Felten/Trost (Hrsg)Arbeitszeitrecht neu – Eine wissenschaftliche Analyse

Verlag des ÖGB, Wien 2018, 260 Seiten, kartoniert, € 29,90

JOSEFCERNY (WIEN/SALZBURG)

Trotz heftiger Proteste und einer Großdemonstration gegen die Verlängerung der Höchstarbeitszeit hat der Nationalrat am 5.7.2018 mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und NEOS eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) beschlossen und entgegen der ursprünglichen Absicht nicht erst mit Jahresbeginn 2019, sondern bereits mit 1.9.2018 in Kraft gesetzt. Mit der Vorverlegung des Inkrafttretens sollte offenbar zu erwartenden weiteren Protesten der Wind aus den Segeln genommen werden.

Da ein Begutachtungsverfahren im Vorfeld der parlamentarischen Beschlussfassung nicht stattgefunden hatte und der Inhalt der Novelle bis zur Veröffentlichung im BGBl weitgehend im Dunkeln geblieben war, ergab sich für die praktische Anwendung, aber auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den neuen Bestimmungen die Notwendigkeit einer schnellen und kurzfristigen Aufarbeitung.

Einem AutorInnenteam des Instituts für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz ist es gelungen, diese schwierige Aufgabe in kurzer Zeit zu bewältigen und mit Elias Felten und Barbara Trost als HerausgeberInnen einen Sammelband zu erstellen, in dem die Neuregelung einer gründlichen wissenschaftlichen Analyse unterzogen wird.

Das AutorInnenteam hat sich zum Ziel gesetzt „den eigentlichen Inhalt der Novelle zu entschlüsseln, um die Neuregelung für die Praxis zugänglich und anwendbar zu machen“. Schon diese Formulierung lässt Rückschlüsse auf die mangelhafte Qualität der Gesetzesänderung zu, die „mehr offene Fragen als Lösungen“ enthält.

In insgesamt acht Beiträgen werden einzelne Themen wissenschaftlich untersucht und die wichtigsten Ergebnisse jeweils am Ende jedes Beitrags zusammengefasst. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und eine Übersicht über die wichtigsten Rechtsquellen mit einer Textgegenüberstellung von „altem“ und „neuem“ Recht komplettieren den Sammelband.

Im ersten Beitrag behandeln Mathy und Trost „Die neuen Ausnahmen vom Geltungsbereich des AZG im Lichte des Unionsrechts“. Nach einer gründlichen Analyse der Neuregelung und der europarechtlichen Vorgaben kommen sie ua zu dem Schluss, dass die durch die AZG-Novelle geschaffene Rechtslage hinsichtlich der Ausnahmen von Familienangehörigen und leitenden Angestellten vom gesetzlichen Arbeitszeitschutz unionsrechtswidrig ist und insoweit ein Umsetzungsdefizit vorliegt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Rsp des EuGH spreche viel dafür, dass auch die in Art 31 Abs 2 der Grundrechtecharta normierten Rechte auf „eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit“ sowie auf „tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ zwischen Privaten unmittelbare Wirkung entfalten. Infolge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts haben die §§ 1 Abs 2 Z 7 und 8 AZG-NEU dann unangewendet zu bleiben.

Im zweiten Beitrag untersucht Mathy die Ausweitung der Ausnahmen vom Geltungsbereich der „Vertragsrechtlichen Bestimmungen“. Wichtige Ergebnisse sind ua:378

– Das Fehlen einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung der Lage der Arbeitszeit kann nicht automatisch so verstanden werden, dass die Parteien dem AG diesbezüglich ein Weisungsrecht einräumen wollten.

– In Bezug auf das Benachteiligungsverbot wegen Teilzeitbeschäftigung weisen die Ausnahmebestimmungen des § 19 Abs 3 Z 3 und 5 AZG-NEU einen überschießenden Gesetzeswortlaut auf. Dieser ist entsprechend dem gesetzgeberischen Willen und der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation teleologisch zu reduzieren.

Felten widmet seine Beiträge den für die Praxis besonders relevanten Fragen nach den Auswirkungen der AZG-Neuregelung auf bestehende Gleitzeitvereinbarungen und Fragen der Überstundenarbeit vor dem Hintergrund der AZG-Novelle 2018. Seine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse enthält ua folgende Aussagen:

– Eine Verlängerung der täglichen Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden bei Gleitzeit ist nur dann zulässig, wenn das vereinbart ist und Zeitguthaben wie im Gesetz vorgesehen verbraucht werden können. Beides ist nicht möglich, wenn der AN zur Einhaltung einer täglichen Kernarbeitszeit verpflichtet ist.

– Bei Gleitzeit-Betriebsvereinbarungen, die keine ausdrückliche Regelung über die tägliche Normalarbeitszeit enthalten, aber die höchstzulässige Tagesarbeitszeit ausdrücklich mit zehn Stunden limitieren, kommt es aufgrund der Novellierung des § 4 Abs 4 AZG zu keiner automatischen Ausdehnung der Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden.

– Gem § 4b Abs 5 AZG ist davon auszugehen, dass jede Arbeitsleistung, die eine Überschreitung der täglichen oder wöchentlichen Normalarbeitszeitgrenze bewirkt und nicht auf Eigeninitiative des AN erbracht wurde, als „angeordnete Arbeitsstunde“ und damit als Überstunde zu qualifizieren ist.

Zu der ebenfalls für die Praxis besonders relevanten Frage, welche Auswirkungen die Ausdehnung der Überstundenarbeit auf bestehende All-in-Vereinbarungen hat, vertritt Felten die Meinung, dass sich bei solchen Vereinbarungen, die vor dem Inkrafttreten der Neureglung abgeschlossen wurden und die Regelung enthalten, dass sich der AN dazu verpflichtet, Arbeitsleistungen bis zum maximalen Ausmaß von zehn Stunden pro Tag und fünfzig Stunden in der Woche zu erbringen, durch die AZG-Novelle nichts ändert. Wurde hingegen vereinbart, dass sich der AN verpflichtet, für das Pauschalentgelt Arbeitsleistungen bis zum „gesetzlich zulässigen Ausmaß“ zu erbringen, müssten getrennte „Überstundentöpfe“ geführt werden, die nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Überstunde differenzieren. Überstunden, die aufgrund der Überschreitung der zehnten Stunde pro Tag bzw der 50. Stunde pro Woche angefallen sind, müssen zusätzlich zur Überstundenpauschale bzw dem All-in-Entgelt abgegolten werden (Näheres bei Felten, 128).

Ein weiterer Beitrag von Mathy und Trost beschäftigt sich mit den Rechtsfolgen der Aufhebung des § 7 Abs 4 AZG durch die AZG-Novelle 2018. Die VerfasserInnen kommen zum Ergebnis, dass die auf der Grundlage von § 7 Abs 4 AZG abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen nicht mit dem Inkrafttreten der Novelle erloschen sind, sondern als fakultative Betriebsvereinbarungen weiter gelten.

Von besonderem Interesse sind die Ausführungen von Mathy und Trost zu der in der politischen Diskussion um die AZG-Novelle heftig diskutierten Frage eines gesetzlichen Ablehnungsrechts bei Überstunden, die über die Tagesarbeitszeit von zehn Stunden oder die Wochenarbeitszeit von 50 Stunden hinausgehen, und eines Benachteiligungsverbots und Kündigungsschutzes bei Mehrarbeitsverweigerung. Nach einer überaus gründlichen und sorgfältigen Analyse der Rechtslage kommen die AutorInnen zu dem Schluss, dass dem Ablehnungsrecht nach § 7 Abs 6 Satz 1 AZG-NEU konstitutive Bedeutung zukommt. Es berechtigt den AN, die Leistung von Überstunden über die angeführten Grenzen hinaus trotz einer etwaigen vertraglichen Verpflichtung grundlos zu verweigern. Sowohl das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs 6 Satz 2 als auch der individuelle Kündigungsschutz des § 7 Abs 6 Satz 3 AZG-NEU beziehen sich auf die Ausschlagung eines Angebots zur Überstundenleistung über die zehnte Arbeitsstunde pro Tag bzw die 50. pro Woche hinaus als auch auf die Leistungsverweigerung nach § 7 Abs 6 Satz 1 im Einzelfall. Der individuelle Kündigungsschutz nach § 7 Abs 6 Satz 3 AZG-NEU kommt neben dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ArbVG zur Anwendung. Obwohl das Gesetz darüber nichts aussagt, können auch Entlassungen, die wegen der Ausübung des Ablehnungsrechts des § 7 Abs 6 Satz 1 AZGNEU ausgesprochen werden, angefochten werden.

Auf das in der politischen Debatte vorgebrachte Argument, dass in der Realität des Arbeitslebens der wirtschaftlich abhängige AN es kaum wagen wird, das Ablehnungsrecht nach § 7 Abs 6 AZG-NEU tatsächlich auszuüben, wird in dem Beitrag von Mathy/Trost nicht eingegangen – offenbar wegen der (selbst auferlegten) Beschränkung auf Fragen der Rechtsdogmatik (dazu unten).

Ein weiterer Beitrag von Felten über die Sonderruhezeitenregelung der AZG-Novelle 2018 und die Frage eines Spannungsverhältnisses mit dem Unionsrecht sowie einer von Geist, betreffend Ausnahme von der Wochenend- und Feiertagsruhe bei vorübergehend auftretendem besonderen Arbeitsbedarf, runden den Sammelband ab.

Die hier nur selektiv und sehr verkürzt wiedergegebene Darstellung der wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Analyse lässt die Kompliziertheit der gesamten Materie erahnen.

Sämtliche Beiträge in dem Sammelband zeichnen sich durch hohe wissenschaftliche Qualität und Sorgfalt aus. In Anbetracht des Zeitdrucks, unter dem diese Publikation entstanden ist, bedarf das einer besonderen Hervorhebung.

In mancher Hinsicht dürften sich die AutorInnen allerdings die Latte selbst ein wenig zu hoch gelegt und Erwartungen geweckt haben, die nicht erfüllt werden können.

Das trifft schon auf den Buchtitel „Arbeitszeitrecht neu“ zu, der erwarten lässt, dass hier ein Buch vorliegt, das eine gesetzliche Neuordnung eines Teilgebiets des Arbeitsrechts kommentiert. In Wirklichkeit geht es aber lediglich um eine – wenn auch relativ umfangreiche – Gesetzesänderung, deren wesentlicher Inhalt in einer Ausdehnung der Höchstarbeitszeit und in einer (weiteren) Flexibilisierung der Arbeitszeit besteht, die im Übrigen aber die Strukturen des geltenden Arbeitszeit-379 und Arbeitsruherechts grundsätzlich unverändert lässt. „Arbeitszeitrecht neu“ bedeutet also nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine wichtige und inhaltlich sehr beachtliche Ergänzung der vorhandenen Kommentarliteratur zum Arbeitszeitrecht.

Der zweite auffallende Punkt ist die besondere und mehrfach wiederholte Betonung des ausschließlich wissenschaftlichen Charakters der Publikation. Schon der Untertitel des Buches lautet: „Eine wissenschaftliche Analyse“ und im Vorwort der HerausgeberInnen wird das weiter präzisiert und nochmals hervorgehoben, dass es ausschließlich darum gehe, „den Inhalt der Regelungen durch wissenschaftlich-methodische Analyse zu erschließen“. Diese geradezu demonstrative Hervorhebung des wissenschaftlichen Anspruchs erweckt den Eindruck, dass die AutorInnen die Objektivität ihrer Darstellung bekräftigen und jeden Anschein einer Parteilichkeit vermeiden wollen, indem sie die Grenze zwischen Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unbedingt einhalten. Das beweist zwar ihr Bemühen um wissenschaftliche Redlichkeit, ist aber dennoch kaum möglich. Selbst bei Anwendung der klassischen juristischen Methodenlehre kommt man nicht umhin, neben der Analyse des Gesetzeswortlauts im Rahmen der teleologischen Interpretation nach dem Normzweck zu forschen, und hinter dem Normzweck stehen (auch) Interessenlagen. Die „politischen Stoßrichtungen, sowohl von Arbeitnehmer- als auch von Arbeitgeberseite, auszublenden“, wie es im Vorwort der HerausgeberInnen heißt, ist bei einer von Interessen maßgeblich geprägten Materie wie dem Arbeitszeitrecht einfach nicht möglich. Das Ausmaß und die Lage der Arbeitszeit sind nicht nur wesentliche Arbeitsbedingungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, sondern sie betreffen und bestimmen auch in erheblichem Maß Interessen im Bereich von Freizeit, Familie, Kultur, Politik usw.

Es tut der Qualität keinen Abbruch und hat mit mangelnder Objektivität nichts zu tun, sondern ist im Gegenteil sogar erforderlich, dass sich wissenschaftliche Analysen von gesetzlichen Neuregelungen nicht auf den Wortlaut beschränken, sondern auch nach den Motiven und den Auswirkungen der Neuregelung fragen. Auf diese Weise könnte man im Fall der AZG- und ARG-Novelle leicht feststellen, dass es sich bei dem sowohl in der Begründung des Gesetzesantrags als auch im Regierungsprogramm enthaltenen wohlklingenden „Bekenntnis zu einer flexiblen Arbeitsgestaltung, die es ermöglichen soll, das Arbeitszeitvolumen besser an die Auftragslage anpassen zu können, und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit zu gewährleisten“ um eine irreführende Leerformel handelt. Es ist nämlich in keiner Weise nachvollziehbar, warum die Verlängerung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit für die AN – vor allem für die Frauen – einen Beitrag zur Erreichung dieses Zieles leisten könnte. In Wahrheit geht – und ging – es bei allen Initiativen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in erster Linie um eine Reduktion der Arbeitskosten durch „Umwandlung“ von Überstundenarbeit in Normalarbeitszeit und entsprechend geringere Entlohnung.

Relativieren wird man wohl auch die von den HerausgeberInnen im Vorwort angesprochene Praxisorientierung des Buches müssen. Obwohl alle AutorInnen sichtlich und mit Erfolg um Klarheit und Verständlichkeit der Sprache bemüht sind und die wichtigsten Ergebnisse in kurzer, komprimierter Form zusammengefasst werden, wird die Zugänglichkeit für die Praxis nicht leicht zu erreichen sein. Das liegt aber nicht an den AutorInnen, die versucht haben, Licht ins Dunkel der Neuregelung zu bringen, sondern einerseits an der Komplexität und Kompliziertheit der Materie und andererseits am politischen Stil der derzeitigen Bundesregierung, die gemeint hat, bei der Vorbereitung der Gesetzesänderung auf den Sachverstand der Sozialpartner verzichten zu können.

Konrad Grillberger hat schon vor Jahren im Vorwort zu seinem AZG-Kommentar geschrieben: „Das AZG gehört zu jenen zahlreichen Gesetzen, die sich durch ihre übermäßige Kompliziertheit zu einem guten Teil selbst um ihre faktische Wirkung bringen. Das verringert nebenbei auch den Anreiz, sich mit solchen Produkten der Gesetzgebung wissenschaftlich zu beschäftigen.

Die VerfasserInnen haben es versucht, und das in kurzer Zeit und mit hoher wissenschaftlicher Qualität. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Für den Inhalt des „neuen Arbeitszeitrechts“ sind sie nicht verantwortlich.