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Erforderliche Freizeitgewährung für Betriebsratsmitglied in Teilzeit

MARTINACHLESTIL

Gem § 115 Abs 1 ArbVG ist das Mandat des Betriebsratsmitglieds ein Ehrenamt, das, soweit nicht anderes bestimmt wird, neben den Berufspflichten auszuüben ist. Betriebsratsmitgliedern ist nach § 116 ArbVG die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts zu gewähren. Wenn eine in Teilzeit beschäftigte AN ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht im Ausmaß von 30 Stunden pro Woche vollumfänglich nachkommt und sie im Ausmaß einer 30 Stunden-Woche zur Gänze bezahlt wurde, lässt sich für die von ihr daneben, dh in ihrer arbeitsfreien Zeit, geleistete Mandatsarbeit als Betriebsratsmitglied aus § 116 ArbVG kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ableiten.

SACHVERHALT

Die Kl war vom 2.11.2010 bis 28.2.2017 beim bekl Verein als Pflegehelferin in Teilzeit beschäftigt. Ihre Arbeitszeit betrug im Jahr 2016 30 Stunden pro Woche, ihr monatliches Entgelt € 1.744,50 brutto. Die Kl war Mitglied des BR des bekl AG. Die Kl74 hatte keine fixen Arbeitszeiten bzw von der bekl AG vorgegebene Arbeitszeiten. Die praktische Handhabung der Verrichtung der Tätigkeiten am Klienten war derart gestaltet, dass die Klientenbesuche zwischen 7:00 Uhr morgens und 19:00 Uhr abends verrichtet werden konnten. Die Kl konnte sich ihre Arbeitsverrichtung bzw die von ihr zu verrichtenden Arbeitsstunden nach ihrem und dem Bedarf des Klienten einteilen.

Die Kl begehrte nun die Bezahlung von 27 Arbeitsstunden, die sie im Zeitraum 23.5. bis 15.9.2016 für Betriebsratstätigkeiten während ihrer Dienstzeit aufgewendet habe und die vom bekl AG zu Unrecht nicht entlohnt worden seien. Durch ihre Teilzeitbeschäftigung ohne fix vorgesehene Arbeitszeiten werde sie in Bezug auf die Anwendung des § 116 ArbVG gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglied, das ebenso wie die Kl ein volles Mandat mit vollen Mitwirkungs- und Bildungsverpflichtungen ausübe, strukturell benachteiligt.

Nach Ansicht der Bekl erfolge die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied ehrenamtlich, sodass dafür kein Entgelt zustehe; die Kl habe eine freie Arbeitseinteilung gehabt und es sei ihre Entscheidung gewesen, zu welcher Tageszeit sie Betreuungen vorgenommen habe.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Ausgestaltung des Betriebsratsmandats als unentgeltliches Ehrenamt und die damit bezweckende Unabhängigkeit der Amtsführung sei als legitime sozialpolitische Zielsetzung zu beurteilen, die mit einer Geschlechterdiskriminierung nicht im Zusammenhang stehe. Auch sei die Kl ihrer 30-stündigen Arbeitsverpflichtung nachgekommen, sodass sie im Grunde die Abgeltung von Betriebsratstätigkeiten begehre, die sie außerhalb oder zusätzlich zu ihren bereits verrichteten arbeitsvertraglichen Arbeitsstunden aufgewendet habe. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Es sei fraglich, ob das Ehrenamtlichkeitsprinzip eine ausreichende Basis sei, die Benachteiligung von Teilzeitkräften zu tragen. Damit verhindere man eine adäquate Repräsentation der Teilzeitbeschäftigten und damit gerade der Frauen im BR. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den OGH zu. Der OGH gab dem Rekurs des bekl AG Folge und stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Gemäß § 115 Abs 1 ArbVG ist das Mandat des Betriebsratsmitglieds ein Ehrenamt, das, soweit nicht anderes bestimmt wird, neben den Berufspflichten auszuüben ist. […]

2. Eine besondere Regelung enthält § 116 ArbVG, wonach den Mitgliedern des Betriebsrats, unbeschadet einer Bildungsfreistellung nach § 118 ArbVG, die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts zu gewähren ist.

Die Bestimmung berücksichtigt, dass eine Mandatsausübung nicht stets außerhalb der Arbeitszeit möglich ist und gewährt daher einen Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Freistellung von der Arbeitspflicht während der Arbeitszeit, wenn und soweit dies für die Erfüllung der Obliegenheiten erforderlich ist. Der Anspruch auf Arbeitsfreistellung unter Entgeltfortzahlung setzt voraus, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die zu den Aufgaben des Betriebsrats zählt und deren Ausübung während der Arbeitszeit erfolgen muss (zweckgebundener Freizeitanspruch). […]

3. Für den die Zeit der Freistellung betreffenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist das Ausfallsprinzip maßgeblich. Die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts richtet sich danach, was das Betriebsratsmitglied verdienen hätte können, wenn es während der Freistellung in vollem Umfang gearbeitet hätte. Die Regelung verwirklicht damit einerseits das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot, andererseits das Privilegierungsverbot (s Mosler, aaO § 116 Rz 14, 19).

4. Damit unterscheidet sich die österreichische auch von der deutschen Rechtslage: […] Nach § 37 Abs 3 dt BetrVG hat das Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, jedoch Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Einen solchen Ausgleich für außerhalb der Arbeitszeit erbrachte Mandatstätigkeiten sieht das österreichische ArbVG jedoch nicht vor, womit der Grundsatz der Ehrenamtlichkeit noch mehr in den Vordergrund tritt. […]

5. Im vorliegenden Fall nimmt die Klägerin nicht für sich in Anspruch, dass ihr nicht ausreichend freie Zeit zur Mandatsausübung während ihrer Arbeitszeit gewährt worden wäre oder sie dafür keine Lohnfortzahlung erhalten hätte. Vielmehr ist unstrittig, dass sie ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht im Ausmaß von 30 Stunden pro Woche vollumfänglich nachgekommen ist, sie im Ausmaß einer 30 Stunden-Woche zur Gänze bezahlt wurde und die Mandatsarbeit von ihr daneben, dh in ihrer arbeitsfreien Zeit, geleistet wurde. Aus § 116 ArbVG lässt sich dafür kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ableiten.

6. […]

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin für ihr Begehren neben § 116 ArbVG zwar auch die Entscheidung Bötel nominell angeführt, darüber hinaus aber nicht einmal ansatzweise vorgebracht, warum ihre Situation mit der Ausgangslage in jener Rechtssache vergleichbar wäre. Wie dargelegt, sieht die österreichische Rechtslage keinen dem § 37 Abs 3 dt BetrVG vergleichbaren Anspruch auf entgeltpflichtigen Freizeitausgleich für in der Freizeit erbrachte Betriebsratstätigkeiten vor. Ungeachtet des-75sen hat die Klägerin aber auch nicht behauptet, dass die von ihr aufgelisteten Betriebsratstätigkeiten, für die sie Entgelt begehrt, solche gewesen wären, die bei vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern sehr wohl zu einer Lohnfortzahlung geführt hätten. Derartiges steht auch nicht fest. Auf ihre allgemeinen Überlegungen zu einer mittelbaren Diskriminierung ist danach nicht weiter einzugehen. Andere Rechtsgründe wurden von ihr nicht geltend gemacht.“

ERLÄUTERUNG

Betriebsratsmitgliedern ist nach § 116 ArbVG die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgeltes zu gewähren. Das bedeutet, dass die Ausübung der Aufgaben bzw Tätigkeiten eines Betriebsratsmitglieds auch während der bezahlten Arbeitszeit unter zwei Voraussetzungen möglich ist: Die Tätigkeit muss zu den Aufgaben des BR gehören und die Ausübung dieser Tätigkeit durch das Betriebsratsmitglied muss während der Arbeitszeit erforderlich sein. Wie viel Zeit für die Erfüllung der Obliegenheiten benötigt wird, in welcher Intensität das Betriebsratsmitglied eine Interessenvertretungsaufgabe wahrnimmt, ist jeweils nach den Umständen des konkreten Falles zu prüfen. Im Zweifel hat eine Abwägung der AN-Interessen mit jenen des Betriebsinhabers an einem nach Möglichkeit störungsfreien Betriebsablauf zu erfolgen (siehe Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht, Bd 35 § 116 Rz 5 f).

Der gegenständliche Fall stellt sich allerdings etwas anders dar: Die Kl hat als Betriebsratsmitglied keine Freizeitgewährung während der Arbeitsverpflichtung in Anspruch genommen, um ihrer Interessenvertretungstätigkeit nachzukommen. Sie hat nämlich ihre Arbeitsleistung im Ausmaß der vereinbarten 30 Stunden pro Woche (im Schnitt) erbracht und dieses Ausmaß einer 30 Stunden-Woche wurde zur Gänze bezahlt. Vielmehr hat die Kl ihre Mandatstätigkeit als Betriebsratsmitglied zusätzlich zur vereinbarten Arbeitsleistung, dh daneben in ihrer arbeitsfreien Zeit, geleistet. Das deutsche Betriebsverfassungsrecht sieht dafür einen Ausgleichsanspruch vor: § 37 Abs 3 BetrVG normiert, dass das Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts hat. Nach dem OGH unterscheide sich damit die österreichische von der deutschen Rechtslage, weil das ArbVG einen derartigen Ausgleichsanspruch nicht vorsehe; aus § 116 ArbVG lasse sich dafür kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ableiten.

Die Kl verweist in ihrem Begehren zudem auf die E des EuGH 4.6.1992, C-360/90, Bötel: Dass es für sie als Teilzeitbeschäftigte mit freier Zeiteinteilung leicht gewesen sei, so zu disponieren, dass die Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit möglich gewesen wäre, würde zu einer unzulässigen mittelbaren Diskriminierung von Frauen führen, weil teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder in der Regel Frauen seien. Es sei daher eine zusätzliche Entgeltpflicht des Betriebsinhabers für jene Fälle anzunehmen, in denen ein teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied unvermeidliche Betriebsratstätigkeiten in der Freizeit ausüben müsse.

Die Rs Bötel betraf teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, die für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen die gleiche Stundenzahl aufwendeten wie vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, aber eine niedrigere Vergütung erhielten. In diesem Fall bejahte der EuGH eine mittelbare (Frauen-)Diskriminierung beim Arbeitsentgelt (nach Art 119 EWG-Vertrag und der RL 75/117/ EWG). Diese Rechtsansicht wurde in der Folgeentscheidung Lewark (EuGH 6.2.1996, C-457/93) bestätigt. Der EuGH hielt aber auch fest, dass eine mittelbar diskriminierende Regelung gerechtfertigt sein kann, wenn das gewählte Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik eines Mitgliedstaats dient und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, was durch das nationale Gericht zu beurteilen ist.

Nach deutschem wie nach österreichischem Recht ist das Betriebsratsmandat ein Ehrenamt, das grundsätzlich neben den Berufspflichten auszuüben ist. Der Gedanke einer Bezahlung der Betriebsratstätigkeit ist beiden Rechtsordnungen fremd. Es soll nur der durch das Betriebsratsmandat verursachte Entgeltausfall ausgeglichen werden. Die Unentgeltlichkeit soll gewährleisten, dass die Betriebsratsmitglieder ihre Aufgaben unabhängig, vor allem unbeeinflusst vom Betriebsinhaber, ausüben (siehe dazu Mosler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm2 § 116 ArbVG Rz 21; Schneller, aaO § 116 ArbVG Rz 24). Nach dem EuGH stellt der Wille des Gesetzgebers, durch das Prinzip der Unentgeltlichkeit des Betriebsratsamts, die Unabhängigkeit des BR höher zu bewerten als wirtschaftliche Anreize für die Übernahme des Betriebsratsamts, ein legitimes sozialpolitisches Ziel dar, das für sich genommen nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat. Dass diese Regelung und die damit einhergehende Ungleichbehandlung zur Erreichung des rechtfertigenden Ziels geeignet und erforderlich sind, wurde vom deutschen Bundesarbeitsgericht bejaht (BAG-Urteil 5.3.1997, 7 AZR 581/92).

Auf den vorliegenden Fall bezogen, meint der OGH zudem, dass die Kl nicht einmal ansatzweise vorgebracht hätte, warum ihre Situation mit der Ausgangslage in jener Rs Bötel vergleichbar wäre, so sehe die österreichische Rechtslage keinen dem § 37 Abs 3 dt BetrVG vergleichbaren Anspruch auf entgeltpflichtigen Freizeitausgleich für in der Freizeit erbrachte Betriebsratstätigkeiten vor. Ungeach-76tet dessen hätte die Kl aber auch nicht behauptet, dass die von ihr aufgelisteten Betriebsratstätigkeiten, für die sie Entgelt begehrt, solche gewesen wären, die bei vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern sehr wohl zu einer Lohnfortzahlung geführt hätten. Auf ihre allgemeinen Überlegungen zu einer mittelbaren Diskriminierung war nach dem OGH danach nicht weiter einzugehen.