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Rechtsprechungsänderung zur Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung

FELIXSCHÖRGHOFER (WIEN)
  1. Die Kriterien, die für die Arbeitskräfteüberlassung iSd RL 96/71/EG entscheidend sind, sind auch maßgebend für die Beurteilung, ob eine grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung iSd §§ 3 und 4 AÜG vorliegt. Nur bei Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben kommt eine uneingeschränkte Anwendung des AÜG in Betracht.

  2. Für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, ist aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen und somit unter mehreren Gesichtspunkten nach dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“ zu prüfen. Im Speziellen sind dabei die Fragen, ob die Vergütung auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten AN bestimmt und von wem die AN die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung.

[Die L Kft, eine Gesellschaft mit Sitz in Budapest, steht in einer Vertragsbeziehung mit der österreichischen M GmbH. Vertragsgegenstand ist die Durchführung von Lackierarbeiten für Autoteile in der Fabrikshalle der M GmbH. Die L Kft entsendet dafür 57 AN mit ungarischer Staatsangehörigkeit nach Österreich. Die Bezirkshauptmannschaft Imst qualifiziert den Vorgang als Arbeitskräfteüberlassung und verhängt über das vertretungsbefugte Organ der L Kft eine Verwaltungsstrafe wegen Verletzung der Meldepflicht nach § 17 Abs 2 AÜG (idF vor der Novelle BGBl I Nr 44/2016). Der Revisionswerber führt in seiner Beschwerde aus, dass die Dienstleistung nicht als Arbeitskräfteüberlassung zu qualifizieren sei und verweist diesbezüglich auf die Definition der Überlassung durch den EuGH in der Rs „Martin Meat“ vom 18.6.2015, C-586/13. Das LVwG Tirol qualifiziert die Dienstleistung dennoch als Arbeitskräfteüberlassung. ...]

5 [...] Dazu verwies das Verwaltungsgericht auf § 4 AÜG und die dazu ergangene Judikatur des VwGH, wonach es bei der Beurteilung, ob Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, einer Gesamtbeurteilung des Sachverhalts (nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt) iSd Abs 1 leg cit nur dann bedürfe, wenn keine der vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt seien [...]. Da gegenständlich jedoch § 4 Abs 2 Z 2 AÜG erfüllt sei (im genannten Werkvertrag sei vereinbart, dass der Auftraggeber, somit die M GmbH, am Leistungsort kostenlos einerseits sämtliche „ZSP-Materialien“ und andererseits „die zur Ausführung der Arbeiten benötigten Geräte und Werkzeuge in der entsprechenden Menge und312in betriebsfähigem Zustand sowie alle zu deren Betrieb nötigen Energieträger, Schmierstoffe, etc dem Auftragnehmer zur Verfügung stellt“), liege iSd genannten Rsp zweifelsfrei eine Arbeitskräfteüberlassung vor. [...]

13 Der VwGH hat in einem gem § 12 Abs 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig, weil die Frage, ob die Kriterien für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung iSd zu § 4 AÜG ergangenen hg Judikatur im Lichte des Urteils des EuGH in der Rs „Martin Meat“ (C-586/13) im Fall der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitskräften unverändert beibehalten werden können, vom VwGH, soweit überblickbar, bislang nicht beantwortet wurde und auch nicht offensichtlich zu verneinen ist [...].

15 Die Revision führt in den Revisionsgründen zusammengefasst aus, das Verwaltungsgericht verkenne den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, wenn es dem zitierten Urteil des EuGH, C-586/13, keine Bedeutung beimesse, obwohl in diesem Urteil jene Kriterien ausdrücklich genannt seien, die für die Beurteilung von Arbeitskräfteüberlassung maßgebend seien. [...]

24 Unter Bezugnahme auf diese Gesetzesmaterialien hat der VwGH im Erk vom 22.10.1996, Zl 94/08/0178, [...] zu § 4 AÜG ausgeführt, dass „dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitnehmerüberlassung vorliegen kann, und zwar dann, wenn es den Vertragspartnern nach der atypischen Gestaltung des Vertragsinhaltes erkennbar gerade auf die Zuverfügungstellung von dessen Arbeitskräften ankommt. Wann dies (jedenfalls) der Fall ist, legt § 4 Abs 2 AÜG typisierend (nach der Art unwiderleglicher Vermutungen) fest. Bei Erfüllung eines dieser Tatbestandsmerkmale (und zwar jedes einzelnen: arg. ‚oder‘) liegt jedenfalls dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung [...] vor“.

25 Diese Rechtssätze wurden vom VwGH in der Folge seiner stRsp zugrunde gelegt [...] und wiederholend ausgeführt, dass bei Erfüllung auch nur eines der in § 4 Abs 2 Z 1 bis 4 AÜG genannten Tatbestandsmerkmale dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung [...] jedenfalls vorliegt. Einer Gesamtbeurteilung des Sachverhalts iSd § 4 Abs 1 AÜG bedürfe es nur dann, wenn durch den Tatbestand keine der vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG (iVm dem Einleitungssatz dieser Bestimmung) zur Gänze erfüllt sei [...].

26 Wie die Revision zutreffend ausführt, ist die gegenständlich entscheidende Rechtsfrage, ob es sich bei dem Vertragsverhältnis zwischen der L Kft und der M GmbH um einen („echten“) Werkvertrag oder um einen Vertrag betreffend grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung handelt, allerdings nicht ausschließlich nach innerstaatlichem Recht zu beantworten. Nach den zitierten Gesetzesmaterialien dienen die in Rede stehenden Bestimmungen des AÜG auch der Umsetzung von Unionsrecht, sodass dessen Vorgaben bei der Vollziehung dieser Gesetzesbestimmungen zu berücksichtigen sind.

27 Von der RL 96/71 erfasst ist sowohl (Art 1 Abs 3 lit a) die grenzüberschreitende Entsendung eines AN durch ein Unternehmen, um einen von diesem Unternehmen eingegangenen Werkvertrag zu erfüllen, als auch (Art 1 Abs 3 lit c) – insoweit im Einklang mit dem AÜG (Tomandl, AÜG3 [2017] 37) – die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung [...].

28 Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die Kriterien, die für die Arbeitskräfteüberlassung iSd Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71 entscheidend sind, insofern auch maßgebend für die Beurteilung, ob (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung iSd §§ 3 und 4 AÜG vorliegt, als nur bei Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben eine uneingeschränkte Anwendung des AÜG in Betracht kommt.

29 Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, zwar auf die zitierte hg Judikatur zu § 4 AÜG bezogen und seine Ansicht, dass gegenständlich Arbeitskräfteüberlassung vorliege, ausschließlich auf die Erfüllung des § 4 Abs 2 Z 2 AÜG gestützt (die Arbeiten seien nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers geleistet worden). Der Einwand des Revisionswerbers, dass das in der letztgenannten Bestimmung genannte Kriterium – aus unionsrechtlicher Sicht – nach aktueller Judikatur des EuGH im Urteil vom 18.6.2015 „Martin Meat“ (C-586/13) kein ausreichendes Abgrenzungskriterium darstelle und weitere Kriterien als entscheidend zu berücksichtigen seien, wurde vom Verwaltungsgericht keiner inhaltlichen Überprüfung unterzogen, sondern sinngemäß mit dem Hinweis verworfen, dass dieses Urteil für den vorliegenden Fall nicht einschlägig sei.

30 Damit hat das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt.

31 Der EuGH hat im Urteil „Martin Meat“ vom 18.6.2015, C-586/13, wie folgt ausgeführt:

„[...] 33 Insoweit ergibt sich aus dem Urteil Vicoplus u. a. (EuGHC-307/09 bis EuGHC-309/09, EU:C:2011:64, Rn. 51), dass eine Arbeitskräfteüberlassung im Sinne von Art 1 Abs 3 Buchst. c der Richtlinie 96/71 vorliegt, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.34 Was zunächst die zweite Voraussetzung betrifft, die eine Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens erfordert, ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt.31335 Hierbei ist zu beachten, dass ein Dienstleistungserbringer grundsätzlich eine Leistung erbringen muss, die mit den Vorgaben des Vertrags übereinstimmt, so dass die Folgen der Erbringung einer nicht vertragsgemäßen Leistung von dem Dienstleistungserbringer getragen werden müssen. Demzufolge ist bei der Feststellung, ob der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung die Entsendung des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat ist, insbesondere jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt.36 Ergibt sich daher aus dem Vertrag, dass der Dienstleistungserbringer verpflichtet ist, die vertraglich vereinbarte Leistung ordnungsgemäß auszuführen, ist es grundsätzlich weniger wahrscheinlich, dass es sich um eine Arbeitskräfteüberlassung handelt, als wenn er die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung dieser Leistung nicht zu tragen hat.37 Im vorliegenden Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, den Umfang der jeweiligen Pflichten der Vertragsparteien zu prüfen, um festzustellen, welche Partei die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung dieser Leistung zu tragen hat, wobei der Umstand, dass die Vergütung des Dienstleistungserbringers nicht nur von der Menge des verarbeiteten Fleisches, sondern auch von dessen Qualität abhängt, darauf hindeutet, dass der Dienstleistungserbringer zur ordnungsgemäßen Ausführung dieser Leistung verpflichtet ist.38 Zudem kann der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, deren Entsendung in den Aufnahmemitgliedstaat er für sachgerecht hält – was nach den Bemerkungen, die die Beklagten des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung gemacht haben, im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint –, dafür sprechen, dass der Gegenstand der betreffenden Leistung nicht der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat ist, sondern dieser Wechsel mit der Erfüllung der in dem in Rede stehenden Vertrag vereinbarten Leistung einhergeht, und dass es sich somit um eine Entsendung von Arbeitnehmern im Sinne von Art 1 Abs 3 Buchst. a der Richtlinie 96/71 handelt.39 Hingegen liefern im Ausgangsverfahren weder der Umstand, dass der Dienstleistungserbringer nur einen einzigen Kunden im Aufnahmemitgliedstaat hat, noch die Tatsache, dass er die Räumlichkeiten, in denen die Dienstleistung erbracht wird, und die Maschinen mietet, einen sachgerechten Hinweis für die Beantwortung der Frage, ob der tatsächliche Gegenstand der in Rede stehenden Erbringung von Dienstleistungen der Wechsel von Arbeitnehmern in diesen Mitgliedstaat ist.40 Was sodann die dritte Voraussetzung angeht, die der Gerichtshof im Urteil Vicoplus u. a. (C-307/09 bis C-309/09, EU:C:2011:64, Rn. 51) aufgestellt hat, so ist, wie die Generalanwältin in Nr 55 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, zwischen der Beaufsichtigung und Leitung der Arbeitnehmer selbst und der vom Kunden durchgeführten Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung eines Dienstleistungsvertrags zu unterscheiden. Bei der Erbringung von Dienstleistungen ist es nämlich üblich, dass der Kunde überprüft, ob die Dienstleistung vertragsgemäß erbracht wird. Zudem kann der Kunde bei der Erbringung von Dienstleistungen den Arbeitnehmern des Dienstleistungserbringers bestimmte allgemeine Anweisungen erteilen, ohne dass damit in Bezug auf diese Arbeitnehmer die Ausübung einer Leitungs- und Aufsichtsbefugnis im Sinne der dritten im Urteil Vicoplus u. a. (C-307/09 bis C-309/09, EU:C:2011:64, Rn. 51) genannten Voraussetzung verbunden ist, sofern der Dienstleistungserbringer seinen Arbeitnehmern die genauen und individuellen Weisungen erteilt, die er für die Ausführung der betreffenden Dienstleistungen für erforderlich hält. [...]“

32 Aus dem zitierten Urteil des EuGH, C-586/13, ergibt sich somit, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist und die in § 17 Abs 2 AÜG genannte Meldepflicht nach sich zieht, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen ist und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“; vgl das zitierte hg Erk 2012/09/0130 mit Bezugnahme auf das dem Urteil „Martin Meat“ vorausgegangene Urteil des EuGH „Vicoplus“, C-307/09 bis C-309/09) zu prüfen ist (vgl zur „Gesamtbeurteilung aller Umstände“ auch Art 4 Abs 1 der RL 2014/67/EU zur Durchsetzung der RL 96/71/EG über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, samt dortigem fünften Erwägungsgrund).

33 Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil „Martin Meat“ die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Rn 35 ff des EuGH-Urteils), ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde (vgl abermals das zitierte hg Erk Zl 2012/09/0130, mwN), wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten AN bestimmt (Rn 38) und von wem die AN die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten (Rn 40 des EuGH-Urteils), von entscheidender Bedeutung.

34 Daher sind in einem Fall wie dem Vorliegenden (im Regelfall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können.

35 Im angefochtenen Erk fehlen schon an sich eindeutige Feststellungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, weil dieses, wie dargestellt, weitgehend nur auf die Wiedergabe des Verfahrensgeschehens gestützt wird. Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage genügte es314insb nicht, lediglich vom Vorliegen eines einzigen für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung bedeutsamen Kriteriums auszugehen (das Verwaltungsgericht stützte seine Beurteilung, wie dargestellt, ausschließlich darauf, dass das Material und Werkzeug nach den Vertragsbestimmungen durch die M GmbH bereitgestellt werde). So sind nach dem Gesagten etwa auch Feststellungen erforderlich, ob zwischen der L Kft und der M GmbH ein gewährleistungstauglicher Erfolg vereinbart wurde, was wiederum Feststellungen voraussetzt, inwieweit der Leistungsgegenstand überhaupt ausreichend konkret vereinbart wurde (dies kann dem angefochtenen Erk schon deshalb nicht entnommen werden, weil dort zwar der Werkvertrag vom 12.12.2012 zitiert wird, nicht aber der in diesem verwiesene „beigefügte Teilleistungsvertrag mit Leistungsverzeichnis“).

36 Hatte das Verwaltungsgericht aber, wie im angefochtenen Erk bloß angedeutet wird („die im Rahmen der Kontrolle durchgeführten Einvernahmen gehen insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung und der Beaufsichtigung der ungarischen Arbeitskräfte in eine andere Richtung“), Grund zur Annahme, dass das faktische Verhalten der Vertragsparteien nicht mit den gegenständlichen Vertragsbestimmungen übereinstimmt, so hätte es auch diesbezüglich konkreter Feststellungen bedurft, weil entsprechende Feststellungen allenfalls den Schluss zulassen, dass die Vertragsparteien den schriftlichen Vertrag einvernehmlich abgeändert haben.

37 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall somit, ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsansicht, die maßgebenden Feststellungen zum – für die gegenständliche Übertretung des § 17 Abs 2 AÜG essenziellen – Tatbestandselement der grenzüberschreitenden Überlassung von Arbeitskräften nicht getroffen.

38 Zur Vermeidung von Missverständnissen sei allerdings festgehalten, dass selbst im Falle der Verneinung des Vorliegens von Arbeitskräfteüberlassung eine Meldepflicht für die (gegenständlich dann der Erfüllung eines Werkvertrages dienende) grenzüberschreitende Entsendung von AN unionsrechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl das Urteil Santos Palhota, C-515/08, in welchem der EuGH die Unionsrechtskonformität der Meldepflicht einer grenzüberschreitenden Entsendung – und zwar ohne nach der Entsendungsart iSd Art 1 Abs 3 der RL 96/71 zu differenzieren – nicht grundsätzlich in Frage gestellt hat).

39 Das angefochtene Erk war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben. [...]

ANMERKUNG
1.
Vorgeschichte und Bedeutung der vorliegenden Entscheidung

Die E betrifft einen typischen Fall eines „Outsourcings“. Die österreichische B GmbH entscheidet, dass eine Leistung – das Lackieren von Autoteilen – nicht durch eigene AN erbracht werden soll. Stattdessen wird die Leistung am Standort der B GmbH von AN einer anderen Gesellschaft erbracht. Im Anlassfall handelt es sich um die ungarische L Kft, die dazu AN aus Ungarn entsendet. Bei einem Drittpersonaleinsatz stellt sich stets die Frage, ob es sich dabei rechtlich um die Erfüllung eines Werkvertrags durch Erfüllungsgehilfen handelt oder um eine Arbeitskräfteüberlassung. An die Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung sind zahlreiche Rechtsfolgen geknüpft, die für die beteiligten Unternehmen nachteilig sind. Der österreichische Gesetzgeber hat die Frage, wann in diesen Fällen Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, in § 4 AÜG geregelt. Entscheidend ist der wahre wirtschaftliche Gehalt (§ 4 Abs 1 AÜG). Es werden außerdem vier Kriterien genannt, bei deren Erfüllung Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (§ 4 Abs 2 AÜG): Das Fehlen eines unterscheidbaren Werkes (Z 1), die vorwiegende Arbeit mit Material und Werkzeug des Auftraggebers (Z 2), die Dienst- und Fachaufsicht des Auftraggebers (Z 3) und die fehlende Haftung des Auftragsnehmers für den Erfolg der Leistung (Z 4).

Zur Auslegung des § 4 AÜG haben sich grob zusammengefasst zwei Rechtsmeinungen gebildet: Nach der ersten Auffassung ist das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu prüfen, bei der alle vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG berücksichtigt werden. Diese Auffassung wurde und wird im Schrifttum überwiegend vertreten (statt vieler Sacherer in Sacherer/Schwarz, AÜG2 [2006] 133; aA zB Schindler, Umgehungsfallen und -verlockungen im AÜG, in Brodil [Hrsg], Diener fremder Herren [2016] 81 [84 f]), ebenso wie im Durchführungserlass des BMAS zum AÜG (Beilage zu Zl 36902/2-2/88). Dabei steht die teleologische Auslegung im Mittelpunkt. Es wird gefragt, ob der konkrete Drittpersonaleinsatz so gestaltet ist, dass insb die eingesetzten AN und die Stammbelegschaft des Auftraggebers durch die Vorgaben zur Arbeitskräfteüberlassung geschützt werden müssen. Zum Teil wird daraus eine Gewichtung der in § 4 Abs 2 AÜG angeführten Kriterien abgeleitet, insb eine Konzentration auf die Frage der Weisungsbefugnis des Auftraggebers (§ 4 Abs 2 Z 3 AÜG; Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung [2015] 198).

Die zweite Auffassung legt § 4 Abs 2 AÜG dagegen strikt nach dessen Wortlaut aus. Daraus wird abgeleitet, dass bereits die Erfüllung nur einer der Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG unwiderruflich zum Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung führt. Eine Gesamtbetrachtung ist nur dann notwendig, wenn keine der vier Ziffern erfüllt ist. Die arbeitsrechtliche Rsp in Österreich folgte bislang dieser Auffassung. Der VwGH hatte diese Auffassung – mit einigen Ausnahmen – seit 1996 seinen Entscheidungen zu Grunde gelegt (VwGH 22.10.1996, 94/08/0178). Der OGH ist der Auslegung durch den VwGH im Jahr 2014 gefolgt (OGH8 ObA 7/14h ZAS 2015, 278 [abl Sacherer]; vgl zum Verhältnis Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger aber OGH 27.6.2017, 5 Ob 94/17k).315

Der Meinungsstreit über die Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung schien durch die Festlegung der Höchstgerichte entschieden. Die strenge Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG hatte in der Praxis zur Folge, dass beinahe jeder Drittpersonaleinsatz am Standort des Auftraggebers gefährdet war, bei einer Überprüfung als Arbeitskräfteüberlassung qualifiziert zu werden. Das galt für einfache Reinigungs- und Wartungstätigkeiten ebenso wie für hochspezialisierte technische Aufgaben und IT-Dienstleistungen. Im gegenständlichen Fall wurde von der Bezirkshauptmannschaft und dem LVwG das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung alleine deshalb bejaht, weil sich die M GmbH vertraglich zur Bereitstellung von Material und Werkzeug verpflichtet hat (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG). Die weiteren Umstände der Leistungserbringung wurden im bisherigen Verfahren nicht erhoben.

Die Abgrenzung Werkvertrag/Arbeitskräfteüberlassung wurde allerdings für grenzüberschreitende Dienstleistungen durch den Einfluss des Unionsrechts neu aufgerollt. Die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung hat im Primärrecht eine Sonderstellung, weil sie – anders als eine sonstige (Werkvertrags-)Entsendung – nicht nur der Dienstleistungsfreiheit, sondern auch der AN-Freizügigkeit unterliegt (Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt [2017] 24 ff). Von Bedeutung war die Unterscheidung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkverträgen im Unionsrecht insb im Zusammenhang mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten seit der EU-Erweiterung 2004. Die Übergangsbestimmungen in den Beitrittsakten erlaubten eine Beschränkung der Arbeitskräfteüberlassung aus den neu beigetretenen Mitgliedstaaten, nicht jedoch von sonstigen (Werkvertrags-)Entsendungen (EuGH 10.2.2011, verb Rs C-307/09, 308/09, 309/09, Vicoplus; EuGH 18.6.2015, C-586/13, Martin Meat; nur Österreich und Deutschland wurde in bestimmten Branchen auch eine Einschränkung anderer Dienstleistungen erlaubt). Der EuGH anerkennt, dass die Arbeitskräfteüberlassung einen (stärkeren) Einfluss auf den Arbeitsmarkt des Bestimmungsstaats hat und erlaubt daher ihre weitergehende Einschränkung. Im Sekundärrecht ist die Unterscheidung Werkvertrag/Arbeitskräfteüberlassung insb in der Entsende-RL (96/71/EG) von Bedeutung. Die Entsende-RL sieht eine strengere Regulierung der grenzüberschreitenden Überlassung (Art 1 Abs 3 lit c) im Bestimmungsstaat vor, als bei sonstigen (Werkvertrags-)Entsendungen.

Das Unionsrecht knüpft also bei dem grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz bestimmte Rechte des Bestimmungsstaats an das Vorliegen einer Überlassung. Damit geht aber einher, dass ein autonomer unionsrechtlicher Begriff der Überlassung gebildet wird. Der EuGH hat bereits in Vicoplus eine unionsrechtliche Definition der Überlassung unternommen und in Martin Meat noch verfeinert. Auf die genaue Ausgestaltung wird unten (Pkt 2.) noch eingegangen. Dieser unionsrechtliche Begriff der Überlassung ist enger, als nach der strengen Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG durch die österreichischen Gerichte. Die Qualifikation einer Dienstleistung als Arbeitskräfteüberlassung, weil nur eine der Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, führt oftmals dazu, dass Dienstleistungen den Regelungen für Überlassungen unterworfen werden, für die das Unionsrecht das nicht vorgesehen hat. Dadurch kommt es zu einem problematischen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit. Im Schrifttum wurde darauf bereits nach der E Vicoplus hingewiesen und eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG gefordert (Rebhahn/Schörghofer, Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung im Lichte des Urteils Vicoplus, wbl 2012, 372; Schörghofer, Grenzfälle 205 ff). Nach der E des EuGH im österreichischen Vorabentscheidungsverfahren Martin Meat wurde die Kritik an der österreichischen Rsp im Schrifttum stärker (zB Krömer, Entsendung oder grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung? ecolex 2016, 660; Brodil/Dullinger, Zur Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung, ZAS 2017, 4).

Der VwGH hat sich mit der vorliegenden E nun dieser Meinung angeschlossen. Er geht damit von seiner bisherigen Auffassung, die Erfüllung bereits einer Ziffer des § 4 Abs 2 AÜG führe unwiderruflich zur Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung, ab. Stattdessen sind nun – wie im Schrifttum stets überwiegend vertreten – die relevanten Umstände in einer Gesamtbeurteilung zu prüfen (dazu sogleich unten Pkt 2.).

Mit der vorliegenden E ist der Rechtsstreit über die Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG aber noch nicht abgeschlossen. Die neue Rsp des VwGH gilt zunächst nur für grenzüberschreitende Überlassungen aus anderen Mitgliedstaaten. Daher muss insb im Zusammenhang mit § 32a AuslBG, § 1 Abs 5 AÜG sowie dem LSD-BG bei der Anwendung des § 4 Abs 2 AÜG die unionsrechtliche Definition der Überlassung beachtet werden. Es stellt sich aber die Frage, ob die Rsp auch für rein innerstaatliche Sachverhalte ihre Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG ändern muss. Eine solche Pflicht kann aus dem Unionsrecht und insb aus der Leiharbeits-RL (2008/104/EG) nicht abgeleitet werden. Die Rsp des EuGH spricht zwar für einen einheitlichen Begriff der Überlassung/Leiharbeit im Unionsrecht (Schörghofer, Grenzfälle 208). Das würde bedeuten, dass die Definition der Leiharbeit in Vicoplus und Martin Meat auch für die Leiharbeits-RL zu übernehmen ist. Die Leiharbeits-RL erlaubt den Mitgliedstaaten aber, den Begriff der Überlassung weiter zu ziehen. Während für die grenzüberschreitenden Fälle aus dem Unionsrecht, insb der Entsende-RL, also ein Höchstumfang der des Begriffs der Überlassung folgt, gibt die Leiharbeits-RL nur einen Mindestumfang vor (Rebhahn/Schörghofer, RL 2008/104/EG Art 3 Rz 8 in EuArbR).

Es stellt sich daher die Frage, ob § 4 Abs 2 AÜG „gespalten“ ausgelegt werden darf (Schörghofer, Grenzfälle 211). Eine solche gespaltene Auslegung würde bedeuten, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unter Beachtung der Vorgaben des EuGH eine Prüfung nach einer Gesamtbeurteilung erfolgt (dazu unten 2.). Für innerstaatliche Sachverhalte würde demgegenüber, wie bisher von der Rsp vertreten, bereits die Erfüllung einer Ziffer des § 4 Abs 2 AÜG zur Qualifikation als316Arbeitskräfteüberlassung führen. Daraus würde allerdings eine Benachteiligung österreichischer Unternehmen resultieren. Sollte sich im Anlassfall im weiteren Verfahren bspw herausstellen, dass die Dienstleistung nach den Kriterien des EuGH nicht als Überlassung zu qualifizieren sind, könnte die ungarische L Kft den Drittpersonaleinsatz in Österreich als Werkvertrag durchführen. Demgegenüber würde die idente Dienstleistung, wenn sie von einem österreichischen Unternehmen erbracht wird, nach der bisherigen Anwendung des § 4 Abs 2 AÜG als Überlassung qualifiziert und damit dem AÜG unterworfen. Das österreichische Unternehmen wäre dadurch zwar nicht daran gehindert, die Leistung zu erbringen. Es müsste aber beispielsweise das Gleichstellungsgebot (§ 10 AÜG) anwenden und könnte mit seinen Mitarbeitern keine Konkurrenzklausel vereinbaren (§ 11 Abs 2 Z 6 AÜG). Österreichische Unternehmen könnten die Leistung daher in vielen Fällen nur zu einem höheren Preis anbieten. Diese Benachteiligung kann eine unzulässige Inländerdiskriminierung darstellen (Schörghofer, Grenzfälle 213; Krömer, Arbeitskräfteüberlassung reloaded, ecolex 2017, 1187 [1190]). Eine sachliche Rechtfertigung für die Benachteiligung österreichischer Unternehmer wurde bisher nicht gefunden (Gleißner, Arbeitskräfteüberlassung: Umgehungsmöglichkeiten und deren [überschießende] Verhinderung, in Brodil [Hrsg], Diener fremder Herren 99 [102]; Brodil/Dullinger, ZAS 2017, 11). Es ist daher davon auszugehen, dass die Rsp auch für innerstaatliche Sachverhalte ihre Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG an die Vorgaben des EuGH anpassen muss. Diese Definition der Überlassung in den Entscheidungen Vicoplus und Martin Meat wird in der Folge dargestellt.

2.
Unionsrechtskonforme Anwendung des § 4 Abs 2 AÜG
2.1.
Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände

Die Rsp des EuGH entspricht in wesentlichen Punkten der bereits zuvor im Schrifttum überwiegend vertretenen Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG. Insb leitet der VwGH aus der Rsp zutreffend ab, dass das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung unter Berücksichtigung aller Anhaltspunkte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu prüfen ist. Entscheidend ist dabei die tatsächliche Durchführung der Dienstleistung, nicht die vertragliche Vereinbarung. Eine vertretbare Gewichtung der einzelnen Kriterien im Rahmen der Gesamtbetrachtung ist nicht revisibel (VwGH 20.9.2017, Ra 2017/11/0024).

Konkret hat der EuGH für das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung in Vicoplus drei Merkmale herausgearbeitet, die er in Martin Meat weiter konkretisiert (vgl Krömer, ecolex 2017, 1188 f):

  1. Die Überlassung ist eine entgeltliche Dienstleistung, bei der der überlassene AN keinen Dienstvertrag mit dem Einsatzunternehmen abschließt.

  2. Bei der Überlassung ist der Wechsel des AN in das Einsatzunternehmen der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des beauftragten Unternehmens.

  3. Der überlassene AN arbeitet unter Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens.

Für die Abgrenzung zur Werkvertragserfüllung sind das zweite und dritte Kriterium von Bedeutung. Die Entscheidungen des EuGH lassen keinen Zweifel daran, dass diese Merkmale kumulativ erfüllt sein müssen, damit Arbeitskräfteüberlassung vorliegt. Die unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG bedeutet keinesfalls, dass die darin genannten Kriterien bedeutungslos werden. Wie in der Folge dargestellt wird, lässt sich die Definition der Überlassung durch den EuGH zumindest zum Teil mit den Merkmalen nach § 4 Abs 2 AÜG zusammenführen.

2.2.
Gegenstand der Dienstleistung

Die Frage, ob der Wechsel bzw die Bereitstellung der AN der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung ist, entspricht zum Teil der Prüfung gem § 4 Abs 2 Z 1 AÜG, ob das beauftragte Unternehmen ein abgrenzbares Werk schuldet (Schörghofer, Grenzfälle 206; aA Brodil/Dullinger, Arbeitskräfteüberlassung im Lichte des LSD-BG, in Brodil [Hrsg], Gestaltungsräume und neue Grenzen im Arbeitsrecht [2017] 63 [74]). Nach dem EuGH spricht es gegen eine Überlassung, wenn das beauftragte Unternehmen über die Anzahl der eingesetzten AN entscheidet (Rs Martin Meat, Rz 38). Für eine Überlassung spricht es, wenn das Einsatzunternehmen bestimmte AN des beauftragten Unternehmens aussucht oder ablehnt (Sacherer in Sacherer/Schwarz, AÜG2 129). Eine gewisse Indizwirkung gesteht der EuGH wohl auch der Frage zu, ob die erbrachte Leistung der Haupttätigkeit des beauftragten Unternehmens entspricht (Rs Vicoplus, Rz 50). Tatsächlich sollte bei einer Überprüfung auch berücksichtigt werden, ob das beauftragte Unternehmen abseits des konkreten Einsatzortes über eine ausreichende unternehmerische Struktur verfügt, um eine eigenständige Dienstleistung zu erbringen. Gegen das Vorliegen einer Überlassung spricht es bspw, wenn das beauftragte Unternehmen über eine Technik- oder Forschungsabteilung verfügt, in der das Know-How des Unternehmens gesammelt und weiterentwickelt wird.

Nach dem EuGH ist auch von Bedeutung, ob das beauftragte Unternehmen die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Leistung zu tragen hat, beispielsweise indem die Vergütung von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt (Rs Martin Meat, Rz 35 ff). Dem entspricht weitgehend die Prüfung gem § 4 Abs 2 Z 4 AÜG, ob das beauftragte Unternehmen für den Erfolg der erbrachten Leistung haftet.

2.3.
Arbeit unter Aufsicht und Leitung des Einsatzunternehmens

Nach dem EuGH ist besonders die Tätigkeit der AN unter der Aufsicht und Leitung des Einsatzun-317ternehmens für das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung relevant. Er stellt daher, wie bereits davor Teile des Schrifttums, die Weisungsbefugnis und damit § 4 Abs 2 Z 3 AÜG in den Mittelpunkt der Prüfung (Schörghofer, Grenzfälle 197 ff). Der EuGH macht auch nähere Angaben zur erforderlichen Intensität der Weisungserteilung (Martin Meat, Rz 40, Krömer, ecolex 2017, 1189). Relevant ist zum einen nur die tatsächliche Weisungserteilung, nicht aber die Abnahme bzw Überprüfung der geschuldeten Leistung durch das Einsatzunternehmen. Zum anderen liegt keine Überlassung vor, wenn das Einsatzunternehmen nur „allgemeine Anweisungen“ erteilt, die „genauen und individuellen Weisungen“ aber vom beauftragten Unternehmen erteilt werden. Weisungen, die in jedem Werkvertrag dem Werkbesteller zustehen, insb zur näheren Beschreibung des geschuldeten Erfolgs, sind daher nicht relevant (Schörghofer, Grenzfälle 216). Der VwGH hat dazu in einer nachfolgenden E ausgeführt, dass die Definition des herzustellenden Werks und die Kontrolle der Vertragserfüllung durch das Einsatzunternehmen keine Dienst- und Fachaufsicht darstellt und daher für das Vorliegen eines Werkvertrags spricht (VwGH 22.2.2018, 2018/11/0014). Als Beispiele für eine relevante Dienst- und Fachaufsicht nennt er stattdessen eine „Einteilung der konkreten Arbeits- und Pausenzeiten“ der AN sowie „Anordnungen und Kontrollen [...] hinsichtlich der Fertigung des konkreten Werkstückes“ (VwGH 22.2.2018, 2018/11/0014).

Das in § 4 Abs 2 Z 3 AÜG genannte aber ohnehin nur schwer fassbare Kriterium der „Eingliederung“ verliert durch die Konzentration auf die Weisungsbefugnis an Bedeutung. Damit werden in der Praxis für die betroffenen AN kaum nachvollziehbare Maßnahmen wie bspw getrennte Garderoben, Toiletten und Aufenthaltsräume entbehrlich, durch die eine „Eingliederung“ verhindert werden soll.

Von besonderer Bedeutung ist die Klarstellung des EuGH, dass es nicht für eine Arbeitskräfteüberlassung spricht, wenn das beauftragte Unternehmen die Räumlichkeiten und Maschinen vom Einsatzunternehmen anmietet (Rs Martin Meat, Rz 39). Der von § 4 Abs 2 Z 2 AÜG angeordneten Prüfung, wer Material und Werkzeug vorwiegend zur Verfügung stellt, kommt daher – wenn überhaupt – nur geringe Bedeutung zu. Allenfalls bei anspruchsvollen Tätigkeiten kann es ein Indiz für eine Überlassung sein, wenn das Einsatzunternehmen über den Einsatz spezieller Werkzeuge entscheidet (Schörghofer, Grenzfälle 225). Der bisher zu beobachtenden Praxis, dass die Tätigkeit in den Räumlichkeiten eine kaum zu widerlegende Vermutung einer Arbeitskräfteüberlassung begründet, wird damit eine Absage erteilt. Auch wenn die Stammbelegschaft und das Drittpersonal in denselben Räumlichkeiten arbeiten, dürfen an die Trennung der Arbeitsbereiche keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden.