Riesenfelder/Danzer/WetzelArbeitskräfteüberlassung in Österreich

Verlag des ÖGB, Wien 2018, 288 Seiten, € 24,–

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) hat im vergangenen Jahr sein 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Sein Inkrafttreten im Jahr 1988 bedeutete eine echte Zäsur – endlich wurde einigermaßen adäquat auf die zum damaligen Zeitpunkt verbreiteten Missstände der Branche reagiert und die Beschäftigungsform der Arbeitskräfteüberlassung durch die Schaffung eines verbindlichen rechtlichen Rahmens nach und nach aus dem „Schmuddeleck“ des Arbeitsmarktes geholt. In den letzten 30 Jahren hat sich die rechtliche Situation überlassener Arbeitskräfte zusehends verbessert. Als weitere Meilensteine sind insb das Inkrafttreten des für überlassene ArbeiterInnen geltenden Arbeitskräfteüberlassungs-KollV im Jahr 2002 sowie die nach jahrelangen Verhandlungen und mehrfachen Anläufen im November 2008 erfolgte Verabschiedung der Leiharbeits-RL zu nennen, die ihrerseits wieder größere Änderungen im AÜG zugunsten der überlassenen Arbeitskräfte (ua verstärkter Diskriminierungsschutz, verbesserte Gleichstellungsansprüche für die Dauer der Überlassung) nach sich gezogen hat.

Im Hinblick auf die faktische Wirksamkeit der ergriffenen rechtlichen Maßnahmen scheiden sich allerdings die Geister. Umfangreiche sozialwissenschaftliche Studien zur Leiharbeit, wie sie beispielsweise für den deutschen Arbeitsmarkt zu finden sind, fehlen hierzulande weitgehend; die im Rahmen des § 13 AÜG zu erhebenden Daten zeichnen nur ein relativ grobes Bild der Entwicklungen in dieser Branche. Umso wertvoller erscheinen die wenigen, für Österreich verfügbaren Untersuchungen. Bei dem nun in der „Sozialpolitischen Studienreihe“ des ÖGB-Verlages erschienenen Band von Andreas Riesenfelder, Lisa Danzer und Petra Wetzel (L&R Sozialforschung) handelt es sich um eine vom BMASGK beauftragte Studie zur Lage der Leih-AN in Österreich. Bereits im Jahr 2010 haben Riesenfelder und Wetzel – damals im Auftrag der AK Wien – eine Untersuchung zur „Leiharbeit in Österreich“ veröffentlicht, die zahlreiche Problemfelder dieser besonderen Beschäftigungsform zutage gefördert hat. Die Ergebnisse der nun vorgelegten, deutlich umfangreicheren Studie legen nahe, dass eine Beschäftigung in der Arbeitskräfteüberlassung nach wie vor mit hohen Prekaritätsrisken verbunden und eine Angleichung an den Standard regulärer Beschäftigungsverhältnisse in wesentlichen Aspekten bislang nicht gelungen ist.

Die Untersuchung basiert auf fünf unterschiedlichen Elementen: Neben Literatur- und Inhaltsanalysen zu Gesetzestexten und Forschungsberichten wurden qualitative Interviews mit BetriebsrätInnen geführt. Die empirische Arbeit umfasst repräsentative Interviews mit über 400 Leih-AN, Analysen von einvernehmlichen Auflösungen im Zeitverlauf (basierend auf Daten der Gebietskrankenkassen und des Beitragscontrollings zur Auflösungsabgabe) sowie umfangreiche Längsschnittanalysen für den Zeitraum 1997 bis 2016 auf Basis der Arbeitsmarkt- und Erwerbskarrierendatenbank von L&R Sozialforschung.

Die Ergebnisse zu den Strukturen der Leiharbeitsverhältnisse sowie zur Soziodemografie der Leih-AN, deren Anteil an der Gesamtheit der unselbständig Beschäftigten mit 1,8 % angegeben wird, bestätigen die bereits bekannten Daten, zeigen aber auch interessante Entwicklungstrends auf. Nach wie vor ist Leiharbeit eine höchst konjunkturabhängige und stark männlich dominierte Beschäftigungsform – der typische Leih-AN ist männlich, Arbeiter und im Produktionsbereich tätig. Die Einsatzfelder der mit etwa 36 % deutlich geringer vertretenen weiblichen Leiharbeitskräfte sind dagegen breiter gestreut. Der Anteil junger AN ist in der Arbeitskräfteüberlassung immer noch höher als unter regulär Beschäftigten, doch werden diese Unterschiede bei Betrachtung eines längeren Zeitverlaufes bereits merklich geringer, der Anteil älterer Leih-AN wächst. Im Vergleich zu Standardbeschäftigten werden Leih-AN wesentlich häufiger zu Hilfs- bzw angelernten Tätigkeiten eingesetzt (58 % vs 24 % bei regulär Beschäftigten); der Anteil hoch qualifizierter Tätigkeiten ist in den letzten zehn Jahren zwar gestiegen, liegt mit 11 % aber nach wie vor deutlich unter dem Niveau von regulär Beschäftigten (29 %). Dem steht – was doch einigermaßen überraschend ist – die Erkenntnis gegenüber, dass das Bildungsniveau sowohl von überlassenen Angestellten als auch von überlassenen ArbeiterInnen im Schnitt deutlich über jenem regulär beschäftigter Angestellter bzw ArbeiterInnen liegt (S 104 ff). Die naheliegende Vermutung, dass AN in der Arbeitskräfteüberlassung häufig unterhalb ihres Bildungsniveaus eingesetzt werden, findet ihre Entsprechung in der subjektiven Einschätzung von fast einem Drittel der befragten Leih-AN, für die Tätigkeit im Beschäftigerbetrieb sehr oder eher überqualifiziert zu sein (S 87).

Die Studie geht in weiterer Folge in getrennten Kapiteln ua Fragen zum Erwerbseinkommen der Leiharbeitskräfte, zur Beschäftigungskontinuität im Überlasserbetrieb, zu Erwerbsintegration und Arbeitslosigkeitsrisiko, zu den Verläufen der Arbeitsverhältnisse nach Rückstellung sowie zur sogenannten Brückenfunktion von Leiharbeit nach. Es zeigt sich in einer Gesamtschau über die einzelnen Kapitel der Untersuchung, dass sich das hohe Maß an Prekarität einer Beschäftigung in der Arbeitskräfteüberlassung weniger aus einer unzureichenden Höhe des monatlichen Erwerbseinkommens ergibt, sondern primär als Folge der nach wie vor sehr geringen Beschäftigungskontinuität (S 115 ff) und des damit in Verbindung stehenden überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeitsrisikos (S 123 ff) darstellt. Knapp jedes zweite Arbeitsverhältnis in der Arbeitskräfteüberlassung dauert maximal 60 Tage; eine ganzjährige Integration ins Erwerbssystem ist häufig nicht gegeben, typisch ist vielmehr ein Wechsel zwischen der Beschäf-376tigung als Leiharbeitskraft und Phasen der Arbeitslosigkeit. Positiv zu vermerken ist, dass die überaus deutlich ausgeprägte Differenz zwischen der Erwerbsintegration von Leiharbeitskräften und Standardbeschäftigten im Verlauf der letzten 20 Jahre zumindest leicht zurückgegangen ist.

Weiterhin höchst negativ bemerkbar macht sich dagegen die Tatsache, dass die rechtlichen Vorkehrungen zur Verhinderung einer Synchronisation von Arbeitsvertrags- und Überlassungsdauer ganz offensichtlich in weiten Bereichen ihre Wirkung verfehlen: Von einer entlohnten Stehzeit berichteten lediglich 4 % der befragten Leiharbeitskräfte. Kommt es nicht zu einem nahtlosen Wechsel in die Stammbelegschaft des bisherigen oder zu einer Überlassung in einen neuen Beschäftigerbetrieb und kann die unproduktive Zeit auch nicht mit Urlaub oder Zeitausgleich überbrückt werden, so kommt es mit 35 % wesentlich häufiger zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (S 138). Dabei wird nach wie vor besonders gern auf einvernehmliche Auflösungen zurückgegriffen – eine gängige Praxis, der nach den Angaben der befragten Betriebsräte auch durch Aufklärung der betroffenen Leiharbeitskräfte nicht beizukommen ist, da diese bei Einwilligung in die Auflösung zumindest auf neuerliche Einstellung durch den Überlasser im Falle der erfolgreichen Akquisition neuer Aufträge hoffen dürfen. Durch Arbeitslosigkeit unterbrochene, immer wiederkehrende Arbeitsverhältnisse zu ein und demselben Überlasserbetrieb sind deshalb nicht überraschend für mehr als ein Drittel der Befragten Realität, und der Trend weist nach oben: Seit der Untersuchung aus dem Jahr 2010 hat sich der Anteil der Leiharbeitskräfte, die wiederholt im selben Überlasserbetrieb tätig werden, nahezu verdoppelt (S 76 f).

Freilich bedeutet diese Praxis ganz klar eine Überwälzung des Auslastungsrisikos auf die AN (und auf die AlV) – eine Gefahr, deren Verhinderung sich der Gesetzgeber mit der Schaffung des AÜG eigentlich auf die Fahnen geheftet hat. Interessant ist, dass sich die ab 2013 erfolgte Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen in die Auflösungsabgabe unmittelbar in den Daten zu den Abmeldegründen bei Leiharbeitsverhältnissen niederschlägt (S 132 ff). Seither ist der Anteil einvernehmlicher Auflösungen drastisch zurückgegangen (von 45,2 % der Beendigungen im Jahr 2012 auf 31,6 % im Jahr 2017); zeitgleich scheinen die Überlasserunternehmen aber die Auflösung in der Probezeit als probates Mittel zur Kostenvermeidung in Stehzeiten entdeckt zu haben: Im gleichen Zeitraum ist deren Anteil an den Beendigungen von 0 auf 37,8 % gestiegen! Dem Problem missbräuchlicher Vereinbarungen wiederholter Probezeiten zwischen denselben Vertragsparteien sollte also in Zukunft vermehrt Beachtung geschenkt werden. Abzuwarten bleibt, ob und wie sich der geplante Entfall der Auflösungsabgabe ab 1.1.2020 (vgl § 11 Abs 4 AMPFG) auf die Beendigungsformen von Arbeitsverhältnissen in der Arbeitskräfteüberlassung auswirken wird.

Die Ergebnisse zur sogenannten Brückenfunktion der Leiharbeit sind und bleiben ernüchternd: Für einen Großteil der Leih-AN ist die Übernahme in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis erklärtes Ziel ihres Tätigwerdens im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung – fast 70 % der befragten Leih-AN würden ein Standardarbeitsverhältnis bevorzugen. Für viele bleibt dies allerdings ein unerfüllter Wunsch: Nur etwa einem Fünftel der Leiharbeitskräfte gelang 2016 ein Übergang von Leiharbeit in reguläre Beschäftigung (inklusive Übernahmen durch den Beschäftigerbetrieb); deutlich realistischer ist das Szenario eines Abgangs in die Arbeitslosigkeit (28 %). Besonders schlecht sind die Übergangschancen wenig überraschend für ältere Leih-AN – nur 14 % der über 50-Jährigen gelingt der Absprung in eine Standardbeschäftigung. Die Gefahr der Verfestigung einer „Leiharbeiterkarriere“ ist hier besonders hoch.

Unter dem Strich zeigt die vorliegende sozialwissenschaftliche Untersuchung sehr klar auf, in welchen Bereichen es rechtlichen Nachbesserungsbedarf gäbe, wenn die Reduktion von Prekaritätsrisken in der Arbeitskräfteüberlassung ein ernstgemeintes Ziel sein soll. Als dringendstes Anliegen lässt sich nach den Ergebnissen der Studie die Ergreifung effektiver Maßnahmen zur Verringerung der Beschäftigungsunsicherheit und zur tatsächlichen Unterbindung eines Gleichlaufs zwischen Arbeitsvertrags- und Überlassungsdauer ausmachen.