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Anspruch auf Sonderkrankengeld bei karenzierten Dienstverhältnissen bei Erfüllung der Anspruchsberechtigung gem § 138 ASVG

PIAANDREAZHANG

Eine Einschränkung des Anspruchs auf Sonderkrankengeld iSd § 139 Abs 2a ASVG auf Dienstverhältnisse, aufgrund welcher der DN zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet wäre, ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Anspruch auf „Sonderkrankengeld“ nach § 139 Abs 2a ASVG haben gem § 138 Abs 1 ASVG-Pflichtversicherte sowie nach § 122 Abs 2 Z 2 ASVG Anspruchsberechtigte bei einem Eintritt des Versicherungsfalles innerhalb der ersten drei Wochen dieser Anspruchsberechtigung.

SACHVERHALT

Der Kl steht seit 1994 in einem aufrechten Dienstverhältnis als Verwaltungsangestellter zum Land *. Das Dienstverhältnis ist seit 3.5.2016 bis 2.5.2018 karenziert. Die Höchstdauer des Krankengeldanspruches ist bereits abgelaufen. Der Kl beantragte am 17.6.2016 bei der Pensionsversicherungsanstalt die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension und ab 1.7.2016 wurde ihm vom Arbeitsmarktservice (AMS) Notstandshilfe als Pensionsvorschuss gewährt. Sein Antrag auf Berufsunfähigkeitspension wurde mit Bescheid vom 4.11.2016 abgelehnt und der Kl erhob dagegen Klage. Am 22.11.2016 beantragte der Kl (Sonder-)Krankengeld gem § 139 Abs 2a ASVG ab 1.11.2016 bis zur rechtskräftigen Beendigung des Gerichtsverfahrens über die Berufsunfähigkeitspension.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 13.12.2016 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Krankengeld nach § 139 Abs 2a ASVG ab, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Insb sei der Kl seit dem 1.11.2016 nicht mehr in der KV pflichtversichert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und begründete dies damit, dass der Kl seine Tätigkeit weiterhin ausüben könne, sodass keine Arbeitsunfähigkeit vorliege und die Voraussetzungen des § 139 Abs 2a ASVG nicht erfüllt seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und führte aus, die Feststellungen des Erstgericht seien zwar nicht ausreichend, um das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu beurteilen. Die Pflichtversicherung des Kl sei jedoch aufgrund der Karenzierung des Dienstverhältnisses erloschen. Es liege auch kein „aufrechtes Dienstverhältnis“ iSd § 139 Abs 2a ASVG mehr vor, da hierzu iSd § 23 Abs 4 AlVG die Verpflichtung des DN zur Erbringung einer Arbeitsleistung aufrecht sein müsse.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rsp zur Frage fehle, ob ein aufrechtes Dienstverhältnis iSd § 139 Abs 2a ASVG auch im Fall eines unbezahlten Urlaubs bestehe.

Die Revision des Kl war zulässig und iSd gestellten Aufhebungsantrag auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1 […] Die Anwendbarkeit der Regelungen (nur) des ASVG auf den Kläger, dessen Dienstverhältnis zum Land Wien vor dem 1.1.2001 begründet wurde, wird von der Beklagten nicht bestritten […].

1.2 Die Anspruchsberechtigung auf Krankengeld regelt § 138 ASVG. Anspruch auf Krankengeld haben gemäß § 138 Abs 1 ASVG Pflichtversicherte sowie aus der Pflichtversicherung ausgeschiedene nach § 122 Anspruchsberechtigte, diese jedoch nur bei einem Eintritt des Versicherungsfalles innerhalb der ersten drei Wochen dieser Anspruchsberechtigung. […]

1.3 Anspruch auf Krankengeld haben weiters Selbstversicherte bei geringfügiger Beschäftigung gemäß § 19a ASVG (§ 19a Abs 6 ASVG), nicht jedoch Selbstversicherte gemäß § 16 ASVG (Schober in Sonntag, ASVG9 § 138 Rz 3).

1.4 § 139 ASVG regelt die Dauer des Krankengeldanspruchs. Die Anspruchsberechtigung ist auch für einen Krankengeldanspruch nach dieser Bestimmung nach § 138 Abs 1 ASVG zu beurteilen. […]

1.6 Nach dem festgestellten Inhalt des Versicherungsdatenauszugs weist der Kläger vom 14.12.2016 bis 31.12.2016 eine Zeit der Selbstversicherung gemäß § 16 Abs 1 ASVG aus. Diese löst aber, wie ausgeführt, entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers keinen Anspruch auf Krankengeld aus.

1.7 Aus dem Versicherungsdatenauszug ergibt sich jedoch auch eine laufende Zahlung von Pensionsvorschuss an den Kläger seit 1.7.2016. Bezieher einer Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung (§ 6 Abs 1 Z 3 AlVG) sind gemäß § 40 Abs 1 AlVG während des Bezugs bei der Gebietskrankenkasse ihres Wohnorts in der Krankenversicherung pflichtversichert. […]

1.8 Im fortzusetzenden Verfahren wird daher die Frage der Anspruchsvoraussetzungen des § 138 Abs 1 ASVG mit den Parteien zu erörtern sein. Für die Beurteilung dieser Frage wird auch das erstmalig in der Berufung erstattete Vorbringen des Klägers zu beachten sein, dass er ab 1.11.2016 keine Leistung des AMS mehr erhalte und die bisher erhaltenen Leistungen zurückzahlen müsse. Sollte dies zutreffen, fehlt es an einer Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG aufgrund des Bezugs eines Pensionsvorschusses. […]91

2. Für den Fall der Bejahung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen des § 138 Abs 1 ASVG im fortgesetzten Verfahren ist klarzustellen:

3.1 Der Krankengeldanspruch des § 139 Abs 2a ASVG wurde mit dem SRÄG 2015 geschaffen, um eine auch nach mehrfacher Novellierung des § 23 Abs 4 AlVG verbliebene Versorgungslücke für Personen in einem aufrechten Dienstverhältnis, die die Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit beantragen, zu schließen […].

3.2 Die vom Berufungsgericht angenommene weitere Einschränkung, dass darunter nur ein Dienstverhältnis zu verstehen sein könne, ,aufgrund welches der Dienstnehmer grundsätzlich weiterhin zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet wäre‘, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. […] Maßgeblich ist – wie ausgeführt – die Prüfung der Anspruchsberechtigung gemäß § 138 Abs 1 ASVG. Ist diese zu bejahen, wird im fortzusetzenden Verfahren von einem aufrechten Dienstverhältnis des Klägers auszugehen sein.

4.1 Gemäß § 139a Abs 2 ASVG ist das Krankengeld nur zu zahlen, solange die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit noch anhält. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die vom Erstgericht dazu auf Grundlage der im Verfahren über die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension erstatteten medizinischen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen nicht genügen, um diese Anspruchsvoraussetzung abschließend beurteilen zu können.

4.2 Arbeitsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit nicht oder nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlechtern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten (RIS-Justiz RS0084726; RS0106774). Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0084726).

4.3 Grundlage für die Beantwortung dieser Frage bilden einerseits Feststellungen über den Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten und andererseits solche über seinen Gesundheitszustand. Eine ,Arbeitsunfähigkeit‘ im Sinn des § 120 Abs 1 Z 2 ASVG ist nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG (10 ObS 143/13x, SSV-NF 28/7 mwH). Solche Feststellungen fehlen bisher […]. Sie werden, sollte das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 138 Abs 1 ASVG im fortzusetzenden Verfahren bejaht werden, nachzutragen sein.

Es war daher der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. […]“

ERLÄUTERUNGEN

Mit dem SRÄG 2015 (BGBl I 2015/162) wurde das Sonderkrankengeld in § 139 Abs 2a ASVG eingeführt, um eine aufgrund der Änderung beim Pensionsvorschuss im Rahmen des 2. Stabilitätsgesetzes 2012 (BGBl I 2012/35) entstandene Versorgungslücke zu schließen. Gerade Personen mit aufrechtem Dienstverhältnis sollten nicht gezwungen werden, das Dienstverhältnis aufzugeben, um Leistungen aus der AlV in Anspruch zu nehmen, wenn sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, einen ablehnenden Bescheid im Sozialgerichtsverfahren überprüfen zu lassen.

Nach § 139 Abs 2a ASVG hat Anspruch auf „Sonderkrankengeld“, wer in einem aufrechten Dienstverhältnis steht, nach Ausschöpfung der Höchstdauer keinen Anspruch mehr auf Krankengeld hat, einen ablehnenden Bescheid des Pensionsversicherungsträgers über eine beantragte Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erhalten und auch keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat. Das Sonderkrankengeld ist in der Höhe des zuletzt bezogenen Krankengeldes auszubezahlen, längstens bis zu einer rechtskräftigen Beendigung des Gerichtsverfahrens und nur solange die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit andauert.

Mit der vorliegenden E stellt der OGH klar, dass auch ein karenziertes Dienstverhältnis ein „aufrechtes Dienstverhältnis“ iSd § 139 Abs 2a ASVG ist. Eine Einschränkung auf Dienstverhältnisse, in denen der DN zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet ist, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht.

Wie bereits in der OGH-E vom 16.4.2013, 10 ObS 43/13s, wird nochmals klargestellt, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht gleichbedeutend mit und auch unabhängig von einer vorliegenden Invalidität oder Berufsunfähigkeit zu beurteilen ist (vgl RS0106774). Zur Beurteilung der Frage der Arbeitsunfähigkeit bedarf es Feststellungen zur arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit sowie zum Gesundheitszustand.

Gleichzeitig werden in dieser E aber die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des Krankengeldes nach § 138 ASVG iVm § 122 ASVG auf den Spezialfall des „Sonderkrankengeldes“ nach § 139 Abs 2a ASVG angewandt. Dies ist auffallend, da durch die Anwendung dieser Anspruchsvoraussetzungen der Kreis allfälliger Anspruchsberechtigter kleiner wird, nachdem es nun eine aufrechte Pflichtversicherung geben muss. Würde man einzig die in § 139 Abs 2a ASVG normierten Voraussetzungen heranziehen, wäre die fehlende Pflichtversicherung kein Ausschlussgrund. Dem ursprünglichen Gesetzeszweck, nämlich dem Schließen einer Versorgungslücke, steht diese einschränkende Interpretation wohl eher entgegen und es handelt sich um eine zumindest überraschende Auslegung.92