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Unterschiedliche Schwerarbeitsregelungen für Polizisten

ALEXANDERDE BRITO
§ 1 Z 4 SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 und SchwerarbeitsV BGBl II 2006/105

Unterschiede zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Dienstverhältnis rechtfertigen es, die Rechte und Pflichten der Bediensteten jeweils unterschiedlich zu gestalten. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für eine Pensionsleistung für alle Systeme gleichartig zu regeln, besteht nicht.

SACHVERHALT

Der 1957 geborene Kl ist seit 1985 Vertragsbediensteter der Stadtgemeinde H. Er war und ist als Stadtpolizist dieser Stadtgemeinde tätig und als solcher überwiegend im Außendienst eingesetzt. Seinem Dienstverhältnis liegt das Salzburger Gemeindevertragsbedienstetengesetz 2001 (und nicht das BDG 1979) zugrunde; er ist nach dem ASVG versichert. Seine Tätigkeit umfasst aber dieselben Aufgaben und Rechtsgebiete wie jene eines im Beamtendienstverhältnis stehenden Bundespolizisten. Darüber hinaus ist er mit einigen Zusatzaufgaben betraut. Er hat auch dieselbe 18-monatige Ausbildung zum Sicherheitswachebeamten absolviert wie die im Bundesdienst tätigen Bundespolizisten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 12.7.2016 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum Mai 1997 bis Juni 2016 ab. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten in diesem Zeitraum gerichtete Klagebegehren.

Der Kl brachte vor, die SchwerarbeitsV BGBl II 2006/105 gelte zwar nur für Bundesbeamte und nicht für ihn als Gemeindepolizisten. Zur Vermeidung gleichheitswidriger Ergebnisse sei aber die analoge Anwendung des § 1 Abs 4 lit a dieser VO erforderlich. Nach dieser Regelung gelten als Schwerarbeit auch Tätigkeiten mit erhöhter Gefährdung, ua die Tätigkeit eines Exekutivorgans des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), sofern zumindest die Hälfte der monatlichen Dienstzeit im Außendienst geleistet werde. Seine Tätigkeit als Stadtpolizist im Vertragsbedienstetenverhältnis erfülle diese Tatbestandsvoraussetzungen.

Die Bekl bestritt und beantragte Klageabweisung. Besonders belastende Berufstätigkeit nach dem254 ASVG seien in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 inhaltlich anders geregelt, als für Bundesbeamte nach der VO BGBl II 2006/105. Auf nach dem ASVG versicherte Gemeindevertragsbedienstete sei diese VO nicht anwendbar. Eine analoge Anwendung auf diese Personengruppe komme mangels Vorliegens einer Regelungslücke nicht in Betracht.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der enge inhaltliche und zeitliche Zusammenhang, in dem die SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 (zu APG und ASVG) und die VO BGBl II 2006/105 (zum BDG) erlassen worden seien, gegen das Vorliegen einer ungewollten Lücke in der VO spreche. Nach stRsp des OGH und des VfGH liege in unterschiedlichen Regelungen für Vertragsbedienstete und Beamte auch keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darin liege, ob auch die in einem Vertragsbedienstetenverhältnis stehenden Stadtpolizisten Anspruch auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten haben.

Die Revision des Kl war zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„I. Zur V BGBl II 2006/104

I.1 § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 4 APG setzen voraus, dass der (die) Versicherte innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate aufgrund von Tätigkeiten erworben hat, die unter körperlich und psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden bzw unter ‚psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen‘. Nach beiden Bestimmungen soll die Festlegung, welche Tätigkeiten als Schwerarbeit gelten, durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nach Anhörung der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen festzustellen sein.

I.1.3 Die daraufhin erlassene Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104) enthält in § 1 bestimmte taxativ aufgezählte Einzeltatbestände, in denen Tätigkeiten, aber keine Berufsgruppen aufgelistet sind. […]

II. Zur V BGBl II 2006/105

II.1.1 Das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG) ist auf alle Bediensteten anzuwenden, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehen und die als ‚Beamte‘ bezeichnet werden (§ 1 Abs 1 BDG).

II1.2 Nach § 15b Abs 1 BDG ist eine Versetzung des Beamten in den Ruhestand (frühestens) mit Vollendung des 60. Lebensjahres möglich, wenn er nach dem vollendeten 18. Lebensjahr eine Gesamtdienstzeit von 504 Monaten, davon mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate, aufweist. Gemäß § 15b Abs 2 BDG hat die Bundesregierung mit Verordnung festzulegen, unter welchen psychischen und physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Schwerarbeit vorliegt.

II.2.1 Auf dieser Grundlage wurde parallel zur V BGBl II 2006/104 des Bundesministeriums für Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz die Verordnung der Bundesregierung über besonders belastende Berufstätigkeiten, BGBl II 2006/105, erlassen, die auf den Bereich des öffentlichen Dienstes Anwendung findet und (ebenfalls) am 1.1.2007 in Kraft trat.

II.2.2 Sie gilt für Bundesbeamte und im Wege des APG auch für (Bundes)Vertragsbedienstete.

II.3.1 Nach § 1 dieser Verordnung ist die Schwerarbeitsverordnung BGBl II 2006/104 mit den in Z 1 bis 3 enthaltenen Maßgaben im Bereich des Bundesdienstes anzuwenden. In § 1 Z 4 werden zusätzlich Tätigkeiten mit erheblich erhöhtem Gefährdungspotential erfasst. Kennzeichnend für diese beruflichen Tätigkeiten ist, dass eine atypische Gefahrenquelle aufgesucht werden und in deren erhöhtem Risikobereich verharrt werden muss (Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 46). Als solche gelten ausschließlich Tätigkeiten als

a) Exekutivorgan des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl 1991/566, die zumindest die Hälfte ihrer monatlichen Dienstzeit tatsächlich als wachespezifischen Außendienst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausüben. […]

II.3.2 Demnach wird mit § 1 der V BGBl II 2006/105 der Bundesregierung die SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz auch für Bundesbeamte anwendbar erklärt. Zugleich wird die V der Bundesregierung mit Ziffer 4 um einen zusätzlichen Tatbestand erweitert, der sich in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 nicht findet.

II.4.1 Voraussetzung dafür, dass das Fehlen dieses oder eines ähnlichen Tatbestands in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 eine Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit darstellt, wäre, dass deren Wertungen und Zweck die Annahme rechtfertigen, der Verordnungsgeber habe diesen – nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt – übersehen (RIS-Justiz RS0008866 [T7, T10, T27]).

4.2 Gegen eine derartige Annahme spricht aber nicht nur das zeitliche Zusammenfallen des In-255krafttretens der beiden Verordnungen, sondern vor allem auch der Umstand, dass Schwerarbeit durch bestimmte taxativ nebeneinanderstehende – sehr unterschiedliche – Einzeltatbestände umschrieben wird, die das Ergebnis eines zähen Ringens der beruflichen Interessenvertretungen darstellen (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG, SchwerarbeitsV [96. ErgLfg] Rz 1). Geht man davon aus, dass die einzelnen Tatbestände jene sind, auf die sich die Verhandlungspartner letztlich einigen konnten, ist nicht zu vermuten, dass eine dem § 1 Z 4 der Verordnung der Bundesregierung entsprechende Regelung nur deshalb nicht geschaffen wurde, weil auf Tätigkeiten mit erhöhtem Gefährdungspotential (wie sie etwa auch die Tätigkeiten eines Personenschützers darstellen könnten) ‚vergessen‘ wurde. […]

II.4.3 Weiters wiederholt der Revisionswerber seinen Standpunkt, für die Beurteilung, ob eine bestimmte Tätigkeit physisch oder psychisch besonders belastend sei, könne es keinen Unterschied machen, ob diese Tätigkeit von einem Beamten oder einem Vertragsbediensteten verrichtet werde, weshalb die geltende Rechtslage zu einer Ungleichbehandlung führe. Auch dieses Vorbringen kann aber die vom Revisionswerber gewünschte analoge Anwendung des § 1 Z 4 der V 2006/105 der Bundesregierung nicht rechtfertigen. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, handelt es sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (das den Ruhestand einschließt) einerseits und bei der Materie der gesetzlichen Sozialversicherung andererseits um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete. Es ist daher verfehlt, Teilbereiche der diese Materie regelnden Vorschriften herauszugreifen und aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes miteinander zu vergleichen (zB VfGHG 300/02 ua, VfSlg 16.923). Unterschiede zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Dienstverhältnis rechtfertigen es, die Rechte und Pflichten der Bediensteten jeweils unterschiedlich zu gestalten (VfGHB 1316/04, VfSlg 17.428). […]

II.5 Zusammenfassend kommt die analoge Anwendung des § 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung der Bundesregierung BGBl II 2006/105 auf die vom Kläger verrichtete Tätigkeit nicht in Betracht.“

ERLÄUTERUNG

Der Umstand, dass der Gesetzgeber die nähere Definition von Schwerarbeit den beruflichen Interessenvertretungen mit Zustimmung der Bundesregierung überlassen hat, bringt es mit sich, dass beim „zähen Ringen“ je nach Verhandlungsmacht der Interessenvertretungen, unterschiedliche Regelungen erreicht wurden. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass für eine der wichtigsten Berufsgruppen mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad wie der Polizei Sonderregelungen erreicht werden konnten, die für andere Berufsgruppen nicht gelten. Die vorliegende E zeigt daher nicht nur auf, dass eine Regelungslücke aufgrund der Entstehungsgeschichte der Schwerarbeitsverordnungen nicht vorliegen kann, sondern auch, wie wichtig starke Interessenvertretungen sind. Auch die zeitliche Nähe der Entstehung der Schwerarbeitsverordnungen spricht – wie auch schon die Vorinstanzen aufgezeigt haben – gegen das Vorliegen einer Regelungslücke. Spannender scheint daher die Verfassungskonformität der Verordnungen im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot. Dass Ruhestandsregelungen, die im Rahmen des Beamtendienstrechts entstanden sind, historisch gesehen nicht mit anderen Pensionsregelungen vergleichbar sind, ist nachvollziehbar. Wurden doch im Zuge der Harmonisierung der Pensionssysteme nur die Leistungshöhe harmonisiert. Die Anspruchsvoraussetzungen wurden auch für neue Leistungen wie etwa der Schwerarbeitsregelung unterschiedlich definiert. So ist nach dem BDG eine Gesamtdienstzeit von 504 Monaten bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für die Schwerarbeitsregelung ausreichend, ASVG Versicherte benötigen 540 Monate Versicherungszeit. Rätselhaft scheint nur die Bemerkung zur Anwendbarkeit der SchwerarbeitsVO BGBl II 2006/105 (für BeamtInnen) unter II.2.2: „Sie gilt für Bundesbeamte und im Wege des APG auch für (Bundes)Vertragsbedienstete.“ Wäre dem so, dann erschiene die Möglichkeit der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von zwei Gruppen von Vertragsbediensteten mit dem Beamtendienstrecht fraglich, weil im Unterschied zum Beamtendienstrecht für beide Gruppen vergleichbare Arbeitsverträge und Normen gelten, und daher eine Vergleichbarkeit gegeben ist.256