Belling„Vorübergehende“ Leiharbeit – Die Deutung eines unbestimmten Rechtsbegriffs am Beispiel kirchlicher Einrichtungen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2018, 263 Seiten, € 89,90

FELIXSCHÖRGHOFER (WIEN)

Das Buch ist die Publikationsfassung einer Dissertation, die an der Universität Potsdam verfasst wurde. Die Arbeit behandelt eine der zentralen Fragen der Leiharbeit: die Beschränkung der Überlassungsdauer. Der Autor beginnt seine Untersuchung mit der Darstellung der Grundlagen der Leiharbeit. Dabei beschränkt er sich nicht auf juristische Fragen, sondern geht auch auf die arbeitsmarktpolitische Relevanz und die soziale Bedeutung der Leiharbeit ein. Für österreichische LeserInnen sticht in diesem Abschnitt des Buchs besonders die Darstellung der historischen Entwicklung des deutschen Überlassungsrechts hervor. Diese Entwicklung weist im Hinblick auf die Beschränkung der Höchstdauer der Überlassung interessante Unterschiede zum österreichischen Recht auf:

Der deutsche Gesetzgeber erkannte die Regulierung der zulässigen Höchstdauer früh als wichtige Aufgabe. Die ursprünglich im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (dAÜG) gesetzlich vorgesehene Höchstdauer von drei Monaten wurde allerdings ab den 1980er-Jahren schrittweise auf bis zu 24 Monate angehoben. Diese Liberalisierung gipfelte 2002 in der gänzlichen Aufhebung der Beschränkung der Überlassungsdauer auf Grundlage einer Empfehlung der Hartz-Kommission. Erst im Zuge der Umsetzung der Leiharbeits-RL (2008/104/EG) erfolgte 2011 neuerlich eine Regulierung der Höchstdauer der Leiharbeit. Im dAÜG wurde dazu zunächst nur – wie in der RL selbst – festgehalten, dass die Überlassung „vorübergehend“ erfolgt. Das BAG hat daraus abgeleitet, dass dauerhafte Überlassungen unzulässig sind (BAG 10.7.2013, 7 ABR 91/11). 2017 wurde im dAÜG schließlich wieder eine konkrete Höchstdauer von 18 Monaten eingeführt.

In Österreich war im AÜG nie eine ausdrückliche Beschränkung der zulässigen Dauer der Überlassung vorgesehen, obwohl schon in den wissenschaftlichen Vorarbeiten zum AÜG die Einführung einer Höchstdauer empfohlen wurde (mwN Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung [2015] 21). Der OGH qualifizierte 2003 zwar eine langjährige Überlassung als „atypisch“ und leitete daraus einen Anspruch der betroffenen AN ab, der über den Wortlaut des AÜG hinaus geht (OGH 3.12.2003, 9 ObA 113/03p). Die E blieb allerdings ein Einzelfall, der Ansatz wurde in der Rsp nicht weiterverfolgt. Anders als in Deutschland wurde auch die Umsetzung der Leiharbeits-RL in Österreich nicht zum Anlass genommen, die Überlassungsdauer zu beschränken. Stattdessen wurde die Zulässigkeit langjähriger Überlassungen bei der Umsetzung sogar implizit als rechtlich zulässig anerkannt, indem in § 10 Abs 1a AÜG die Einbeziehung überlassener AN in Betriebspensionsmodelle von BeschäftigerInnen nach einer Überlassungsdauer von vier Jahren (!) geregelt wurde. Zuletzt hat der OGH außerdem die Zulässigkeit des sogenannten „Payrolling“ bejaht (OGH 29.5.2018, 8 ObA 51/17h), einer Gestaltungsform der Arbeitskräfteüberlassung, die oft in Verbindung mit einer längeren Überlassungsdauer steht.

In Deutschland und Österreich sind also in den letzten Jahren gegenläufige Entwicklungen zu beobachten. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Leiharbeits-RL für beide Länder grundsätzlich dieselben Vorgaben enthält. Politisch wurde die Höchstüberlassungsdauer in Österreich – nach subjektiver Wahrnehmung – nicht so intensiv diskutiert wie in Deutschland. Ein wesentlicher Grund dafür wird in der flächendeckenden tariflichen Regelung der gewerblichen Überlassung in Österreich liegen, die das Problem teilweise entschärft.

Nach der Darstellung der Grundlagen unterfällt das Buch in zwei große Kapitel. Zunächst setzt sich der Autor mit einem besonderen Anwendungsbereich der Leiharbeit auseinander, dem kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland. Er geht dazu ua auf den Anwendungsbereich der Leiharbeits-RL ein, also insb auf die Frage, wann eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ (Art 1 Abs 2 Leiharbeits-RL) vorliegt. Die im Schrifttum vertretene Meinung, Organisationen mit ideeller Zielsetzung würden allgemein nicht in den Anwendungsbereich der Leiharbeits-RL fallen, lehnt der Autor ab. Er untersucht außerdem ausführlich, ob aus dem deutschen kirchlichen Arbeitsrecht Einschränkungen der Leiharbeit folgen, insb aus dem Leitbild der sogenannten „Dienstgemeinschaft“ bei kirchlichen AG. Die Auffassung deutscher (kirchlicher) Gerichtshöfe, die zulässige Überlassungsdauer bei kirchlichen EntleiherInnen müsse zum Schutz dieser Dienstgemeinschaft allgemein auf zwei Jahre beschränkt werden, lehnt der Autor ab.

Das zweite große Kapitel des Buches ist insb der Frage gewidmet, welche Bedeutung das Wort „vorübergehend“ in der Leiharbeits-RL hat. Nach einer Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur und der Rsp entscheidet sich der Autor für die Auffassung, dass die Leiharbeits-RL die vorübergehende Überlassung als einzig zulässige Gestaltung der Leiharbeit regelt. Die Leiharbeits-RL enthalte daher ein Verbot382 der dauerhaften Überlassung. Dieses Ergebnis wird ua mit teleologischen und systematischen Argumenten begründet. Die dauerhafte Überlassung widerspreche auch dem „Normalfall“ einer dauerhaften Beschäftigung bei einem einzigen AG, von dem der Richtliniengeber ausgegangen sei. Der Autor berücksichtigt auch primärrechtliche Vorgaben und wägt sorgfältig das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen (Art 31 GRC) mit der unternehmerischen Freiheit (Art 16 GRC) ab.

Der Autor bejaht einen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Sanktion gegen dauerhafte Überlassungen. Bei der Frage, wann eine Überlassung „vorübergehend“ ist, wird eine weite Auslegung vertreten. Auch mehrjährige Überlassungen könnten noch vorübergehend sein, solange die Beteiligten bei Vertragsabschluss nicht davon ausgehen, dass die Überlassung „endgültigen Charakter“ habe. Nicht vorübergehend sei allerdings eine Überlassung, die sachfremden oder willkürlichen Zwecken dient. In diesem Sinne „rechtsmissbräuchlich“ sei eine Überlassung, durch die Stammarbeitsplätze ersetzt werden sollen oder durch die Kündigungsbestimmungen umgangen werden sollen.

Abschließend nimmt der Autor zur Novelle des dAÜG aus dem Jahr 2017 Stellung, mit der wieder eine Überlassungshöchstdauer von idR 18 Monaten eingefügt worden ist. Der Autor spricht sich eindeutig gegen eine starre Höchstgrenze aus. Diese schränke die unternehmerische Freiheit unverhältnismäßig ein und sei daher auch mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Im Ergebnis wird daher ein – relativ unbestimmtes – Verbot nicht „vorübergehender“ Überlassungen einer starren Zeitgrenze vorgezogen. Jedenfalls rechtspolitisch kann diese Meinung nicht uneingeschränkt geteilt werden. In der Rechtsanwendung bereitet ein ungenaues Verbot mit einem höchst auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff Probleme, insb wenn es dabei auf die Absichten der Beteiligten ankommen soll. Diese subjektiven Absichten werden gerade für überlassene AN schwer feststellbar bzw nachzuweisen sein, die erfolgreiche Geltendmachung ihrer Ansprüche wäre aber davon abhängig. Darüber hinaus besteht bei einer unklaren Grenze das Risiko, dass sie vorsichtige Unternehmen benachteiligt.

Der EuGH hat eine Stellungnahme zu der Frage, ob die Leiharbeits-RL die dauerhafte Überlassung verbietet, bislang vermieden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er diese Frage irgendwann beantworten muss. Sollte er sie bejahen, wofür gute Gründe sprechen, wie das vorliegende Buch überzeugend belegt (vgl auch Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung 80 ff), wird man sich in Österreich wieder mit der Beschränkung der Überlassungsdauer auseinandersetzen müssen.