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Soziale Gestaltungspflicht bei krankheitsbedingter Kündigung kann Mitwirkung des Arbeitnehmers an der Zukunftsprognose erfordern

KLAUSBACHHOFER

Im Rahmen des personenbezogenen Kündigungsgrundes erhöhter Krankenstände ist die Leistungsfähigkeit des AN vom AG nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des AN zu beurteilen. Hat der AG zum Zweck der Beurteilung der Einsatzmöglichkeit des AN mit diesem das Gespräch gesucht und wurde ihm dieses jedoch vom AN verweigert, liegt keine Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht vor, insb wenn der AN selbst auf bleibende – für die Krankenstände ursächliche – Einschränkungen der Leistungsfähigkeit hinwies.

SACHVERHALT

Der 1963 geborene Kl war seit 1981 bei der Bekl als Produktionsarbeiter beschäftigt. Nachdem er 2013 gesundheitliche Beschwerden, konkret Asthma, meldete, wurde er an einem anderen Arbeitsplatz, an dem er keine Nachtdienste leisten musste und die Taktung selbst vorgeben konnte, eingesetzt. Er erhielt aber trotz niedrigerer Bewertung des Arbeitsplatzes denselben Lohn bezahlt. Auf seinen Wunsch hin wurde der Kl 2014 in eine andere Abteilung versetzt, wo wieder Nachtdienste zu leisten waren.218

2013 war der Kl 122 Kalendertage, 2014 acht Kalendertage, 2015 bis 19.10.2015 112 Kalendertage im Krankenstand.

Bei einem Gespräch im Mai 2015 nannte der Kl Asthma und Armschmerzen als Gründe für die Krankenstände, bei einem Gespräch am 26.8.2015 erklärte er, keine Hebetätigkeiten mehr verrichten zu können. Kurz nach diesem letzten Gespräch wurde der Kl noch im August 2015 operiert. Nach der Operation versuchte der Vorgesetzte des Kl, ihn telefonisch zu kontaktieren. Zunächst lehnte der Kl ein Gespräch ab, in der Folge war er nicht mehr erreichbar.

Mit Schreiben vom 23.9.2015 sprach die Bekl die Kündigung zum 29.2.2016 aus. Im Zuge eines Treffens zwischen dem Kl und Vertretern der Bekl am 5.10.2015 erklärte er, nicht schwerere Lasten als 5 kg heben zu können und Probleme mit dem Gefühl in den Fingern zu haben, was auch so bleiben werde. Er konnte sich vorstellen, in der Werkzeugausgabe oder als Hauswart zu arbeiten. Mit diesen Tätigkeiten waren allerdings auch Hebeleistungen von mehr als 5 kg verbunden und Ausbildungen vorausgesetzt, die der Kl nicht hatte.

Im April 2016 unterzog sich der Kl einer weiteren Operation an der Schulter. Nach seiner Scheidung im Oktober 2016 schrieb ihn ein Psychiater bis 23.12.2016 krank. Vom August 2015 bis 23.12.2016 befand sich der Kl durchgehend im Krankenstand. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz lagen bei ihm keine orthopädischen Funktionseinschränkungen vor. Aus orthopädischer Sicht waren zwei Wochen Krankenstand, aufgrund der pulmologischen Erkrankung (Asthma) waren weitere zwei Wochen Krankenstand pro Jahr zu erwarten.

Der Kl ist Vater von drei minderjährigen Kindern. Er verdiente zuletzt € 3.182,12 brutto monatlich, seine Frau € 1.300,– netto monatlich.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies die vom Kl mittels Klage erhobene Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit ab. Angesichts der hohen Krankenstandstage vor der Kündigung habe die Bekl – auch aufgrund der Information durch den Kl – davon ausgehen können, dass sich das Ausmaß der Krankenstandstage nicht mehr ändern werde. Durch die Befreiung von der Nachtschicht und das Bemühen, dem Kl eine Fortsetzung seiner jahrelangen Tätigkeit zu ermöglichen, habe die Bekl ihre soziale Gestaltungspflicht erfüllt. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht kam zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass das Erstgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe, ob die Bekl im konkreten Fall ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen sei. Dem vom Berufungsgericht zugelassenen und von der Bekl eingebrachten Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss gab der OGH Folge. Er stellte das klagsabweisende Ersturteil wieder her.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

4. Im vorliegenden Fall hat der Kläger 2013 122 Kalendertage Krankenstand aufgewiesen. Nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes und einer kurzfristigen Besserung im Jahr 2014 kam es im Jahr 2015 bis zum Oktober zu weiteren 112 Kalendertagen Krankenstand. Es ist davon auszugehen, dass Krankenstände in einem solchen weit überdurchschnittlichen Ausmaß auf dem Arbeitsmarkt auch von einem verständigen Arbeitgeber nicht mehr akzeptiert werden. Zusätzlich wies der Kläger selbst auf bleibende Beeinträchtigungen der Hebeleistung und der Fingersensibilität hin. Von einer Besserung dieser Situation ging er dabei weder vor noch nach der Operation im August 2015 aus. Aufgrund der Entwicklung der vorangehenden Jahre und der Äußerungen des Klägers musste die Beklagte daher davon ausgehen, dass derartige Krankenstände auch in Zukunft auftreten werden. Dies entspricht letztlich auch der tatsächlichen Entwicklung. Der Kläger war bis Dezember 2016 durchgehend im Krankenstand.

5. Dem Berufungsgericht ist jedoch nicht darin zuzustimmen, dass die Beklagte im konkreten Fall ihre soziale Gestaltungspflicht verletzt hat. Dem Kläger wurde aufgrund der von ihm angegebenen Beeinträchtigungen mehrfach der Wechsel des Arbeitsplatzes ermöglicht, er wurde auch für Arbeiten eingesetzt, deren Bewertung niedriger war als der Lohn, den er tatsächlich erhielt. Auf eigenen Wunsch wurde er schließlich […] versetzt. Dort kam es aber nur zu einer vorübergehenden Besserung, dann wieder zu vermehrten Krankenständen. Nach der Operation im August 2015 war der Kläger für die Beklagte trotz Bemühungen nicht erreichbar. Ein in Aussicht genommener Gesprächstermin Ende September wurde vom Kläger nicht wahrgenommen. Eine Erörterung der weiteren Verwendung des Klägers scheiterte an seiner mangelnden Bereitschaft zur Kommunikation.

Richtig ist zwar, dass die Behauptungs- und Beweislast für das Nichtvorhandensein anderer Arbeitsplätze grundsätzlich bei der Beklagten liegt. Gerade im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Ausfällen, die – wie beim Kläger – auf eine allgemeine Minderung des Gesundheitszustands zurückzuführen sind, ist der Arbeitgeber aber auch auf eine gewisse Mitwirkung des Arbeitnehmers angewiesen, da nur dieser die eigene Leistungsfähigkeit beurteilen kann. Anders als bei objektiv betriebsbedingten Kündigungen, bei denen der Arbeitgeber im Rahmen der Organisationsänderung die Einsatzmöglichkeit eines grundsätzlich arbeitsfähigen Arbeitnehmers zu beurteilen219 hat, ist im Rahmen des personenbezogenen Kündigungsgrundes erhöhter Krankenstände die Leistungsfähigkeit vom Arbeitgeber nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des Arbeitnehmers zu beurteilen. Die Beklagte hat zu diesem Zweck nach der Operation im August 2015 auch das Gespräch mit dem Kläger gesucht, dieses wurde von ihm jedoch verweigert. In der Folge konnte der Kläger sich bei einer Besprechung erst nach Ausspruch der Kündigung nur Ersatztätigkeiten vorstellen, für die ihm die erforderliche Ausbildung fehlte. Dass er ungeachtet dessen über die dafür erforderlichen Kenntnisse (entsprechend einem Lehrabschluss bzw einer Facharbeiterausbildung) verfügte bzw diese in einer der Beklagten zumutbaren Einarbeitungsfrist hätte erwerben können, wird auch vom Kläger nicht behauptet.

Berücksichtigt man diese Gesamtumstände, insbesondere dass der Kläger selbst auf bleibende – für die Krankenstände ursächliche – Einschränkungen der Hebeleistung und in der Fingerfertigkeit hinwies, kann auch bei Anwendung der zuvor dargestellten strengen Grundsätze keine Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht der Beklagten gesehen werden.

Dazu kommt, dass der Kläger nicht nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (29.2.2016), sondern auch darüber hinaus bis Dezember 2016 im Krankenstand war, weshalb von einer Einsatzfähigkeit auch für andere als die zuletzt ausgeübten Tätigkeiten nicht ausgegangen werden kann.

Der Beklagten ist damit der Nachweis gelungen, dass beim Kläger wesentliche personenbedingte Kündigungsrechtfertigungsgründe vorliegen.“

ERLÄUTERUNG

Mit dieser E bestätigt der OGH einerseits, dass er grundsätzlich auch von einer den AG treffenden sozialen Gestaltungspflicht im Falle des Vorliegens eines personenbezogenen Kündigungsgrundes wie dem langen Krankenstand und nicht nur von betrieblichen Kündigungsgründen ausgeht.

Andererseits legt er im Zusammenhang mit der vom AG im Kündigungszeitpunkt zu erstellenden Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des AN Anforderungen fest, die es dem AG, der oftmals im Unklaren über den Gesundheitszustand des AN ist, ermöglichen bzw erleichtern sollen, diese vorzunehmen. Da der AN naturgemäß seine eigene Leistungsfähigkeit eher als der AG beurteilen kann, muss er an der Zukunftsprognose insofern mitwirken, als er dem AG Auskünfte über seine Einsatzfähigkeit erteilt bzw Gesprächen zu diesem Thema zur Verfügung steht. Diese Mitwirkungspflicht gilt umso mehr, als – wie im vorliegenden Fall – eine durchgeführte Operation Anlass für die Annahme gibt, das zuletzt vom AN bekanntgegebene Leistungskalkül könnte sich verbessert haben.

Im konkreten Fall erscheint bemerkenswert, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz aus orthopädischer Sicht an sich keine Funktionseinschränkungen und lediglich zwei Wochen jährlich erwartbarer Krankenstand festgestellt wurden, aus pulmologischer Sicht (nur) weitere zwei Wochen Krankenstand pro Jahr. Bemerkenswert deshalb, da die Rsp bei vier Krankenstandswochen im Jahr an sich noch nicht von einem überdurchschnittlichen Krankenstandsausmaß, das einen planmäßigen Einsatz des AN verunmöglicht und so einen personenbezogenen Kündigungsgrund darstellen kann, ausgeht. Eigentlich wäre unter den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen also eine positive Zukunftsprognose abzuleiten gewesen.

Für den OGH reichten aber dennoch offenbar zwei Umstände aus, um die vom Erstgericht getroffene negative Zukunftsprognose zu billigen:

Zum einen durfte der AG in Ermangelung aktueller Information durch den AN aufgrund des zuletzt wieder ansteigenden Krankenstandsverlaufs in der Vergangenheit – und auch aufgrund der letzten Äußerungen des Kl selbst – berechtigterweise auf einen dementsprechenden Verlauf in der Zukunft schließen.

Abschließend kann noch angemerkt werden, dass die Frage des möglichen Vorliegens einer Behinderung auf Seiten des AN und die damit einhergehende Problematik, dass ein diskriminierungsrechtlich geschütztes Merkmal als Rechtfertigungsgrund einer Kündigung herangezogen wird, offenbar im Verfahren keine Rolle gespielt hat. Gem § 3 BEinstG ist vom Vorliegen einer Behinderung dann auszugehen, wenn Auswirkungen einer voraussichtlich mehr als sechs Monate dauernden körperlichen Funktionsbeeinträchtigung vorliegen, die die Teilhabe am Arbeitsleben erschweren. Dies würde eigentlich auf den Kl zutreffen. Gleichzeitig verbietet § 7b Z 7 BEinstG, aufgrund220 einer Behinderung bei der Beendigung eines Dienstverhältnisses diskriminiert zu werden. Die Bekl beruft sich aber vielmehr sogar auf diesen Umstand, um ihre Kündigung zu rechtfertigen, und macht sich einen Diskriminierungsgrund als Kündigungsgrund zunutze.

Wäre diese Problematik vom Kl im Verfahren eingewendet worden, hätte ihm aber vermutlich seine mangelnde Mitwirkung an der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit ebenso zum Nachteil gereicht. Dem AG hätte wohl ebenso Auskunft über das Leistungskalkül erteilt werden müssen, um ihn in die Lage zu versetzen, eine zumutbare Beseitigung von Barrieren, die dem AN die Teilhabe am Arbeitsleben erschweren, vorzunehmen.