LauerDas Recht des Beamten zum Streik

Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2017, 359 Seiten, € 89,90

ELISABETHBRAMESHUBER (WIEN)

Bereits der Untertitel – „Von den rechtshistorischen Ursprüngen des beamtenrechtlichen Streikverbots bis zu seiner völkerrechtlichen Infragestellung“ – dieser im Sommersemester 2016 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg angenommenen und für die Drucklegung auf Stand Februar 2017 gebrachten Dissertation Richard N. Lauers lässt erkennen, dass sich der Autor der Fragestellung umfassend362widmet. Einer eingehenden Darstellung der Rechtslage in Deutschland zum Streikverbot im nationalen Berufsbeamtentum folgt ein Überblick über die völkerrechtliche Garantie eines Beamtenstreikrechts. Auf diesen beiden Kapiteln aufbauend setzt sich Lauer im dritten Kapitel mit der konventionsrechtlichen Infragestellung des Streikverbots auseinander. Beantwortet soll ua werden, welche Auswirkungen insb die E des EGMR in den Rs Demir und Baykara vom 12.11.2008 (BswNr 34504/97) und Enerji Yapi-Yol Sen vom 21.4.2009 (68959/01), die gegenüber der Türkei ergangen sind, auf das nationale (deutsche) Recht haben, und ob der tradierte Verfassungsgrundsatz des beamtenrechtlichen Streikverbots mit dem Völkerrecht kollidiert. Untersucht wird auch, welche Lösungsmöglichkeiten sich bei einem völkerrechtlichen Konflikt bieten und ob BeamtInnen nun doch streiken dürfen.

Die Frage nach der Zulässigkeit eines (absoluten) Beamtenstreikverbots sorgt in Deutschland für kontroverse Diskussionen. Davon zeugt bereits die Anzahl an Dissertationen, die in den vergangenen Jahren zu diesem Thema verfasst wurden. Zu nennen ist etwa „Das beamtenrechtliche Streikverbot“ von Di Fabio (2012), „Streikverbot für beamtete Lehrer“ von Pollin (2015), „Das deutsche Beamtenstreikverbot“ von Ickenroth (2016) oder „Zum Streikrecht von Beamten“ von Schulz (2016). Wie Lauer bereits zu Beginn festhält, wird die Judikatur des EGMR durchaus unterschiedlich rezipiert. Die Meinungen reichen von der Annahme des Vorliegens eines Konventionsverstoßes durch Deutschland bis zur Verneinung eines normativen Konflikts zwischen dem deutschen Beamtenstreikverbot und den – gem Art 46 Abs 1 EMRK grundsätzlich nur die jeweiligen Parteien des Rechtsstreits bindenden, für andere Konventionsstaaten aber Orientierungswirkung entfaltenden – Entscheidungen des EGMR. Lauer reiht sich mit seiner Arbeit in diese Diskussion ein. Von besonderem Interesse gegenüber den älteren Dissertationen ist am vorliegenden Buch, dass zum Zeitpunkt der Drucklegung mehrere Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig waren, die eine zusätzliche Perspektive auf die Fragestellung der Kohärenz des deutschen Beamtenstreikverbots mit dem Konventionsrecht eröffnen. Wenn der/die geschätzte LeserIn nun allerdings gehofft hat, in dieser Rezension auch über das Ergebnis der Verfassungsbeschwerden in Kenntnis gesetzt zu werden, so muss diese – angesichts der (allein der Rezensentin zuzuschreibenden) Zeitverzögerung der Buchbesprechung durchaus berechtigte – Hoffnung leider enttäuscht werden. Zu allen Verfahren (2 BvR 1737/12, 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1394/13, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 642/15, 2 BvR 643/15, 2 BvR 644/15, 2 BvR 645/15, 2 BvR 646/15, 2 BvR 871/15) war Anfang Mai 2018 trotz der mündlichen Verhandlung vom 17.1.2018 das Ergebnis noch ausständig.

Die Besonderheit der Situation in Deutschland gründet vor allem darin, dass das Beamtenstreikverbot aus Art 33 Abs 5 Grundgesetz (GG), wonach „(d)as Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln (ist)“, sowie aus Art 9 Abs 3 GG (Koalitionsfreiheit), sohin direkt aus dem Verfassungsrecht abgeleitet wird. Daraus folgt vor allem, dass etwa umstritten ist, ob es zur Umsetzung der Vorgaben von Art 11 Abs 1 EMRK (sollte eine solche erforderlich sein) einer Änderung des GG bedürfte; anders als in Österreich steht die EMRK in Deutschland nach hA nicht im Verfassungsrang. Auch die Frage, ob eine völkerrechts- bzw konventionskonforme Auslegung des GG zulässig ist, wird uneinheitlich beantwortet (siehe die Nachweise bei C. Schubert in Franzen/Gallner/Oetker, Europäisches Arbeitsrecht2 [2018] Art 11 EMRK Rz 36 f). Zu beachten gilt es auch, dass in Deutschland das Streikrecht im Allgemeinen stark an die durch Art 9 Abs 3 GG geschützte Tarifautonomie anknüpft (Tarifakzessorietät des Arbeitskampfs); nach der hA ist ein Streik daher nur dann rechtmäßig, wenn Kampfziel der Abschluss eines Tarifvertrags ist (etwa Junker, Arbeitsrecht17 [2018] Rz 595, 605, 607). Unter Außerachtlassung der Judikatur des EGMR findet aber, wie Lauer ausführt (S 134 ff), gerade die Tarifvertragsfreiheit im Verhältnis des Beamten zum Dienstherrn – anders als im Verhältnis von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – keine Anwendung. Wenngleich BeamtInnen zwar die verfassungsrechtlich verankerte Koalitionsfreiheit gewährleistet werden müsse, so habe dies außerhalb vom Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem zu erfolgen, etwa durch die Einräumung bestimmter Beteiligungsrechte. Von der Mitbestimmung über den „Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ bleiben Beamtinnen hingegen ausgeschlossen; die Tarifautonomie ist durch den Grundsatz der einseitigen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Beamtenschaft durch Gesetz sowie durch das Alimentationsprinzip beschränkt. Aus diesen Grundsätzen sowie aus der aus Art 33 Abs 5 GG folgenden Treuepflicht des Beamten folgt nach Lauer auch das Streikverbot für alle BeamtInnen unabhängig von ihrem Aufgabenbereich (S 147). In Österreich wurde hingegen die ein Streikverbot für BeamtInnen enthaltende Streikverordnung vom 25.7.1914 (RGBl 155/1914) mit dem 1. Bundesrechtsbereinigungsgesetz (BGBl I 1999/191) auch formell aufgehoben. Zudem werden Generalisierungen in diesem Bereich für sozialpolitisch bedenklich erachtet. Abzustellen sei nicht auf „den“ Beamtenstatus, sondern vielmehr darauf, inwiefern wegen der Tätigkeit eine erhöhte Treuepflicht besteht, aufgrund derer Arbeitsniederlegungen ausgeschlossen sind bzw inwiefern durch einen Streik die Staatstätigkeit ieS beeinträchtigt würde. Grundsätzlich wird daher auch im öffentlichen Dienst von der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen ausgegangen (etwa Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 13/046).

Im Mittelpunkt der Untersuchung Lauers stehen Beschäftigte im öffentlichen Dienst ieS, dh Tarifbeschäftigte, die auf Basis eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, und BeamtInnen im staatsrechtlichen Sinne (S 33 f). Insb wegen der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden von LehrerInnen, die an Protestveranstaltungen und Warnstreiks teilgenommen hatten und dafür bestraft worden waren, ist von Interesse, dass nach bisheriger Auffassung LehrerInnen bei einer Verbeamtung durch den Dienstherrn „auch den Bindungen des Art 33 Abs 5 GG unterworfen“ sind (S 106), selbst wenn sie schwerpunktmäßig nichthoheitliche Aufgaben durchführen. Ob hingegen ein Streikrecht für nicht hoheitlich tätige BeamtInnen tatsächlich zur Abschaffung des Berufsbeamtentums363führte, ist fraglich, mag auch die Situation der LehrerInnen, von denen rund drei Viertel in Deutschland im Beamtenverhältnis stehen, pars pro toto für andere nicht hoheitlich tätige BeamtInnen gelten, sodass die anhängigen Verfahren sehr wohl eine große Breitenwirkung haben (siehe FD-ArbR 2018, 400677).

Lauer gelangt trotz der auch seiner Ansicht nach be- stehenden Unvereinbarkeit eines Beamtenstreik(recht)s mit dem deutschen Verfassungsrecht zum Ergebnis, dass einerseits die Gerichte zur völkerrechtskonformen Auslegung innerstaatlichen Rechts verpflichtet sind und den nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eine Umsetzungsverpflichtung trifft (S 172). Die umfassende Aufarbeitung nicht nur der in den Rs Demir und Enerji, sondern auch der nach diesen Entscheidungen ergangenen EGMR-Urteile zum (Beamten-)Streikrecht ist auch losgelöst für die Rechtslage in Deutschland von Interesse; Lauer sieht darin etwa – völlig zu Recht – die Bestätigung der ausdrücklichen Anerkennung eines individuellen Streikrechts in Art 11 EMRK (S 206). Im Speziellen für Deutschland wiederum ist auf das Ergebnis hinzuweisen, dass ein Streikverbot nicht generell für alle öffentlich Bediensteten ausgesprochen werden darf (S 215); Staatsbedienstete ohne Hoheitsgewalt können sich auf das Streikrecht berufen (S 228 f). Lauers Prüfung, inwiefern das nationale Beamtenstreikverbot unzulässigerweise Art 11 Abs 1 EMRK beeinträchtigt bzw ob die nationalen Regelungen unter den Rechtfertigungstatbestand des Art 11 Abs 2 EMRK fallen, führt vor allem zur Schlussfolgerung, dass es weder unter Satz 1 noch unter Satz 2 gerechtfertigt ist. Die Absolutheit und die Statusbezogenheit sind nach Ansicht Lauers nicht „notwendig für eine demokratische Gesellschaft“ (S 267 f). Ergebnis ist, dass die derzeitige nationale Rechtslage konventionswidrig ist; entgegen der Ansicht des BVerwG (etwa vom 27.2.2014, 2 C 1/13, BVerwGE 149, 117) kann dies jedoch Lauer zufolge durch völkerrechtskonforme Auslegung behoben werden, ohne dass es eines Tätigwerdens des nationalen Gesetzgebers bedürfte (S 279 ff).

Da sich auch das BVerfG grundsätzlich einer konventionskonformen Auslegung nationalen Rechts aufgrund der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG nicht verwehrt (etwa 4.5.2011, 2 BvR 2333/08 ua, BVerfGE 128, 326), bleibt dessen Entscheidung zum Beamtenstreikverbot in der Tat mit Spannung abzuwarten. Auch wegen dieser ausstehenden Entscheidung wird Lauers Arbeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die letzte zum Beamtenstreikverbot geblieben sein; die Lektüre lohnt sich dennoch, nicht zuletzt aufgrund der ausführlichen Darstellung der EGMR-Judikatur zum Streikrecht.