Mauch/Freitag/ZaunerWorking pur – Reportagen aus der Arbeitswelt

Verlag des ÖGB, Wien 2018, 257 Seiten, kartoniert, € 19,90

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Das flott geschriebene und spannend zu lesende Buch bietet vielfältige Einblicke in die aktuellen Veränderungen der Arbeitswelt. Es belegt für zahlreiche374 Branchen und Berufsfelder die nunmehr schon seit mehr als drei Jahrzehnten anhaltende Prekarisierung unselbständiger Beschäftigung an Hand konkreter Fallbeschreibungen.

Die als Reportagen gestalteten 16 Kapitel beschreiben die Arbeitswirklichkeit nicht aus einer theoretischen Sicht, sondern aus einer mikrosoziologisch-qualitativen „Graswurzel“-Perspektive – detailreich, konkret und unter Miteinbeziehung der subjektiven Wahrnehmungen und Deutungen der Betroffenen. Die einzelnen Reportagen werden von pointierten Expertenkommentaren begleitet, denen es gelingt, größere Zusammenhänge herzustellen und das reichhaltige Fallmaterial theoretisch-reflektierend sowie in Hinblick auf künftige Entwicklungen, vorhandene Schutzdefizite und rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten auszuleuchten.

Thema der Reportagen ist etwa der Fall eines Fahrradboten, der für „Uber Eats“ als Scheinselbständiger Essen ausliefert. Am Fallbeispiel einer Mental-Trainerin wird aufgezeigt, wie Kindern aus bildungsferneren Milieus eine faire Chance geboten wird, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ein Konflikt- und Trainingsmanager berät bei Kündigungen sowohl Firmenleitungen als auch MitarbeiterInnen (dem Trend zu einem „Trennungsmanagement“ folgend) und widmet sich in diesem Zusammenhang der schwierigen Lage des Personalmanagements in Zeiten eines permanenten Strukturwandels.

Die positive Rolle der Aktion 20.000 für Arbeitslose und die Chancen einer Integration in den Arbeitsmarkt sind ein weiteres Thema. Ein anderer Bericht verdeutlicht, welche Herausforderungen mit der Beratungstätigkeit für die Klientel des Arbeitsmarktservice (AMS) verbunden sind und unter welchem Zeitdruck die AMS-MitarbeiterInnen die schwierigen, für die Betroffenen existenziell bedeutsamen Gespräche führen müssen. Im Schnitt bleiben den BeraterInnen nur 7,5 Minuten für ein Gespräch, und das bei zunehmend problematischen individuellen Risikolagen.

Am Beispiel der Baubranche werden die Auswirkungen von Zeit- und Preisdruck bei gleichzeitig sinkendem Ausbildungsniveau skizziert. Die Diversität der Belegschaften führt oft zu sprachlichen Missverständnissen. Aufträge werden an Subunternehmen und Subsubunternehmen vergeben, Rechtsvorschriften häufig nicht eingehalten – alles in allem ein deprimierendes Bild an geradezu mafiösen Strukturen, das hier gezeichnet wird, deprimierend insb auch deswegen, weil Widerstand von den Betroffenen nicht zu erwarten ist. Konkret wird die unerträgliche Situation von Polieren am Bau nachgezeichnet, die eine hohe Verantwortung tragen und den weitgehend rechtswidrigen Zuständen machtlos gegenüberstehen.

Weitere Reportagen beschäftigen sich mit den Erfahrungen einer Anwältin, die sich Problemen von Flüchtlingen widmet, mit einem 24-Stunden-Betreuer, der selbst krank ist, mit den Folgen der neoliberal inspirierten Wahnidee der Privatisierung staatlicher Dienstleistungen am Beispiel der Schließung der Wiener Lebensmitteluntersuchungsanstalt, mit der Geschichte eines Burnout einer erfolgreichen PR-Agentin, mit den Auswirkungen des Robotereinsatzes und damit in Zusammenhang einer „neuen Intimität“ zwischen Mensch und Maschine und dem sich abzeichnenden Crowdworker-Kapitalismus.

Weitere Reports beziehen sich auf einen Projektmanager, der unter unerträglichen Drucksituationen daran arbeitet, luxuriöse Hochseeschiffe (zB schwimmende Appartementschiffe wie die „World Residences at Sea“) auszustatten, auf die Wandlung eines Nokia-Managers zum „Selbständigen“, auf eine Fremdenführerin, die Alleinunternehmerin und Alleinerziehende ist, auf die jüngst auch vom EuGH thematisierten Prekarisierungstrends an Universitäten, wo bei jungen WissenschaftlerInnen nicht selten Ausbeutung und Existenzunsicherheit vorherrschen (Beispiel: befristete Verträge) und auf die Lage von Kellnerlehrlingen.

Die Kommentare zu jeder dieser Reportagen vermitteln plausible Deutungen und gehaltvolle analytische Erkenntnisse. Sie bieten dem Leser eine hilfreiche begleitende Reflexion der dargestellten Realitäten. Es würde zu weit führen, hier die vielfältigen Aspekte und Ideen darzustellen, die dabei angesprochen werden. Man vermisst allerdings etwas eine begleitende Kommentierung durch RechtsexpertInnen, die letztlich zur Frage beitragen könnten, aus welchen Gründen sich diese Missstände und an das 19. Jahrhundert erinnernden Ausbeutungsverhältnisse so expansiv ausbreiten.

Aus juristischer Perspektive kann man aus der Lektüre dieser Reportagen ua folgende Schlussfolgerungen ziehen: Es zeigt sich, wenig überraschend, dass das Arbeitsrecht gerade bei den unterschiedlichen Formen der neuen hybriden Beschäftigungsverhältnisse weitgehend leerläuft. Forderungen, die Gesetze anzupassen und damit die bestehenden Schutzlücken zu schließen, müssen sich dem Befund stellen, dass der internationale Wettbewerbsdruck übermächtig geworden ist und Rechtspositionen dort nicht helfen, wo die Menschen in einer Art „abhängiger Freiwilligkeit“ die Verhältnisse „zähneknirschend“ akzeptieren. Verdeutlicht werden in vielen der Reportagen auch die massiv steigende Arbeitsintensität und Arbeitsverdichtung, die oft viel zu dünne Personaldecke, die fehlende Zeit für eine qualifizierte und damit befriedigende Ausübung der Berufstätigkeit oder auch die Anfälligkeit für arbeitsbedingte psychische Krankheiten. Ein gemeinsamer Nenner vieler Fallbeispiele ist die Gefährdung der Arbeitsqualität durch die vielfältigen Formen von Scheinselbständigkeit und Selbstausbeutung, für die weder das österreichische noch das Arbeitsrecht der EU bisher ein wirksames Gegenmittel gefunden haben. Für mit Arbeitsrecht befasste JuristInnen, die ja prima vista den Eindruck gewinnen könnten, dass angesichts der sozialen Komponenten der Judikatur und des Schutzes, den die arbeitsrechtlichen Rechtsquellen bei arbeitsrechtliche Konflikten bereit stellen, die Arbeitswelt ohnehin ganz in Ordnung ist, gerät der Blick in die Realität des Arbeitslebens, die das Buch eröffnet, zu einem Blick in einen sehr tiefen Abgrund.

Kritisch ist anzumerken, dass das Buch ein wenig den Eindruck vermittelt, dass es die UnternehmerInnen sind, die sich zunehmend als AusbeuterInnen betätigen. Das wäre indes eine oberflächliche Deutung, die zu falschen Schlussfolgerungen verleiten könnte. Hinter den Phänomenen steht eine mächtige hegemoniale Struktur, nämlich die eines völlig außer Kontrolle geratenen Kapitalismus. Das zu erkennen würde davor bewahren, in einer Rekonstruktion alter sozialpartnerschaftlicher Regulierungsmodelle die Lösung zu sehen. So gesehen greift auch der Befund von Stephan Schul-375meister zu kurz, wenn er in Zusammenhang mit der Privatisierung staatlicher Dienstleistungen meint, eine Stärkung des Staates und die Abwendung vom heute dominierenden neoliberalen Modell des Kapitalismus würde die Misere beenden. Vielmehr dürfte es letztlich doch so sein, dass der bestehende „Kapitalismus pur“ als solcher das Objekt einer Transformation sein müsste, die in der Folge auch eine humanere Arbeitswelt als die in „Working pur“ so eindrucksvoll geschilderte ermöglichen würde.