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Die Obliegenheit, ein Zwischendienstverhältnis einzugehen, besteht nur in Bezug auf Tätigkeiten, die dem AN zumutbar sind

MARTINACHLESTIL
OGH 21.3.2018, 9 ObA 148/17

Der Kl (geb 1966) war seit 1.2.1990 bei der Bekl (im Bankensektor) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete während des Krankenstandes des Kl (vom 2.4.2013 bis 30.8.2014) am 24.7.2013 durch Entlassung. Dem vom Kl eingebrachten Klagebegehren, dass sein Arbeitsverhältnis zur Bekl mangels Entlassungsgrund über den 24.7.2013 hinaus aufrecht bestehe, wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 13.7.2015 stattgegeben (nicht rechtskräftig). Die Bekl zog im Hinblick auf ihre – auf Grund des aufrechten Arbeitsverhältnisses bestehenden – Entgeltzahlungspflicht gem § 1155 ABGB ab September 2014 vom laufenden Arbeitsentgelt und den Sonderzahlungen monatlich € 3.000,– brutto ab, weil der Kl es spätestens ab dem Ende seines Krankenstandes absichtlich verabsäumt habe, eine adäquate Ersatzbeschäftigung aufzunehmen und sich aktiv zu bewerben. Gem § 1155 Abs 1 2. Halbsatz ABGB muss sich der AN auf das ihm gebührende Entgelt ua anrechnen lassen, was er zu erwerben absichtlich versäumt hat.214

Mit vorliegender Klage begehrt der Kl (unter Berücksichtigung seines Einkommens aus einer geringfügigen Beschäftigung) die Gehaltsdifferenzen für den Zeitraum 1.9.2014 bis 31.12.2016. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Bekl erhobenen Berufung hingegen teilweise Folge. Der OGH erachtete die vom Kl erhobene außerordentliche Revision für zulässig und berechtigt und stellte das Ersturteil in seiner Gesamtheit wieder her.

Ein absichtliches Versäumen iSd § 1155 Abs 1 1. HS ABGB liegt nicht erst vor, wenn der AN ein ihm konkret angebotenes zumutbares Vertragsanbot ausschlägt, um die Anrechnung zu verhindern, sondern bereits dann, wenn er keine Bemühungen anstellt, eine Zwischenarbeit zu finden, obwohl ihm bekannt sein muss, dass solche Bemühungen durchaus erfolgsversprechend sein können. Von einem absichtlichen Versäumen des Erwerbs ist daher auch dann auszugehen, wenn der AN in der Einschätzung aller Umstände, insb der Tatsache, dass er an seinem Arbeitsplatz keinesfalls benötigt wird, und bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengungen unternimmt, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die ihm nach Treu und Glauben zumutbar ist und die seiner Qualifikation und seiner bisherigen Beschäftigung im Rahmen des Arbeitsvertrags entspricht.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr zweifelhaft, dass dem Kl eine Arbeitsplatzsuche vor Beendigung seines (zweiten) Krankenstandes zum 1.3.2015 nicht zumutbar war. Für den Folgezeitraum ab April 2015 steht aber fest, dass es dem Kl möglich gewesen wäre, innerhalb von zwei bis drei Monaten bei entsprechendem Bewerbungsverhalten eine Stelle als kaufmännischer Angestellter im Rechnungswesen und in der Versicherungsvermittlung im Raum Kärnten mit einem Bruttomonatsgehalt von ca € 2.000,– aufzunehmen, woraus das Berufungsgericht die Obliegenheit des Kl zum Eingehen eines Zwischendienstverhältnisses ab Juni 2015 ableitete. Dem hält der OGH jedoch mehrere Aspekte entgegen:

Der Kl stand von Beginn an in Kontakt mit dem Arbeitsmarktservice (AMS), befand sich aufgrund seines Gesundheitszustands in einer Spezialberatung für berufliche Rehabilitation, konzentrierte seine Jobsuche, nachdem ihm im Bankensektor keine offenen Stellen zur Bewerbung angeboten werden konnten, auf Zeitungsinserate und stellte seine Daten als Arbeitssuchender auf eine Internetplattform. Auch versuchte er über persönliche Kontakte eine Beschäftigung im öffentlichen Bereich zu erlangen. Im noch strittigen Zeitraum nahm er eine ihm angebotene geringfügige Beschäftigung an und nahm ab August 2015 auch an einer Bewerbungsberatung mit dem Ziel teil, neue Suchkanäle zu lukrieren.

Die Obliegenheit, ein Zwischendienstverhältnis einzugehen, besteht auch nur in Bezug auf solche Tätigkeiten, die einem AN zumutbar sind. Die Zumutbarkeit der anderen Beschäftigung wird angenommen, wenn an sie der Qualifikation und bisherigen Beschäftigung des AN entspricht und auch sonst nach Treu und Glauben zumutbar ist. Da der Kl mit der Aufnahme eines ihm möglichen Zwischendienstverhältnisses eine markante Einkommenseinbuße (Netto-Einkommensverringerung von mehr als 40 %) hinzunehmen gehabt hätte und auch mit einer qualitativen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (höhere körperliche Anforderungen sowie geographische und berufliche Mobilität) zu rechnen gewesen wäre, kann ihm insgesamt ein absichtliches Versäumen einer zumutbaren Ersatzbeschäftigung nicht vorgeworfen werden.