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Kein Sonderzahlungsanspruch bei Arbeitgeberkündigung vor Ablauf der „Wartefrist“ trotz weiterführender Entgeltfortzahlung gemäß § 5 EFZG

MANFREDTINHOF
§ 5 EFZG; Pkt 14 KollV Hotel- und Gastgewerbe

Sieht ein KollV vor, dass der Anspruch auf eine Jahresremuneration dem Grunde nach erst nach einer bestimmten Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht und endet dieses noch vor Ablauf der erforderlichen Zeit, dann umfasst der Fortzahlungsanspruch nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auch im weiter dauernden Krankenstand nur das Entgelt, das vor der Beendigung regelmäßig gebührt hat. Ein Anspruch, der nur dann entstanden wäre, wenn das Arbeitsverhältnis fiktiv über den Termin der (rechtmäßigen) Beendigung hinaus gedauert hätte, ist bei einer auf § 5 EFZG gegründeten Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen.

SACHVERHALT

Die Kl war ab 2.5.2016 bei der Bekl als Befüllerin von Automaten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch AG-Kündigung am 23.5.2016. Die Kl befand sich vom 23.5. bis 13.8.2016 im Krankenstand und erhielt Entgeltfortzahlung nach § 5 EFZG bis zur Ausschöpfung des Anspruchs (sechs Wochen volles und vier Wochen halbes Entgelt).

Gem Pkt 14 des anzuwendenden KollV für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe gebührt jenen AN eine Jahresremuneration, die mindestens zwei Monate ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind.

Die Kl begehrte die Zahlung einer aliquoten Jahresremuneration gem Pkt 14 KollV unter Berufung auf § 5 EFZG, da unter Berücksichtigung der Entgeltfortzahlung die „Wartefrist“ von zwei Monaten überschritten worden sei. Die Bekl wandte ein, der Anspruch auf Jahresremuneration entstehe erst, wenn das Dienstverhältnis mindestens zwei Monate gedauert habe, was bei der Kl nicht der Fall gewesen sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der OGH ließ die Revision der Kl zu, erachtete sie jedoch nicht für berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Nach § 5 EFZG bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet, wenn der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen wird oder wenn den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers trifft.

Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Dienstverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst (RIS-Justiz RS0109426 [T1]). Der Zeitpunkt des rechtlichen Endes des Arbeitsverhältnisses wird durch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung nicht hinausgeschoben (vgl 9 ObA 123/10v; 9 ObA 13/07p).

2. Als regelmäßiges Entgelt gilt nach § 3 EFZG das Entgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn keine Arbeitsverhinderung eingetreten wäre. Es ist vom arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff auszugehen, der außer dem Grundlohn auch anteilige Sonderzahlungen beinhaltet, wenn und soweit darauf nach Kollektivvertrag oder Vereinbarung ein231 Anspruch besteht. Diese Rechtsauffassung ist im vorliegenden Verfahren auch gar nicht strittig.

3. Entscheidend ist hier vielmehr, ob der nach dem arbeitsrechtlichen Ende des Dienstverhältnisses gelegene Zeitraum eines Krankenstands bei der Entstehung oder Bemessung der zeitabhängigen Entgeltfortzahlungsansprüche gemäß § 5 EFZG noch einzurechnen ist und anspruchsbegründend wirkt. […]

3.5. Sieht ein Kollektivvertrag, wie der hier anzuwendende, daher vor, dass der Anspruch auf eine Jahresremuneration dem Grunde nach erst nach einer bestimmten Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht und endet es noch vor Ablauf der erforderlichen Zeit, dann umfasst der Fortzahlungsanspruch nach § 5 EFZG auch im weiter dauernden Krankenstand nur das Entgelt, das vor der Beendigung regelmäßig gebührt hat. Ein Anspruch, der nur dann entstanden wäre, wenn das Arbeitsverhältnis fiktiv über den Termin der (rechtmäßigen) Beendigung hinaus gedauert hätte, ist bei einer auf § 5 EFZG gegründeten Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen.“

ERLÄUTERUNG

Die Bestimmung des § 5 EFZG sowie die für Angestellte geltende und im Wesentlichen gleichlautende Regelung des § 9 Abs 1 AngG sollen AG daran hindern, Kündigungen im Krankenstand auszusprechen, weil ansonsten für diese die Gefahr besteht, auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus das Entgelt weiterzahlen zu müssen (falls der Krankenstand weiter andauert und noch ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegeben ist). Ohne diese Bestimmung wäre es für AG ein Leichtes, erkrankte AN ohne großen finanziellen Aufwand „loszuwerden“. Vor allem Arbeiter wären die Leidtragenden, da bei diesen in den meisten Fällen wesentlich kürzerer Kündigungsfristen einzuhalten sind als bei Angestellten. Zu einer Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an die der Angestellten kommt es ja bekanntlich erst ab dem Jahr 2021. Bereits mit 1.7.2018 ist allerdings eine andere wesentliche Gesetzesänderung in Kraft getreten: Die §§ 5 EFZG und 9 Abs 1 AngG wurden dahingehend ergänzt, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch dann bestehen bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis während eines oder im Hinblick auf einen Krankenstand einvernehmlich beendet wird. So sollen AN, auf welche Druck zum Abschluss einer einvernehmlichen Lösung im Krankenstand ausgeübt wird, entlastet werden.

Welche Entgelte sind nun aber von der im § 5 EFZG geregelten Entgeltfortzahlung umfasst? Klar ist, dass sich nach dem arbeitsrechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses kein weiterer Urlaubsanspruch ansammeln und auch kein weiterer Abfertigungssprung bei „Abfertigung alt“ entstehen kann. Es muss das „regelmäßige Entgelt“ weiterbezahlt werden. Darunter sind neben dem Lohn, Überstunden, Zulagen usw grundsätzlich auch die Sonderzahlungen, also Urlaubs- und Weihnachtsgeld, zu verstehen. Im vorliegenden Fall ist jedoch der Sonderfall eingetreten, dass im Zeitpunkt des arbeitsrechtlichen Endes des Dienstverhältnisses die kollektivvertraglich vorgesehene „Wartefrist“ für die Sonderzahlungen noch nicht verstrichen war. Die Gerichte entschieden, dass die Sonderzahlungen hier ausnahmsweise nicht in der Entgeltfortzahlung nach § 5 EFZG zu berücksichtigen seien, weil sie vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gebührt hätten. Somit sei es hier auch nicht zu einer missbräuchlichen Umgehung der Entgeltfortzahlungspflicht gekommen.

Da der Krankenstand im gegenständlichen Fall erst am 23.5.2016 begonnen hat, muss die am selben Tag ausgesprochene AG-Kündigung wohl eine fristwidrige gewesen sein. Dies hätte der AN im Hinblick auf den Anspruch auf Sonderzahlungen jedoch nur dann genützt, wenn die zweimonatige „Wartefrist“ inklusive der kollektivvertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist von 14 Tagen, die vom AG einzuhalten gewesen wäre, erreicht worden wäre. Durch den dann zustehenden Schadenersatzanspruch in Form einer Kündigungsentschädigung wäre die AN nämlich so wie bei ordnungsgemäßer AG-Kündigung zu stellen gewesen. Dies war aber hier nicht der Fall, da das Dienstverhältnis erst am 2.5.2016 begonnen hatte.