31

Witwenpension Geschiedener: Keine Kombination eines befristeten titulierten Anspruchs mit faktischen Zahlungen

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Die Regelungen in § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG einerseits und § 258 Abs 4 lit d ASVG andererseits können nicht in der Form kombiniert werden, dass für die Erfüllung der in § 258 Abs 4 lit d ASVG normierten Jahresfrist auch Zeiten der Gewährung von Unterhalt aufgrund der Verpflichtung aus einem befristeten Unterhaltstitel herangezogen werden können.

[...]

Die zwischen der Kl und Ewald U am 16.10.1993 vor dem Standesamt T geschlossene Ehe wurde am 7.5.2012 [...] gem § 55a EheG im Einvernehmen geschieden. Über die Scheidungsfolgen wurde eine schriftliche Vereinbarung verfasst, gemäß deren Pkt 4 sich Ewald U verpflichtet, seiner ehemaligen Ehegattin ab 1.6.2012 bis 31.5.2016 monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.200 € zu leisten. Ab dem 1.6.2016 verzichtete die Kl auf jedweden Ehegattenunterhalt, auch für den Fall geänderter Umstände, geänderter Rechtslage, unverschuldeter Not oder Krankheit. Ewald U wies in der Folge monatlich regelmäßig die vereinbarte Unterhaltszahlung an. Nach Auslaufen des Dauerauftrags sagte er der Kl seine weitere finanzielle Unterstützung zur Deckung deren Unterhaltsbedarfs zu. Bei einem Besuch am 24.6.2016 hinterließ er zu ihrer Unterstützung 1.000 € auf dem Wohnzimmertisch. Anlässlich eines weiteren Besuchs zwischen 7. und 10.7.2016 übergab er ihr 800 € und sagte zu, wieder einen Dauerauftrag einzurichten. Die Kl (die Rehabilitationsgeld bezieht) ist aufgrund ihrer monatlichen Ausgaben für Miete, Strom, Heizkosten, Versicherungen und krankheitsbedingter Taxikosten auf zusätzliche Einnahmen in Form von Unterhaltsunterstützungsleistungen angewiesen.

Am 31.7.2016 verstarb Ewald U.

Mit Bescheid vom 13.9.2016 lehnte die Bekl den Antrag der Kl vom 1.8.2016 auf Gewährung der Witwenpension ab.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl [...] zur Leistung einer Witwenpension in der gesetzlichen Höhe ab 1.8.2016. Rechtlich ging es davon aus, dass Ewald U der Kl ohne Unterbrechung und über den im Scheidungsvergleich geregelten Zeitraum hinaus regelmäßig seit Juni 2012 bis zu seinem Tod tatsächlich Unterhalt zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs geleistet habe, sodass Anspruch auf Witwenpension nach § 258 Abs 4 Z 1 lit d ASVG bestehe. Die geforderte Mindestdauer der Unterhaltsleistung von einem Jahr sei erfüllt.

Infolge Berufung der Bekl änderte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass die Kl abgewiesen wurde. Der Kl gebühre nach der Scheidung die Witwenpension dann, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt aufgrund eines in § 258 Abs 4 Z 1 lit a bis c ASVG genannten Rechtstitels (Urteil, gerichtlicher Vergleich, vertragliche Verpflichtung) zu leisten hatte. Zum Todeszeitpunkt des verstorbenen Gatten der Kl im Juli 2016 habe eine solche Verpflichtung nicht mehr bestanden, da die im Scheidungsvergleich festgehaltene Unterhaltsverpflichtung mit Ablauf des Mai 2016 geendet habe. Auch ein Anspruch auf Witwenpension gem § 258 Abs 4 lit d ASVG sei zu verneinen, weil der tatsächliche Unterhalt nicht während der Mindestdauer von einem Jahr vor dem Tod des Versicherten geleistet worden sei. Bei § 258 Abs 4 lit d ASVG handle es sich um eine Ausnahmeregelung, die streng zu prüfenden formalen Erfordernissen unterliege. Eine „Kombination“ aus Unterhaltsleistungen gem § 258 Abs 4 lit b ASVG und § 258 Abs 4 lit d ASVG, um die von § 258 Abs 4 lit d ASVG vorausgesetzte einjährige Mindestdauer zu erreichen, komme nicht in Betracht. Zudem habe der Versicherte nach dem 31.5.2016 nur zwei Zahlungen geleistet, sodass die erforderliche Regelmäßigkeit nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zu der Frage, ob für den Anspruch auf Witwenpension zur Erfüllung der einjährigen Mindestdauer des § 258 Abs 4 lit d ASVG eine Kombination aus mehreren Tatbeständen möglich sei, keine Rsp des OGH vorliege.

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin vertritt zusammengefasst den Standpunkt, der verstorbene Versicherte habe an sie seit Jahren bis zu seinem Tod durchgehend Unterhaltsleistungen erbracht, sodass die geforderte Mindestdauer von einem Jahr nach § 258 Abs 4 lit d ASVG erfüllt sei. Es sei dabei unerheblich, ob diese Zahlungen auf einem Titel basieren; ausschließlich maßgeblich sei, dass die Zahlungen mehr als ein Jahr lang zur Deckung von Unterhaltsbedarf geleistet wurden.

Dazu ist auszuführen:

1. An sich wird für den Anspruch auf Witwenpension vorausgesetzt, dass die Ehe im Todeszeitpunkt aufrecht ist.

2. § 258 Abs 4 ASVG eröffnet ausnahmsweise auch dem geschiedenen Ehegatten einen Anspruch auf Witwenpension. Unter besonderen, dort aufgezählten taxativen Voraussetzungen (10 ObS 120/87, SSV-NF 1/63, zu § 258 Abs 1 lit a bis c ASVG) kommt auch dem überlebenden Ex-Ehegatten trotz Scheidung ein Anspruch auf Witwenpension zu. Dieser Anspruch setzt entweder das Bestehen eines titelmäßig bestehenden Unterhaltsanspruchs (§ 258 Abs 4 lit a bis c ASVG) oder die faktische Leistung von Unterhalt durch gewisse Zeit (§ 258 Abs 4 lit d ASVG) voraus (Neumayr, Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Ehescheidung, Teil II, Pensionsversicherung, FamZ 2007, 40; Neumayr in SV-Komm [90. Lfg] § 258 Rz 43).

3.1 Nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG besteht der Witwenpensionsanspruch, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes aufgrund eines (der in dieser329Gesetzesstelle erschöpfend aufgezählten) Rechtstitels (Urteil, gerichtlicher Vergleich, vertragliche Verpflichtung) Unterhalt oder einen Unterhaltsbeitrag zu leisten hatte. Nach dem Gesetzeswortlaut hängt der Anspruch auf Witwenpension nach den Tatbeständen nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG nicht von der tatsächlichen Leistung, sondern davon ab, ob der Versicherte aufgrund eines der dort genannten Unterhaltstiteln im Zeitpunkt des Todes zu Unterhaltsleistungen (aufrecht) verpflichtet war (10 ObS 285/99f, SSV-NF 13/128 uva).

3.2 Nach den Feststellungen traf dies auf den geschiedenen Ehegatten der Kl zum Zeitpunkt dessen Todes nicht mehr zu. Die Rechtsansicht, mangels aufrechten Bestehens einer derartigen Verpflichtung sei nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG kein Anspruch auf Witwenpension gegeben, steht daher im Einklang mit der Rsp des OGH (10 ObS 285/99f, SSV-NF 13/128 mwN; 10 ObS 66/92, SSV-NF 6/43 ua). Die bloße Zahlung von Unterhalt, ohne dass der Versicherte dazu verpflichtet wäre, genügt für den Witwenpensionsanspruch nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG nicht. Im Übrigen hätte der Kl die Witwenpension längstens bis zum Endtermin der befristeten titelmäßigen Unterhaltsverpflichtung gebührt, wenn ihr geschiedener Ehegatte schon vor diesem Endtermin verstorben wäre (RIS-Justiz RS0117014).

4.1 Um aus der Anwendung des § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG entstehende Härtefälle zu vermeiden, steht aufgrund der seit 1.7.1993 in Kraft stehenden Fassung des § 258 Abs 4 lit d ASVG idF 51. ASVG-Nov, BGBl I 1993/335, die Witwenpension einem geschiedenen Ehegatten auch dann zu, wenn zwar ein Unterhaltstitel fehlt, der Versicherte aber regelmäßig zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ab einem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Scheidung bis zu seinem Tod, mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod, Unterhalt geleistet hat. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass die Ehe – wie im vorliegenden Fall – mindestens 10 Jahre gedauert hat. Mit dieser (weiteren) Ausnahmeregelung (10 ObS 47/14f, SSV-NF 28/31) wollte der Gesetzgeber ausschließlich unter den genannten Voraussetzungen von den Erfordernissen eines gerichtlichen Unterhaltstitels bzw einer Unterhaltsvereinbarung absehen und die tatsächliche Unterhaltsleistung des Versicherten den sonst für den Anspruch auf Witwenpension erforderlichen Unterhaltstiteln gleichsetzen. Dazu wird aber eine regelmäßige Unterhaltsleistung des Versicherten während einer bestimmten Mindestzeit verlangt (10 ObS 47/14f, SSV-NF 28/31). Diese darf erst nach der Rechtskraft der Scheidung beginnen und muss mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor dem Tod des Versicherten erbracht werden. Während nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG auch dann ein Anspruch auf eine Witwen-(Witwer-)Pension besteht, wenn ungeachtet des Titels faktisch kein Unterhalt geleistet wird, kommt es nach § 258 Abs 4 lit d ASVG auf die tatsächliche Leistung von Unterhalt bei gegebenem Unterhaltsbedarf durch den in § 258 Abs 4 lit d ASVG angeführten einjährigen Zeitraum an (RIS-Justiz RS0085355 [T2]). Selbst ein Unterhaltsverzicht schadet nicht (10 ObS 2025/96h, SSV-NF 10/39).

4.2 Wird der Unterhalt nicht während der einjährigen Mindestdauer geleistet, gebührt die Witwen-(Witwer-)Pension auch nach der Bestimmung des § 258 Abs 4 lit d ASVG nicht. Dabei ist es (ebenso wie bei den anderen Fällen des § 258 Abs 4 ASVG) unerheblich, aus welchen Gründen die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Auch wenn der Versicherte vor Ablauf eines Jahres ab Rechtskraft der Scheidung gestorben ist, besteht kein Pensionsanspruch. Wie sich aus der RV zur 51.ASVG-Novelle ergibt, hat der Gesetzgeber damit in Zusammenhang stehende (weitere) Härtefälle im Interesse der besseren Vollziehbarkeit, insb aber der Verhinderung von Manipulationen zu Lasten der SV bewusst in Kauf genommen (10 ObS 37/95, SSV-NF 9/25; 10 ObS 211/97w). So hat der OGH die Witwenpension in einem Fall abgelehnt, in dem sich der Versicherte im Zuge des Scheidungsverfahrens mittels gerichtlichen Vergleichs zu Unterhaltsleistungen bis zur rechtskräftigen Erledigung des Scheidungsverfahrens verpflichtet und nach Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils bis zu seinem Tod zehn Monate lang Unterhaltszahlungen tatsächlich erbracht hatte (10 ObS 47/14f, SSV-NF 28/31).

5.1 Die Revisionswerberin beruft sich auf die E 10 ObS 65/12z, SSV-NF 26/45 (zur gleichlautenden Bestimmung des § 136 Abs 4 GSVG), der eine in einem Scheidungsvergleich vereinbarte monatliche Unterhaltsleistung von 500 € zu Grunde lag. Nach den dort getroffenen Feststellungen leistete der ehemalige Ehegatte seiner Ex-Gattin ab der Scheidung bis zu seinem Ableben mehr als ein Jahr lang über diese 500 € monatlich hinaus regelmäßig weitere Beiträge zur Abdeckung ihres Unterhaltsbedarfs. Im Hinblick auf diese tatsächlichen Leistungen während der gesetzlichen Mindestdauer wurde der Anspruch auf Witwenpension in 500 € übersteigender Höhe bejaht, dies unabhängig davon, ob (auch) nach zivilrechtlichen Grundsätzen ein Anspruch auf Unterhalt bestand, der die im Scheidungsvergleich vereinbarten 500 € monatlich übersteigt. Zum Unterschied zu diesem Sachverhalt bestehen im vorliegenden Fall aber die titelmäßige Unterhaltsverpflichtung und die faktische Unterhaltsleistung zeitlich nicht nebeneinander, sondern war zuerst eine (befristete) titelmäßige Unterhaltsverpflichtung gegeben, nach deren Auslaufen der Versicherte bis zu seinem Tod noch zwei Monate lang Unterhalt tatsächlich geleistet hat.

5.2 Wie bereits das Berufungsgericht erkannt hat, kann dem Standpunkt, auch auf diese Weise sei die einjährige Mindestfrist in § 258 Abs 4 lit d ASVG erfüllt, nicht gefolgt werden. Der hier vorliegende Fall ist unter keinen der im Ausnahmekatalog des § 258 Abs 4 ASVG aufgezählten Tatbestände subsumierbar. Die Ansicht der Revisionswerberin geht vielmehr von einer „Kombination“ der Tatbestände nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG und des Tatbestands nach § 258 Abs 4 lit d ASVG im Wege einer Analogie aus. Um von der nach § 258 Abs 4 lit d ASVG vorausgesetzten einjährigen Mindestdauer einer faktischen Unterhaltsleistung absehen zu330können, zieht sie auch den titelmäßig formalisierten Unterhaltsanspruch nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG heran und rechnet Zeiten, in denen Leistungen in Erfüllung der befristeten titelmäßigen Unterhaltsverpflichtung erbracht wurden, mit Zeiten zusammen, in denen auch noch nach Auslaufen der Befristung faktisch Unterhalt geleistet wurde.

5.3 Zwar schließt selbst eine taxative Aufzählung das Vorliegen einer „unechten“ Lücke nicht aus, bei welcher der Normzweck in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgeanordnung einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (RIS-Justiz RS0008839). Daraus folgend sind auch Ausnahmeregelungen im Rahmen ihrer engeren ratio legis einer Analogie fähig, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihren Tatbeständen ähnlichen Fall Beachtung fordert (RIS-Justiz RS0008839 [T7]; RS0008910 [T3]; 10 ObS 110/00z, SSV-NF 14/55 mwN)

5.4 Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Die dem Gesetz zugrunde liegende Wertung bzw Zielsetzung trifft auf ihn nicht zu, weil § 258 ASVG nur ausnahmsweise auch dem geschiedenen Ehegatten einen Witwen-(Witwer-)Pensionsanspruch einräumt (§ 258 Abs 4 ASVG) und die Voraussetzungen dieses Anspruchs im Einzelnen detailliert aufgezählt werden, indem auf den titelmäßig formalisierten Unterhaltsanspruch nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG einerseits und – zwecks Vermeidung von Härtefällen – auf die faktische Unterhaltsgewährung durch ein Jahr nach § 258 Abs 4 lit d ASVG andererseits abgestellt wird. Dass es sich um eine erschöpfende Aufzählung handelt, ergibt sich insb daraus, dass nach der RV zur 51. ASVG-Novelle allfällige – mit der einjährigen Mindestdauer der faktischen Unterhaltsgewährung nach § 258 Abs 4 lit d ASVG in Zusammenhang stehende – (weitere) Härtefälle vom Gesetzgeber zur Vermeidung von Manipulationen zu Lasten der SV bewusst in Kauf genommen werden. Wie bereits in der E 10 ObS 47/14f, SSV-NF 28/31 dargelegt wurde, kann es beispielsweise auch nicht darauf ankommen, dass der Versicherte ab Beendigung der titelmäßigen Verpflichtung Unterhalt iS eines „letzten wirtschaftlichen Dauerzustands“ geleistet hat, sondern muss die Voraussetzung der regelmäßigen Erbringung von Unterhaltszahlungen während des letzten Jahres vor dem Tod des Versicherten bei gegebenem Unterhaltsbedarf erfüllt sein, ohne dass die Leistungserbringung auf einen Titel nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG beruht. Andernfalls – bei einer „Kombination“ der Tatbestände nach § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG und nach § 258 Abs 4 lit d ASVG – würde auch die strikte Titelbindung in den Fällen des § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG relativiert, weil auch eine kurze Weiterleistung eines auf titelmäßiger Grundlage beruhenden, aber befristeten Unterhalts über das Ende der Befristung hinaus zu einem Pensionsanspruch nach § 258 Abs 4 lit d ASVG führen würde, obwohl dieser Bestimmung gerade die länger dauernde regelmäßige Unterhaltsleistung ohne titelmäßige Verpflichtung zugrundeliegt.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Rechtsansicht des OGH kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

Die Regelungen in § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG einerseits und § 258 Abs 4 lit d ASVG andererseits können nicht in der Form kombiniert werden, dass für die Erfüllung der in § 258 Abs 4 lit d ASVG normierten Jahresfrist auch Zeiten der Gewährung von Unterhalt aufgrund der Verpflichtung aus einem befristeten Unterhaltstitel herangezogen werden können.

ANMERKUNG

Das ist eine in allen Details und unter Berücksichtigung aller Zusammenhänge genau begründete Entscheidung, der eigentlich nichts hinzugefügt werden muss, da alles gesagt ist, was man dazu sagen kann. Und einen Rechtssatz hat der 10. Senat seiner E gleich angeschlossen, den ich wörtlich übernommen habe. Bemerkenswert ist, dass der OGH die Gelegenheit zur Klärung genutzt hat, ob unter dem Gesichtspunkt der des § 258 Abs 4 lit d ASVG freiwillige Zahlungen mit Zahlungen aufgrund titulierten Anspruchs iSd § 258 Abs 4 lit b ASVG zusammengerechnet werden können, obwohl nach dem Sachverhalt durchaus Zweifel daran hätten aufkommen können, ob die bei zwei Besuchen erfolgte Übergabe von Geldscheinen den relativ strengen Kriterien einer unterhaltsbezogenen Geldleistung entsprochen hat (vgl Neumayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 258 Rz 85 f mwN). Der E kann man nur vollinhaltlich beitreten. Nichts sagt die E hingegen zu der Frage, ob ein Anspruch durch faktische Unterhaltszahlungen nach lit d durch mindestens ein Jahr auch im Anschluss an einen befristeten Unterhaltsvergleich oder -vertrag nach lit b oder c entstehen könnte (dazu unten 2.)

1.
Sozialpolitische Zwecke versus „Manipulationssicherheit“

1.1. Die Regelung des § 258 Abs 4 lit d ASVG ist – worauf der OGH anhand der Materialien der 51. Novelle zum ASVG hinweist – von dem Gedanken geprägt, ein soziales Problem zu lösen (nämlich das Angewiesensein einer geschiedenen Person auf die Gewährung von Unterhalt durch den anderen Teil, ohne aber einen für die Witwenpension erforderlichen Titel für den Anspruch iSd lit a-c zu besitzen), ohne Manipulationen zu Lasten der Versichertengemeinschaft Tür und Tor zu öffnen.

1.2. Die ersten drei Fälle dieser Bestimmung knüpfen strikt formal an: gerichtliches Urteil, gerichtlicher Vergleich oder vor Auflösung der Ehe eingegangene vertragliche Verpflichtung. Es ist in diesen Fällen – und das hebt der OGH in seiner Begründung zurecht hervor – nicht etwa Voraussetzung für die Witwenpension einer geschiedenen Person, dass Urteil, Vergleich oder Vereinbarung bis zum331Tod auch wirklich durch Zahlungen erfüllt worden sind. Der Gesetzgeber hat hier vielmehr durchaus in Kauf genommen, dass Vergleich oder Vertrag nur geschlossen werden, damit der Witwenpensionsanspruch gesichert ist, ohne dass die Absicht besteht, bis dahin Unterhaltsleistungen auch tatsächlich zu erbringen.

Der Gesetzgeber hat also eher diese Gefahr der Manipulation in Kauf genommen als die sozialpolitisch schmerzhaftere Variante, nämlich, dass zwar ein titulierter Unterhaltsanspruch besteht, dieser aber mangels fassbaren Einkommens oder Vermögens bei der verpflichteten Person für die berechtigte Person nicht oder jedenfalls nicht bis zum Tode durchsetzbar ist und daran auch noch der Witwenpensionsanspruch scheitert.

1.3. Mit der 51. Novelle zum ASVG hat der Gesetzgeber das sozialpolitische Problem der nicht titulierten, aber faktischen Unterhaltsgewährung iSd lit d gelöst.

1.3.1. Ein nach der Ehescheidung geschlossener formloser Vertrag reicht nach dem klaren Gesetzeswortlaut für sich allein nicht aus, um einen Witwenpensionsanspruch zu begründen. Wenn aber – mit oder ohne Vorliegen eines solchen Vertrages – ab einem beliebigen Zeitpunkt nach der Ehescheidung faktische Unterhaltszahlungen geleistet werden, und dies zuletzt zumindest ein Jahr bis zum Tag des Todes geschieht und wenn überdies die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat, dann soll ein Witwenpensionsanspruch (bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen, insb keines zu hohen Einkommensunterschiedes zugunsten der hinterbliebenen Person) gegeben sein.

1.3.2. Dieses kritische Jahr vor dem Tode kann naturgemäß immer erst im Nachhinein festgestellt werden, sodass spekulative Unterbrechungen der Unterhaltszahlungen ex ante risikobehaftet sind: Während in Zeiträumen vor diesem Jahr auch eine Unterbrechung der Zahlungen nicht schadet, helfen auch mehrjährige, regelmäßig erbrachte faktische Unterhaltszahlungen nicht, wenn diese Zahlungen im letzten Jahr unterbrochen waren oder schon deutlich vor dem Todesmonat beendet worden sind.

1.3.3. Der Witwenpensionsanspruch nach lit d setzt bei Fehlen eines tauglichen Titels iSd lit a-c des § 258 Abs 4 ASVG schon aus Gleichheitsgründen gedanklich zumindest voraus, dass ein (später entstandener oder effektuierter) Unterhaltsanspruch auf andere Weise erwiesen ist und tatsächlich bis zum Tod bestanden hat. Die Beantwortung dieser Frage hat der Gesetzgeber aber nicht der Tatsachenfeststellung in freier Beweiswürdigung im Einzelfall überlassen wollen, sondern er hat – insoweit Manipulationen ausschließend – der Sache nach eine für ein Massenverfahren taugliche Beweisregel geschaffen: Wurde zumindest ein Jahr bis zum Tode durchgehend Unterhalt geleistet, so macht dies vollen Beweis darüber, dass ein (unbefristeter) Unterhaltsanspruch im Zeitpunkt des Todes tatsächlich bestanden hat. Daran knüpft der Gesetzgeber sodann den (zunächst abstrakten, weil konkret noch von den Einkommensverhältnissen abhängigen) Anspruch auf Witwenpension.

1.4. § 258 Abs 4 ASVG liegen daher bei Licht betrachtet zum Teil wohl eher sozialpolitisch induzierte Abwägungen des Gesetzgebers mit eher niedrigen Mindestschwellen zum Schutz vor Manipulationen zugrunde. Dabei genießen allerdings nur zu Lebzeiten des Unterhaltspflichtigen die sozialpolitischen Ziele erkennbar den Vorrang; nach dem Ableben der unterhaltspflichtigen Person regiert der Grundsatz der Manipulationsvermeidung eher rigide und uneingeschränkt: Urteile über Unterhalt, die erst nach dem Tod der verpflichteten Person ergehen bzw gerichtliche Vergleiche mit den Erben oder dem Nachlass bleiben ohne sozialversicherungsrechtliche Wirkung (vgl Neumayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 258 ASVG Rz 58 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rsp des OGH).

Der Gesetzgeber scheint sich also auf den natürlichen Egoismus der zahlungspflichtigen Person zu verlassen, sich schriftlich nicht auf mehr festlegen zu lassen, als wozu das Gesetz sie verpflichtet, eine Missbrauchsbremse, die freilich mit deren Tod wegfällt. Dem entspricht die unterschiedliche Gewichtung der Ziele in der Norm. Das ändert aber angesichts der Unmöglichkeit, alle Ziele gleichzeitig zu erreichen, nichts an der (auch verfassungsrechtlichen) Unbedenklichkeit der Bestimmung (so auch Neumayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 258 Rz 46), weshalb der OGH auch zurecht dem Versuch der Revisionswerberin, den Anwendungsbereich der lit d im Analogiewege erweitern zu wollen, eine Absage erteilt hat.

2.
Anspruch nach lit d trotz Befristung des titulierten Unterhaltsanspruchs?

2.1. Der OGH hat also die Kombination der lit b (das gilt sinngemäß wohl auch für lit c) mit der lit d, also eine Ergänzung der fehlenden Zahlungen nach lit d durch die vorangegangenen verpflichtenden Ansprüche, abgelehnt. Er musste sich nicht mit der davon zu unterscheidenden Frage beschäftigen, ob eine mindestens einjährige Unterhaltszahlung bis zum Tode (hätte sie denn vorgelegen) für sich allein einen Witwenpensionsanspruch nach lit d auch dann hätte begründen können, wenn ein gerichtlicher Vergleich oder aber auch ein schriftlicher Vertrag (sei es vor der Scheidung oder danach) über eine Befristung des Unterhaltsanspruchs zeitlich vorangegangen wäre.

2.2. ME ist auch diese Frage aus den folgenden Gründen zu verneinen:

2.2.1. Läge ein Vergleich iSd lit b bzw ein Vertrag iSd lit c über einen befristeten Unterhaltsanspruch vor, dann würde die Witwenpension nur für den Rest der Frist gebühren, sofern der Tod vor dem Fristende eintritt (OGH10 ObS 252/02k SZ 2002/139). Ein darüber hinausgehender zusätzlich geleisteter Unterhalt durch mindestens ein Jahr vor dem Tod würde zwar den abstrakten Witwenpensionsanspruch aus dem Titel (genauer: eine der Obergrenzen des Witwenpensionsanspruchs) um die Mehrzahlung erhöhen (OGH10 ObS 65/12z SSV-NF 26/45 im Anschluss an die Rsp des VwGH zu § 19 Abs 1a PG – vgl VwGH 21.1.1998, 95/12/0263), aber selbst zu keinem unbefristeten Unterhaltsanspruch332nach lit d führen können. Es würde daher in diesem Falle – lägen alle sonstigen Voraussetzungen vor – zwar der erhöhte Anspruch auf Witwenpension, dieser aber nur bis zum vereinbarten Fristenende für den Unterhaltsanspruch gebühren.

2.2.2. Warum genau soll das dann aber anders sein, wenn der befristete Unterhaltsanspruch schon vor dem Tode, uU auch vor Beginn des letzten Jahres, endet? ME ist mit dem Vorliegen eines der Fälle der lit a-c des § 258 Abs 4 ASVG, insb eines gerichtlichen Vergleichs über die Befristung eines Unterhaltsanspruchs (oder aber auch mit dem Abschluss eines entsprechenden außergerichtlichen Vertrages, sei es vor oder nach der Ehescheidung) der Unterhaltsanspruch in einer Weise eindeutig und abschließend geregelt, die nach dem Auslaufen des Anspruchszeitraums eine Anwendung der lit d im Anschluss daran gar nicht mehr zulässt.

Dies jedenfalls dann nicht, wenn man lit d – mit den Gesetzesmaterialien – als Schließung einer sozialpolitischen Lücke für den Fall deutet, dass über den Unterhaltsanspruch gerade keine Vereinbarungen nach lit a-c vorliegen (und damit kein Anspruch auf Witwenpension gegeben wäre), aber dennoch Unterhalt in einer bestimmten Mindestdauer bis zum Tode und somit in einer auf eine eingegangene Verpflichtung hindeutenden Weise tatsächlich gewährt wurde. Liegen ohnehin Vereinbarungen vor, dann fehlt es an der (sozialpolitisch unerwünschten) Lücke und damit am Gesetzeszweck für die Anwendung der lit d.

Teil der oben erwähnten Rsp in einem gewissen Spannungsverhältnis steht, der den auf lit b oder c gestützten titulierten Witwenpensionsanspruch (obwohl dieser durch Vereinbarung im letzten Jahr an sich nicht rechtswirksam erhöht werden kann – vgl § 264 Abs 8 letzter Satz ASVG!) um parallele faktische Mehrzahlungen nach lit d aufstocken will (OGH10 ObS 65/12z SSV-NF 26/45); er entspricht aber – weil es dabei um die Voraussetzungen des Anspruchs dem Grunde nach geht – eher der Linie der vorliegenden E.

3.
Ergebnis

Man kann eine wichtige Lehre aus der E ziehen: Der ökonomische Bedarf des geschiedenen Ehepartners auf eine künftige Witwenpension kann bei Verhandlungen über einen Scheidungsvergleich nicht sorgfältig genug abgeschätzt werden. Dieser Hinweis richtet sich in erster Linie an Rechtsanwälte, die jenen Eheteil bei der Scheidung vertreten, der kein oder nur ein geringes Erwerbseinkommen hat. Ein unbefristeter Unterhaltsvergleich kann das Um und Auf auch der künftigen Altersversorgung nach dem Tod des Unterhaltspflichtigen darstellen.

Derartige Vereinbarungen liegen zwar im Interesse des Teils mit geringerem Einkommen. Sie sind aber naturgemäß in der Hitze eines Scheidungsstreits (sofern ein solcher besteht) nicht so leicht zustande zu bringen, als vielleicht einige Jahre nach der Scheidung, wenn alle Kränkungen verarbeitet sind und man wieder „on speaking terms“ ist. Möglicherweise deutet im vorliegenden Fall das Verhalten des Ehegatten wenige Monate vor seinem Tod darauf hin, dass er vier Jahre nach der Scheidung mehr Verständnis für die wirtschaftliche Situation der Ehefrau hatte als im Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsvergleichs. Dann kann es aber – wie der Fall zeigt – zu spät sein.

Mitunter korrespondiert ein fataler gänzlicher oder teilweiser Unterhaltsverzicht mit Vermögensübertragungen an die unterhaltsberechtigte Person. Daher sollten auch Vermögenszuwendungen, wie zB die Übertragung von Anteilen an Liegenschaften anlässlich der Scheidung in das Alleineigentum der Ehefrau, im Zweifel nicht Zug um Zug gegen einen gänzlichen oder durch Befristung teilweisen Unterhaltsverzicht abgetauscht werden. Es entspricht den beiderseitigen Interessen besser, in einem solchen Fall nach wirtschaftlich gleichwertigen Regelungen zu suchen, die den Witwenpensionsanspruch nicht vernichten.