ObA 61/13y; 9 ObA 29/18g; vgl auch RIS-Justiz RS0051370; Pfeil in ZellKomm3 § 2 AZG Rz 2; Grillberger in Grillberger, AZG3 § 2 Rz 3; Schrank, Arbeitszeit4 § 2 Rz 6; Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 1). Die Verfügbarkeit des AG über die Arbeitskraft des AN innerhalb eines bestimmten Zeitraums, unabhängig von einem bestimmten Arbeitserfolg, ist dem Arbeitsvertrag auch wesensimmanent (vgl RIS-Justiz RS0021494; RS0021284; 9 ObA 29/18g).

1.2. Arbeits- bzw Dienstwege und Dienstreisezeiten sind als über Auftrag und im Interesse des AG erfolgende Erfüllung der Arbeitspflicht danach grundsätzlich Arbeit und damit Arbeitszeit (Schrank, Arbeitszeit4 § 2 Rz 7), weil die Selbstbestimmungsmöglichkeit des AN über die Verwendung dieser Zeiten ausgeschlossen ist (Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 4; s auch VwGH90/19/0293, 91/19/0329). Soweit die Reisetätigkeit zum ständigen Aufgabenkreis eines AN gehört, wie etwa bei einem Monteur, der zur Durchführung von Servicearbeiten von Kundschaft zu Kundschaft fährt, ist die Reisezeit daher auch stets „Arbeitszeit im engeren Sinn“ (RIS-Justiz RS0051347; RS0029300; 9 ObA 47/11v [Fahrt einer Raumpflegerin zwischen zwei Objekten]).

1.3. Dagegen ist die Zeit, die der DN braucht, um den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzulegen, grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen, weil sie vor Dienstbeginn oder nach Dienstende liegt (RIS-Justiz RS0051331). Maßgeblich ist, dass der AN über die Verwendung seiner Zeit noch bzw wieder selbst entscheiden kann (zB Pfeil in ZellKomm3 § 2 Rz 4; Grillberger in Grillberger, AZG3 § 2 Rz 4). [...]

1.4. Diese Beurteilung ist letztlich auf die Erwägung zurückzuführen, dass Wegzeiten vom und zum Wohnort vor dem Beginn bzw nach dem Ende der Arbeit liegen, wenn und weil ein AN dem AG dann nicht mehr vereinbarungsgemäß zur Arbeitsleistung zur Verfügung steht, sondern über die Verwendung seiner Zeit, wie dargelegt, wieder autonom verfügungsbefugt ist. Das trifft hier aber nicht zu:

Im vorliegenden Fall gehört es zu den Dienstpflichten der Kundendiensttechniker, dass sie den Weg von ihrem Wohnort zum Arbeitseinsatz beim ersten Kunden und den Weg zum Wohnort zurück nicht mit einem beliebig wählbaren Verkehrsmittel, sondern mit dem Firmenfahrzeug zurückzulegen haben. Dies steht im Zusammenhang mit der Betriebsorganisation der Bekl, die erforderlichen Arbeitsmaterialien und Werkzeuge nicht an einem fixen Standort, sondern in der Nacht an den jeweiligen Standorten der Fahrzeuge mobil von Kooperationspartnern bestücken zu lassen. Ein Kundendiensttechniker hat danach bereits ab seinem Wohnort für die konkreten Kundeneinsätze hergerichtete Betriebsmittel des AG zu verwenden. Weiter ist ihm vorgegeben, dass er den kürzesten Weg zum Kunden bzw zum Wohnort zu wählen hat und nur am Weg liegende außerberufliche Tätigkeiten durchgeführt werden dürfen (was bei einer Unterbrechung von mehr als 15 Minuten zum Entfall des Entgelts führt). Dagegen ist es ihm verwehrt, vor oder nach der Arbeit einer nicht auf dem kürzesten Weg liegenden privaten (Freizeit-) Tätigkeit nachzugehen, wie dies jedem anderen AN mit fixem Arbeitsplatz möglich wäre. Über die Fahrten werden auch Aufzeichnungen geführt, aus denen Unterbrechungen erkennbar sind und die auch punktuell der Kontrolle unterliegen. Da einem Kundendiensttechniker erst in der Früh elektronisch bekannt gegeben wird, wo der erste Kunde ist, ist er unter Umständen auch in der Möglichkeit der Wahl eines anderen Nächtigungsorts (zB Wochenendhaus) eingeschränkt. Eine solche Anordnung impliziert damit, dass die Vertragsparteien diese Zeit des AN grundsätzlich der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit durch den AG unterstellt haben. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem der E 9 ObA 148/11x zugrundeliegenden Sachverhalt, weil jenem Kl, wenngleich er ebenso ein Firmenfahrzeug benützte, für die Hin- und Rückwege keine zeitlichen und örtlichen Vorgaben gemacht wurden. Das Argument der Bekl, dass der Kundendiensttechniker durch die Wahl des Wohnorts eine Verlängerung der Arbeitszeit bewirken könne, überzeugt inso-333fern nicht, als sich die Fahrzeit nach dem Standort des jeweils ersten und letzten Kunden richtet, der sich dem Einfluss des AN entzieht und ständig wechselt. Zudem wäre der Kundendiensttechniker selbst dann in der Wahl des Verkehrsmittels und der Wegstrecke nicht frei.

Die Zeit, die der Kundendiensttechniker vom Wohnort zum ersten Kunden bzw vom letzten Kunden zum Wohnort fährt, ist daher nach Lage des Falls schon nach nationalem Recht als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen.

2. Diese Beurteilung steht auch im Einklang mit der Definition der Arbeitszeit nach Art 2 Z 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (idF: RL 2003/88/EG) und ihrer Auslegung durch den EuGH.

2.1. Nach dieser Bestimmung ist „Arbeitszeit“ jede Zeitspanne, während der ein AN gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem AG zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt. Dieser Begriff ist im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen, da beide Begriffe einander ausschließen (Urteile EuGHC-151/02, Jaeger, Rn 48; C-14/04, Dellas ua, Rn 42; C-266/14, Tyco, Rn 25 ua). „Ruhezeit“ ist nach Art 2 Z 2 RL 2003/88/EG jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Die RL sieht auch keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor (EuGHC-266/14, Tyco, Rn 26). [...]

2.3. Inhaltlich war in der Rs C-266/14, Tyco, zu beurteilen, ob Fahrzeiten von AN ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort, die – dort nach Schließung eines Regionalbüros – für die täglichen Fahrten zwischen Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten vom AG bestimmten Kunden aufzuwenden waren, als „Arbeitszeit“ iSd Art 2 Z 1 RL zu qualifizieren waren. Dies wurde vom EuGH bejaht:

Das Erfordernis, dass der AN seine Tätigkeit auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen hat (erster Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“), wurde darin verwirklicht gesehen, dass die Fahrten von AN zu den Kunden das notwendige Mittel zur Erbringung der technischen Leistungen bei den Kunden waren und Tyco die Fahrzeit zwischen den Regionalbüros und dem ersten bzw letzten Kunden schon vor deren Schließung als Arbeitszeit betrachtet hatte. Nach Schließung der Regionalbüros hatte sich nur der Ausgangspunkt der Fahrten geändert (Rn 32 f). Für das Erfordernis, dass der AN während der Arbeitszeit dem AG zur Verfügung stehen muss (zweiter Bestandteil), ist der Umstand entscheidend, dass der AN verpflichtet ist, sich an einem vom AG bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (Rn 35 f), während es dafür spricht, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit iSd RL ist, wenn die AN ohne größere Zwänge über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen können (Rn 37). Ersteres wurde vom EuGH bejaht, weil Tyco die Liste und Reihenfolge der Kunden sowie die Uhrzeit der Kundentermine festlegte. Zwar verfügten die AN über eine gewisse Freiheit, weil sie während der Fahrzeit nicht verpflichtet waren, das Telefon angeschaltet zu lassen. Auch stand ihnen die Festlegung der von ihnen gewünschten Route frei, sodass sie ihre Fahrzeit so organisieren konnten, wie sie wollten. Der EuGH ging aber davon aus, dass die AN während der Fahrzeiten den Anweisungen von Tyco unterlagen und nicht die Möglichkeit hatten, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen. Zum dritten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“, wonach der AN während der betrachteten Zeitspanne „arbeiten“ muss, wurde festgestellt, dass bei einem AN, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, auch davon auszugehen ist, dass er während der Fahrt arbeitet. Die Fahrten gehören untrennbar zum Wesen eines AN, der keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort hat, sodass der Arbeitsort solcher AN nicht auf die Orte beschränkt werden kann, an denen sie bei den Kunden ihres AG physisch tätig werden (Rn 43). Da jenen AN die Möglichkeit genommen worden war, die Entfernung zwischen ihrem Wohnort und dem gewöhnlichen Ort des Beginns und des Endes ihrer Arbeit frei zu bestimmen, konnte ihnen nicht auferlegt werden, die Folgen der Entscheidung ihres AG, diese Büros zu schließen, zu tragen (Rn 44).

2.4. Die Vorinstanzen haben den vorliegenden Sachverhalt dem der E Tyco zugrunde liegenden Sachverhalt als hinreichend vergleichbar angesehen. Ergänzend zu ihren Erwägungen ist hervorzuheben, dass die AN im vorliegenden Fall nicht nur die Firmenfahrzeuge zu verwenden, sondern auch die kürzeste Strecke zu fahren hatten. Die ihnen eingeräumte Möglichkeit, die Fahrten von und zum Wohnort zu privaten Zwecken in nicht vorgegebenem Ausmaß zu unterbrechen, ändert nichts daran, dass sie – insofern enger als im Fall der Rs Tyco – auf den Fahrten nicht frei über die Route bestimmen durften und damit auch nicht ihren eigenen Interessen, wie zB einer nicht auf dem Heimweg liegenden Freizeitaktivität, nachgehen konnten. Dass die AN in der Rs Tyco auf den Fahrten telefonisch nicht erreichbar sein mussten, beeinträchtigte die Beurteilung ihrer Fahrzeiten als Arbeitszeit nicht. Insofern kann es aber auch im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, ob die AN während der Fahrzeiten – was nicht feststeht – für die Bekl durchgehend erreichbar sein mussten und Anweisungen entgegen zu nehmen hatten oder nicht. Die Lage und die Dauer der Fahrten als solche waren in der Rs Tyco kein ausschlaggebendes Kriterium, sie können es daher auch hier nicht sein. Soweit einem von der Schließung der Regionalbüros betroffenen AN dadurch die Möglichkeit genommen wurde, seine Wohnsitznahme am Arbeitsort auszurichten, unterscheidet ihn dies nicht von einem Außendienstmitarbeiter, der von vornherein keinen festen Arbeitsort hat. [...]

2.6. Entgegen der Ansicht der Bekl haftet der Beurteilung auch keine Gleichheitswidrigkeit im Verhältnis zu AN mit festem Arbeitsort an, weil letzteren vom AG in der Regel keine Vorgaben gemacht werden, wann, wie und auf welchem334 Weg oder Umweg sie sich dorthin zu begeben haben und darüber auch keine Aufzeichnungen zu Kontrollzwecken geführt werden. Der Arbeitsweg unterliegt idR vielmehr der Eigenbestimmung eines AN (s 9 ObA 47/11v). [...]

2.8. Zusammenfassend liegen keine ausreichend markanten Unterschiede zwischen dem Sachverhalt in der Rs Tyco und dem des vorliegenden Falls vor, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, der von der Bekl angeregten Einholung einer weiteren Vorabentscheidung durch den EuGH nachzukommen. Die fraglichen Fahrzeiten sind danach als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 AZG anzusehen.

ANMERKUNG

Vor über drei Jahren befasste sich der EuGH (10.9.2015, C-266/14, Tyco, DRdA 2016/34) erstmals mit der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Fahrtzeit von AußendienstmitarbeiterInnen von ihrem Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zu ihrem Wohnort.

Nunmehr hatte der OGH im vorliegenden Fall mit sehr ähnlichem Sachverhalt dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden. Erfreulicherweise kommen trotz Heranziehung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen (AZG und Arbeitszeit-RL) beide Gerichte an Hand derselben Wertungen zum gleichen Ergebnis.

1.
Die Wegzeit im österreichischen Recht und EU-Recht

Für die Wegzeit finden sich weder im AZG noch in der EU-Arbeitszeit-RL Legaldefinitionen. Der Begriff wurde von Rsp und Literatur geformt und bezeichnet die Zeit, die ein AN für den Weg vom Wohnort (oder sonstigem privaten Aufenthaltsort) zur Arbeitsstätte und umgekehrt von der Arbeitsstätte wieder zurück zum Wohnort benötigt. Grundsätzlich zählt die Wegzeit zur Privatsphäre des AN, da er diesbezüglich an keine Weisungen gebunden ist – er kann Ausgangspunkt, Route, Verkehrsmittel, zeitliche Dauer, Zwischenstopps, Umwege etc frei wählen. Insb haben AN auch die Möglichkeit, ihren Wohnort unter Bedachtnahme auf ihren Arbeitsort zu wählen. Die Wegzeit zählt auf Grund all dieser Freiheiten grundsätzlich zur Freizeit.

Dieser Grundsatz führt allerdings zu unbilligen Ergebnissen, wenn der Arbeitsort sehr weit definiert und damit vergleichsweise unbestimmt ist (zB mehrere Bundesländer umfasst) und der konkrete Einsatzort ständig wechselt – oft kurzfristig und ohne dass die AN darauf Einfluss nehmen könnten. Die Weisungsbefugnis des AG erstreckt sich in solchen Fällen gewissermaßen bis in die Privatsphäre des AN hinein, indem sie Einfluss auf die Wegzeiten nimmt.

2.
Die EU-Arbeitszeit-RL und der Fall Tyco

Gem Art 2 Z 1 der europäischen Arbeitszeit-RL 2003/88/EG handelt es sich bei Arbeitszeit um jene Zeitspanne, während der ein AN gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem AG zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Ruhezeit ist jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Die beiden Begriffe schließen einander aus, es gibt keine Zwischenkategorie zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit und sie sind autonom auszulegen, um eine einheitliche Anwendung in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen.

Deshalb legte die Audiencia nacional (das spanische Gericht) den Rechtsstreit Tyco dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Zur Zuspitzung war es in diesem Fall gekommen, weil der AG die Regionalbüros geschlossen hatte, in denen die AN bis dahin mit der Abholung der Firmenfahrzeuge ihren Arbeitstag begonnen und mit der Rückstellung wieder beendetet hatten. Nunmehr sollten die AN (TechnikerInnen, die zwecks Installation und Wartung von Alarmanlagen mit Firmenfahrzeugen zu Kunden unterwegs waren), direkt von ihrem Wohnort zum Kunden fahren und nach dem letzten Kunden wieder zurück, ohne einen Zwischenstopp in den Regionalbüros einzulegen. Über eine Anwendung am Mobiltelefon erhielten sie am Vorabend eine Liste der Kundentermine mit Ort und Uhrzeit und hatten ihrerseits dem AG die durchgeführten Einsätze zu übermitteln. Die AN waren nicht verpflichtet, die Mobiltelefone während der Fahrt eingeschaltet zu lassen, und durften – anders als im jetzt dem OGH vorliegenden Fall – die Fahrtroute selbst bestimmen.

Dennoch ging der EuGH davon aus, dass die AN während der Fahrzeiten den Anweisungen von Tycounterlagen und nicht die Möglichkeit hatten, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen. Somit kam der EuGH im Ergebnis zu dem Schluss, dass die Fahrtzeit vom Wohnort zum ersten Kunden bzw vom letzten Kunden zum Wohnort von AN, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben, Arbeitszeit iSd Art 2 Z 1 RL 2003/88/EG darstellt. Diese Fahrten sind das notwendige Mittel, damit diese AN bei den Kunden ihre Leistungen erbringen können und gehören somit untrennbar zum Wesen ihrer Arbeitstätigkeit.

3.
Selbstbestimmungsmöglichkeit ist entscheidend

Nunmehr kam mit der vorliegenden E ein dem Fall Tyco sehr ähnlicher Sachverhalt vor den OGH.

Die HeizungstechnikerInnen starten von ihrem Wohnort aus direkt zum ersten Kunden, der ihnen erst in der Früh vor Beginn des Arbeitseinsatzes elektronisch mitgeteilt wird. Ebenso wenig Einfluss haben die AN auf die Auswahl des letzten Kunden, von dem aus sie direkt wieder nach Hause fahren. Sie haben den direkten Weg zu nehmen, dürfen keine Umwege (etwa für private Besorgungen) machen und Unterbrechungen von mehr als 15 Minuten werden nicht bezahlt.

Der OGH kommt hier schon auf Basis des nationalen Rechts zu demselben Ergebnis wie der EuGH, nämlich, dass die Wegzeiten im konkreten Fall zur335 Arbeitszeit zu zählen sind – und zwar auf Grund der fehlenden Selbstbestimmungsmöglichkeit des AN. Durch die zeitlichen und örtlichen Vorgaben sind die AN über die Verwendung dieser Zeiten nicht mehr autonom verfügungsbefugt. Diese Beurteilung steht in harmonischem Einklang mit der Definition der Arbeitszeit nach Art 2 Z 1 der Arbeitszeit-RL und ihrer Auslegung durch den EuGH.

4.
Abgeltung von Wegzeiten, die zur Arbeitszeit zählen

Sowohl EuGH wie auch OGH haben sich nicht näher zum Entgelt für als Arbeitszeit zu wertende Wegzeiten geäußert – der EuGH mangels Regelungskompetenz der RL 2003/88/EG in Entgeltfragen, der OGH mangels Klagsgegenständlichkeit (es wurde nur die zeitliche Klarstellung begehrt, dass sämtliche Wegzeiten als Arbeitszeit zu werten sind, nicht aber die Entlohnung derselben).

Die Frage ist, ob für solche Wegzeiten einzel- oder kollektivvertraglich ein geringeres Entgelt vereinbart werden darf. Diesbezüglich interessant sind die Ausführungen des Berufungsgerichts. Dieses erwog eine Kategorisierung als aktive Reisezeiten iSd § 20b, für die nach hRsp eine geringere Entlohnung vereinbart werden darf, wenn das Lenken des Fahrzeugs eine deutlich geringwertigere Tätigkeit als die eigentliche Haupttätigkeit des AN darstellt. Das Berufungsgericht verneinte dies aber letztlich, weil es die Fahrtätigkeit nicht als deutlich geringwertiger ansah. ME scheitert die Qualifikation als Reisezeit schon an der Definition der Reisezeit, weil die AußendienstmitarbeiterInnen im Allgemeinen ihren – weit definierten – Dienstort nicht verlassen werden. Vor allem aber ergibt sich die Unzulässigkeit einer geringeren Entlohnung schon daraus, dass die Reisetätigkeit solcher AußendienstmitarbeiterInnen zu ihrem ständigen Aufgabenkreis gehört und daher als „Arbeitszeit im engeren Sinne“ zu sehen und damit auch als vollwertige Arbeitszeit zu entlohnen ist.

Dem entsprach im konkreten Fall der KollV für Angestellte im Metallgewerbe, der in seinem § 10 Abs 6 Angestellte mit ständiger Reisetätigkeit aus der gesondert geregelten Entlohnung von Reisezeiten ausnimmt. Damit sind die Wegzeiten entgeltrechtlich nicht anders zu behandeln als die unstrittig zur Arbeitszeit ieS zählenden Fahrtzeiten von Kundentermin zu Kundentermin.

5.
Verallgemeinerbares Prinzip

Das in der Rsp von EuGH und OGH entwickelte System der Berücksichtigung der Selbstbestimmungsmöglichkeit der AN bei der Qualifikation von Zeiten als Arbeitszeit oder Freizeit ist verallgemeinerbar und wird auch in anderen Fallkonstellationen verstärkt anzuwenden sein, um zu stimmigen Ergebnissen zu kommen.

Es untermauert beispielsweise die Auffassung, dass im Fall von Einsätzen bei Rufbereitschaft bereits die Wegzeit zum Arbeitsort zur Arbeitszeit zählt. Denn wenn der AN, der durch die Rufbereitschaft ohnedies schon in der Wahl seines Aufenthaltsortes eingeschränkt ist, innerhalb kurzer Zeit ohne Umschweife zu seinem Arbeitsplatz zu kommen hat, verfügt er mit Sicherheit nicht über die erforderlichen Gestaltungsmöglichkeiten, um diese Wegzeit seiner Freizeit zuzurechnen.