Thüsing (Hrsg)AÜG – Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – Kommentar

4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2018, XIV, 695 Seiten, Leinen, € 79,–

FELIXSCHÖRGHOFER (WIEN)

Nach Medienberichten hat die Anzahl der überlassenen AN sowohl in Österreich als auch in Deutschland Ende 2017 ein neues Rekordhoch erreicht. In den vergangenen Jahren ist – nach subjektiver Wahrnehmung – auch die Anzahl der Entscheidungen des OGH zum AÜG stetig gestiegen. Die Behauptung mancher, überlassene AN seien weniger „klagsfreudig“ als in anderen Branchen, scheint nicht (mehr) zutreffend zu sein. Die Arbeitskräfteüberlassung ist daher ein Thema, das die RechtsanwenderInnen derzeit intensiv beschäftigt. Es ist naheliegend, dabei über den Tellerrand zu blicken und auch die Ergebnisse der deutschen Rechtswissenschaft zur Überlassung zu berücksichtigen. Der von Thüsing herausgegebene Kommentar bietet für österreichische LeserInnen einen idealen Einstieg in das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (dAÜG). Der Kommentar ist erstmals 2005 erschienen, 2018 wurde die aktuelle vierte Auflage veröffentlicht. Der Herausgeber hat AutorInnen aus Wissenschaft und Praxis versammelt, die die Rechtsmaterie auf höchstem Niveau bearbeiten. Sie verdichten die teilweise ausufernde deutsche Rechtsliteratur zu einer kompakten und prägnanten Darstellung der relevanten Rechtsfragen.

Für die österreichische Rechtswissenschaft ist die Beschäftigung mit der deutschen Rechtslage schon deshalb naheliegend, weil wesentliche Teile des Überlassungsrechts in Deutschland und Österreich von der Leiharbeits-RL vorgegeben werden. Außerdem werden Entwicklungen und Trends in der (Arbeitsrechts-)Praxis in der deutschen Rechtswissenschaft teilweise rascher377 aufgegriffen und bearbeitet als in Österreich. Von den zahlreichen Rechtsfragen, bei denen die Beschäftigung mit der deutschen Rechtswissenschaft lohnenswert ist, seien in der Folge nur einige beispielhaft genannt: Der VwGH hat seine Rsp zur Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitskräfteüberlassung vor Kurzem unter dem Druck des Unionsrechts an die deutsche Rechtslage angeglichen (VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068, zur deutschen Rechtslage Waas in Thüsing [Hrsg], AÜG4 § 1 Rz 74 ff). Es ist noch unklar, ob der OGH – insb für rein innerstaatliche Sachverhalte – dem VwGH folgen und seine bisherige Rsp (OGH 25.8.2014, 8 ObA 7/14h) aufgeben wird. Auch zum Gleichstellungsanspruch ist eine Beschäftigung mit der deutschen Rechtslage interessant (dazu Kock/Greiner in Thüsing, AÜG4 § 8 Rz 8 ff). In Österreich liegen mittlerweile einige Entscheidungen zur Gleichstellung vor, allerdings idR zum Entgeltanspruch. Die Gleichstellung bei Betriebspensionsansprüchen, die im Zuge der Novelle des AÜG in der Lehre intensiv diskutiert wurde, ist bisher – soweit ersichtlich – noch nicht an den OGH herangetragen worden. Auch zur Gleichstellung iZm der Arbeitszeit gibt es bisher nur wenige Entscheidungen (vgl etwa OGH 28.6.2017, 9 ObA 15/17x). Auch bei den Ausnahmebestimmungen im dAÜG gibt es Überschneidungen mit der österreichischen Rechtslage, etwa bei konzerninternen Überlassungen (zur deutschen Ausnahmebestimmung Waas in Thüsing, AÜG4 § 1 Rz 230 ff). Ebenfalls für die österreichische Rechtslage interessant ist der Hinweis, dass zu weitgehende Ausnahmen aus dem Überlassungsrecht im öffentlichen Bereich unionsrechtlich problematisch sind (Waas in Thüsing, AÜG4 § 1 Rz 244, 251, vgl etwa § 15 Abs 1 letzter Satz PLABG [Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge], eingefügt durch BGBl I 2018/98). Für den/die österreichische/n RechtsanwenderIn sind natürlich auch Aspekte der grenzüberschreitenden Überlassung von Bedeutung, etwa zur Bestimmung des anwendbaren Rechts (Thüsing in Thüsing, AÜG4 Einl Rz 51 ff) und zur Bedeutung von A1-Bescheinigungen (Kock in Thüsing, AÜG4 § 3 Rz 102).

Eine Befassung mit dem dAÜG zeigt dem/der LeserIn außerdem interessante Unterschiede zur österreichischen Rechtslage auf. Genannt sei etwa die Frage der (Un-)Zulässigkeit der Kettenüberlassung (zur Unzulässigkeit in Deutschland Waas in Thüsing, AÜG4 § 1 Rz 115; zur Zulässigkeit in Österreich OGH 9.7.2018, 9 ObA 91/07h) oder die Frage der (Un-)Zulässigkeit der Vereinbarung einer Vermittlungsgebühr zwischen Überlassungsunternehmen und dem entleihenden Unternehmen für den Fall eines Wechsels eines/einer überlassenen AN in die Stammbelegschaft des entleihenden Unternehmens (zur Zulässigkeit in Deutschland Mengel in Thüsing, AÜG4 § 9 Rz 67, zur Unzulässigkeit in Österreich OGH 30.7.2012, 9 Ob 19/12b).

Einige deutsche Sonderprobleme sind natürlich für die österreichische Rechtslage nicht unmittelbar relevant, etwa das unionsrechtlich problematische Verbot der AN-Überlassung im Baubereich durch § 1b dAÜG sowie die gesetzliche Lohnuntergrenze des § 3a dAÜG.

Die Auseinandersetzung mit dem dAÜG ist für die österreichische Rechtswissenschaft bereichernd, der von Thüsing herausgegebene Kommentar kann dafür uneingeschränkt empfohlen werden.