(Keine) Verjährung arbeitsrechtlicher Ansprüche? – Analyse der Entscheidung EuGH Rs C-214/16, King, und ihrer möglichen Folgen*

SUSANNEAUER-MAYER (SALZBURG)
Bisher war weitgehend unbestritten, dass sich AG bei Nichterfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche auch im aufrechten Arbeitsverhältnis und unabhängig vom Wissensstand der AN auf die maßgeblichen Verjährungsbestimmungen berufen können. Auch die Vereinbarung, die Verjährung verkürzender Verfallsfristen wird durch den OGH trotz Kritik in der Literatur grundsätzlich zugelassen. Die E des EuGH in der Rs C-214/16, King, zwingt nunmehr freilich jedenfalls hinsichtlich des Urlaubsrechts zu einer Neubewertung. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach möglichen weiteren Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer Verjährung oder eines Verfalls zwingender arbeitsrechtlicher Ansprüche.
  1. Urlaubsrechtliche Ausgangslage

  2. Entscheidung des EuGH in der Rs King

    1. Zentrale Aussagen des EuGH

    2. Bewertung

  3. Auswirkungen auf das österreichische Urlaubsrecht

    1. Verjährung des Urlaubs bei Verweigerung der Urlaubsgewährung unionsrechtlich unzulässig

    2. Unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Abs 5 UrlG

    3. Gesetzliche Anpassungen bezüglich sondergesetzlicher Verfallsfristen

  4. Beschränkungen der Verjährbarkeit weiterer arbeitsrechtlicher Ansprüche?

    1. Grundsätzliches

    2. Unionsrechtliche Implikationen

    3. Neubewertung von Verjährung und Verfall im nationalen Recht?

  5. Fazit

1.
Urlaubsrechtliche Ausgangslage

Art 7 Abs 1 Arbeitszeit-RL 2003/88/EG (vgl auch Art 31 Abs 2 GRC) verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass AN einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhalten. Diese Anordnung steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt „der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung ... die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind“. Dennoch hat die Rsp des EuGH in den vergangenen Jahren im Urlaubsrecht erheblichen Staub aufgewirbelt.* Dabei war auch die Frage der Zulässigkeit einer Verjährung bzw eines Verfalls im Urlaubsjahr nicht konsumierter Urlaubsansprüche wiederholt Gegenstand der Judikatur.

Angesichts des zitierten Vorbehalts steht Art 7 RL 2003/88 auch nach Ansicht des EuGH einer nationalen Regelung grundsätzlich nicht entgegen, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines festgelegten Übertragungszeitraums beinhaltet.* Im Lichte des Ziels der Vermeidung einer unmittelbaren Beeinträchtigung des Rechts auf Mindesturlaub hat der EuGH die Zulässigkeit eines solchen „Verfalls“ des Urlaubs – und infolgedessen einer entsprechenden Minderung der Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – allerdings auf Fälle eingeschränkt, in denen die AN tatsächlich die Möglichkeit hatten, den Anspruch auszuüben. Letzteres wurde insb verneint, wenn der/die AN während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortdauerte.* Vergleichbares kann man für andere Fälle annehmen, in denen ein Urlaubsverbrauch (unter Berücksichtigung des Erholungszecks des Urlaubs) nicht möglich war.*299

Aus österreichischer Sicht ergab sich insoweit bisher aus mehreren Gründen kein spezifischer Anpassungsbedarf: Zunächst verjährt der Urlaub zwar gem § 4 Abs 5 UrlG zwei Jahre ab Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist;* der Beginn des Laufs von Verjährungsfristen setzt jedoch nach einhelliger Ansicht die objektive Möglichkeit der Geltendmachung voraus. Die Verjährungsfrist beginnt demnach (erst) zu laufen, sobald der Geltendmachung des Anspruchs kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht.* Analog dazu ist auch bei bereits laufender Verjährung von einer Hemmung (zumindest des Fristablaufs) auszugehen, solange der Anspruch aus rechtlichen Gründen nicht geltend gemacht werden kann. Der OGH geht daher losgelöst von unionsrechtlichen Vorgaben überzeugend davon aus, dass Zeiten, in denen AN ihren Urlaub krankheitsbedingt nicht (mehr) konsumieren können, nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB den Ablauf der Verjährung nach § 4 Abs 5 UrlG hemmen.* Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang insb auch darauf, dass ein Urlaubsantritt gem § 4 Abs 2 UrlG für Zeiträume, während derer ein/e AN aus einem der in § 2 EFZG genannten Gründe an der Arbeitsleistung verhindert ist, Anspruch auf Pflegefreistellung oder sonst auf Entgeltfortzahlung bei Entfall der Arbeitsleistung hat, nicht vereinbart werden darf und dass über drei Kalendertage dauernde Erkrankungen gem § 5 UrlG den Urlaubsverbrauch unterbrechen. Ein Urlaubsanspruch kann somit für Krankheitszeiten trotz Fälligkeit auch klagsweise nicht geltend gemacht werden.

Da die hA zu Recht eine analoge Anwendung der Regeln über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung auf arbeitsrechtliche Präklusivfristen bejaht,* hat der OGH eine entsprechende Hemmung grundsätzlich auch für die im öffentlichen Dienstrecht vorgesehenen Verfallsfristen – von idR einem Jahr ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres – angenommen.* Die diesbezüglichen Vorschriften sehen allerdings zT (ua) für Krankheitsfälle ausdrücklich (nur) eine Verlängerung der Verfallsfrist um ein Jahr vor (vgl nur § 27h VBG, § 69 BDG). Damit scheidet die Annahme einer über diesen Zeitraum hinausgehenden Fristhemmung unter Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen des ABGB aus.* Auch das lässt sich jedoch mit der Rsp des EuGH vereinbaren. Denn dieser hält für die genannten Krankheitsfälle kein unbegrenztes „Ansammeln“ von Urlaub für geboten:* Der Übertragungszeitraum müsse zwar die Dauer des Bezugszeitraums, für den der Urlaub gewährt wird, deutlich überschreiten und dem/der AN die Möglichkeit bieten, über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden können. Auch der/die AG müsse aber vor der Ansammlung zu langer Abwesenheitszeiträume und den daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Arbeitsorganisation geschützt werden.* Einen Übertragungszeitraum von insgesamt (nur) neun Monaten sah der EuGH folglich als zu kurz an.* 15 Monate hielt er dagegen für zulässig.*

Abweichendes wurde bisher – freilich unter Berufung auf die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (im Anhang der RL 2010/18/EU) – lediglich für Zeiten der Elternkarenz angenommen: Insoweit hielt es der EuGH in der Österreich betreffenden Rs Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols* für unzulässig, wenn AN nach Inanspruchnahme ihres Elternurlaubs von zwei Jahren die im Jahr vor der Geburt ihres Kindes erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub verlieren. Die zentralen innerstaatlichen Vorgaben wurden infolgedessen iSd nunmehrigen Verlängerung der betreffenden Verjährungs- bzw Verfallsfristen um den gesamten Zeitraum einer in Anspruch genommenen Elternkarenz geändert.

Vor diesem Hintergrund sprach a priori alles dafür, dass nach Art 7 RL 2003/88 selbst in Fällen der Unmöglichkeit eines Urlaubsverbrauchs – sei es wegen Krankheit oder aus anderen Gründen – keine Hemmung der ohnedies zwei Jahre ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres betragenden Verjährungsfrist des § 4 Abs 5 UrlG geboten ist. Auch hinsichtlich der im öffentlichen Dienstrecht bestehenden kürzeren Verfallsfristen konnte aber mit guten Gründen angenommen werden, dass deren Verlängerung um (nur) ein Jahr bei Unmöglichkeit eines Urlaubsverbrauchs aus dienstlichen Gründen, aufgrund einer Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unfall oder aufgrund eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG (vgl erneut nur § 27h VBG, § 69 BDG) grundsätzlich ausreichend ist, um den Anforderungen des EuGH zu genügen.

2.
Entscheidung des EuGH in der Rs King
2.1.
Zentrale Aussagen des EuGH

In der E in der Rs King* beschreitet der EuGH freilich einen gänzlich anderen Weg: Der Kl war über 13 Jahre ausschließlich auf Provisionsbasis300tätig und erhielt aufgrund der fälschlichen Annahme einer selbständigen Tätigkeit keinen bezahlten Urlaub. Nach dem streitgegenständlichen englischen Recht war eine Übertragung des nicht verbrauchten Urlaubs in Folgeperioden nicht vorgesehen. Überdies hatten AN (offenbar) nicht die Möglichkeit, ihre AG auf Gewährung bezahlten Urlaubs zu klagen, sondern mussten hierfür zunächst (vorerst unbezahlten) Urlaub nehmen. Bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses verlangte Herr King dennoch für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung eine Vergütung für den nicht bezahlten Jahresurlaub. Er habe diesen nämlich nur wegen der Weigerung seines AG, ihn zu vergüten, nicht genommen. Wenig überraschend beurteilt es der EuGH nun zunächst im Lichte des Art 7 RL 2003/88 sowie des in Art 47 GRC verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf als unionsrechtlich unzulässig, dass AN bei Streitigkeiten darüber, ob ihnen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zusteht, auf eigenes Risiko Urlaub nehmen müssen, bevor sie feststellen können, ob sie dafür Anspruch auf Bezahlung haben (vgl Rn 31 ff des Urteils). Darüber hinaus sieht er es aber auch mit Art 7 RL 2003/88 und Art 31 Abs 2 GRC unvereinbar an, wenn die nationalen Rechtsvorschriften dem/der AN bei der Verweigerung des bezahlten Urlaubskonsums durch den/die AG keine Übertragung des Urlaubs bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen.

Der EuGH erblickt somit auch in der – im konkreten Fall auf die „Scheinselbständigkeit“ des Kl zurückgehenden – Nichtgewährung bezahlten Urlaubs einen vom AN-Willen unabhängigen Grund für die Unmöglichkeit eines zeitgerechten Urlaubskonsums, der im Hinblick auf das Ziel der RL eine Übertragung des Urlaubs verlangt bzw – anders ausgedrückt – dessen Verjährung (Verfall) entgegensteht. Dabei hält der EuGH auch die in Krankheitsfällen angenommene „Ansammlungsgrenze“ – im konkreten Fall ging es immerhin um über 13 Jahre (!) – für nicht maßgeblich, da es für AG hier, anders als bei krankheitsbedingtem Nichtverbrauch des Urlaubs, zu keinen organisatorischen Schwierigkeiten durch „Ausfall“ von MitarbeiterInnen komme.

AN steht in solchen Konstellationen folglich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine finanzielle Vergütung (Urlaubsersatzleistung) in Höhe des gesamten nicht verbrauchten Urlaubs zu. Einen möglichen Irrtum auf AG-Seite über das (Nicht-)Bestehen des Urlaubsanspruchs sieht der EuGH unter Verweis auf das Erfordernis, sich umfassend über die bestehenden Verpflichtungen zu informieren, als von vornherein unerheblich an (Rn 61). Dasselbe gilt für die Frage, ob dem/der AN ein „echtes“ Arbeitsverhältnis angeboten wurde (Rn 50). Auch dem Umstand, ob der/die AN im Laufe der Jahre bezahlten Jahresurlaub beantragt hat, misst der EuGH keine Bedeutung zu (Rn 62). Nicht zuletzt hebt er hervor, dass eine andere Interpretation ein Verhalten bestätigen würde, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des/der AG führe und dem Zweck der RL zuwiderlaufe (Rn 64).

2.2.
Bewertung

Auf den ersten Blick besticht sowohl das Ergebnis als auch die Begründung des EuGH: In der Tat scheint es schwer einsehbar, wenn AG den bei ihnen beschäftigten Personen den Konsum des ihnen zustehenden Urlaubs verweigern, sich in weiterer Folge aber erfolgreich auf dessen Verjährung berufen können. Dies gilt für Fälle von „Scheinselbständigkeit“ in besonderem Maße. Hier besteht nicht nur das Grundproblem, dass AN sich angesichts der Abhängigkeit vom Entgelt im aufrechten Arbeitsverhältnis häufig gezwungen sehen, von einer Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche Abstand zu nehmen. Sie gehen vielmehr im Regelfall überhaupt von deren Nichtbestehen aus und haben daher gar keine Veranlassung, ihre Ansprüche zeitgerecht geltend zu machen (vgl zur Lösung dieser Problematik nach dem nationalen Recht unten 4.). Überzeugend schreibt der EuGH grundsätzlich auch das Risiko einer rechtlichen Fehlbeurteilung dem/der AG zu* und spricht die Problematik an, dass bei Nichtübertragbarkeit des Urlaubs ein rechtswidriges Verhalten noch „belohnt“ würde. Der/Die AG müsste schlussendlich (sogar) wesentlich weniger leisten, als er/sie bei rechtskonformem Verhalten leisten hätte müssen. Da mit den „Nicht-Urlaubszeiten“ in Fällen fälschlich angenommener Selbständigkeit – im Gegensatz zu Krankheitsfällen – keine Fehlzeiten korrespondieren, wird der/die AG durch die Übertragung des Urlaubs auch nicht im Ergebnis „doppelt“ belastet.

Schlussendlich vermag die E des EuGH freilich trotz dieser Argumente nicht zu überzeugen.

Zunächst überschreitet der Gerichtshof seine Kompetenzen, indem er die explizite Bezugnahme des Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-RL auf die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung von Urlaub im Ergebnis völlig ignoriert:

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Erfüllung der Verpflichtung zur Gewährung eines Mindesturlaubs voraussetzt, dass die AN diesen tatsächlich ausüben (und gegebenenfalls klagsweise geltend machen) können. In Art 47 GRC ist auch ausdrücklich das Recht auf einen wirksamen Rechtbehelf verankert. Nach stRsp des EuGH dürfen ferner Verfahren zur Durchsetzung aus dem Unionsrecht erwachsender Ansprüche weder ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzprinzip), noch darf die Aus-301übung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Effektivitätsprinzip).* Zu Recht hätte der EuGH somit eine gewisse Mindestdauer der national geregelten Verjährungs- bzw Verfallsfristen einfordern können.* Eine Übertragung des Urlaubs wegen Unmöglichkeit eines zeitgerechten Urlaubskonsums wäre überdies unter Verweis auf das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs im einschlägigen englischen Recht begründbar gewesen. Auf die Problematik der Durchsetzbarkeit nimmt der EuGH bei Beantwortung der „verjährungsbezogenen“ Fragen jedoch keinerlei Bezug. Er stellt insoweit allein auf die Verweigerung bezahlten Urlaubskonsums durch den/die AG ab und hält es sogar für unerheblich, ob der/die AN überhaupt Urlaub beantragt hat. Offenkundig spielt somit die Klagemöglichkeit aus Sicht des EuGH für die Frage der Verjährbarkeit keine Rolle.*

Nicht zuletzt wäre ein gewichtiges Argument für die aus Effektivitätsgründen gebotene Übertragbarkeit des Urlaubs in der „Scheinselbständigkeit“ des Kl und der damit idR einhergehenden Unkenntnis vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sowie damit verbundener Ansprüche zu finden gewesen (vgl näher unten 4.2.). Auch daran knüpft der EuGH jedoch – ebenso wie die Vorlagefragen – offenkundig nicht an.* Er stellt nur darauf ab, dass der Kl durch seinen AG (wegen der Verweigerung einer Bezahlung) nicht in die Lage versetzt worden ist, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Dabei hält er nicht nur einen Irrtum des AG über das (Nicht-)Bestehen des Urlaubsanspruchs für unerheblich, sondern nimmt auch auf den Kenntnisstand des AN oder den Zeitpunkt der Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses in keiner Weise Bezug.

Darüber hinaus geht der EuGH von einer falschen Prämisse aus, wenn er Fälle der (generellen) Nichtgewährung bezahlten Urlaubs ohne weitere Begründung solchen gleichsetzt, in denen ein Urlaubskonsum – wie bei Krankheit – nicht möglich ist. In letztgenannten Konstellationen ist auch eine Klage zur Durchsetzung des Urlaubsanspruchs rechtlich nicht möglich bzw kommt zumindest faktisch unter Berücksichtigung des Erholungszwecks des Urlaubs nicht in Betracht. Aus eben diesem Grund ist hier nach dem nationalen Recht von einer Fristhemmung auszugehen (vgl näher schon oben 1.). Bei „bloßer“ Verweigerung bezahlten Urlaubs besteht diese objektive Möglichkeit der Geltendmachung – vorbehaltlich effektiver Rechtsbehelfe im nationalen Recht – durchaus (vgl aber noch unten 4. zum Fall der Scheinselbständigkeit). Insoweit unterscheidet sich der Fall „Urlaub“ nicht von demjenigen, dass AG die Erfüllung anderer arbeitsrechtlicher Ansprüche verweigern und diese gerade deshalb klagsweise geltend gemacht werden müssen. Die Verweigerung der Anspruchserfüllung durch den/die Verpflichtete/n geht dem Eintritt einer Verjährung geradezu im Regelfall voraus. Auch der Eintritt einer „Begünstigung“ rechtswidrig handelnder Verpflichteter durch teilweise Befreiung von der Leistungspflicht ist einer jeden Verjährung letztlich immanent. Sie wird – insb mit Blick auf die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten für den/die Verpflichtete/n – in Kauf genommen.* Auch der EuGH selbst hat an der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Verjährung/eines Verfalls (auch) arbeitsrechtlicher Ansprüche bisher keinen Zweifel gelassen.* Dabei geht er davon aus, dass sich der Beginn entsprechender Fristen grundsätzlich nach dem nationalen Recht bestimmt und insb der Zeitpunkt der Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch ein entsprechendes Urteil für den Fristbeginn unerheblich ist.*

Das Ergebnis des EuGH hätte damit – mag es auch für das konkrete Ausgangsverfahren letztlich überzeugen – jedenfalls einer differenzierteren Begründung bedurft. Die pauschale Annahme einer Unverjährbarkeit des Urlaubsanspruchs bei (bloßer) Verweigerung der Urlaubsgewährung durch den/die AG lässt sich mit dem Effektivitätsprinzip oder Art 47 GRC nicht begründen.

3.
Auswirkungen auf das österreichische Urlaubsrecht
3.1.
Verjährung des Urlaubs bei Verweigerung der Urlaubsgewährung unionsrechtlich unzulässig

Ungeachtet der geäußerten Kritik ist angesichts der E des EuGH davon auszugehen, dass eine Verjährung oder ein Verfall des Urlaubsanspruchs bei „Scheinselbständigkeit“, aber auch in anderen Fällen, in denen AN der Urlaubskonsum innerhalb der vorgesehenen Fristen verweigert wird, bezüglich des nach Art 7 RL 2003/88 gebührenden Mindesturlaubs unionsrechtlich unzulässig ist.* Dabei ist im Lichte der Aussagen des EuGH wohl auch der Begriff der „Weigerung“ weit auszulegen.* Es ist somit anzunehmen, dass es immer dann zu keinem Verlust des Urlaubs kommen darf, wenn der/die AG den302Konsum des Erholungsurlaubs oder auch nur dessen Bezahlung ablehnt oder die zeitgerechte Urlaubsinanspruchnahme faktisch – etwa auch durch eine laufend zu hohe Arbeitsbelastung (!) – verunmöglicht. Eine „Verweigerung“ wird man damit auch unter Berücksichtigung des Verfahrens zum einseitigen Urlaubsantritt nach § 4 Abs 4 UrlG nicht erst bejahen können, wenn der/die AG gegen einen „verjährungsrelevanten“ Urlaubswunsch fristgerecht Klage einbringt, sondern bereits dann, wenn zumutbare Urlaubsgesuche des/der AN abgelehnt werden.

Eine Verpflichtung (oder auch nur ein Recht!) zur einseitigen Festlegung oder zu einem eigeninitiativen Anbieten von Urlaubszeiträumen ist dagegen – ungeachtet des Hinweises des EuGH, dass es „was das Ausgangsverfahren betrifft“ unerheblich sei, ob Herr King im Laufe der Jahre bezahlten Jahresurlaub beantragt habe (Rn 62) – aus der E in der Rs King nicht abzuleiten.* Dagegen spricht neben dem Abstellen (nur) auf die durch den/die AG (gar) nicht geschaffene Möglichkeit bzw Verweigerung des Urlaubsverbrauchs,*) wiederum auch, dass die Normierung von Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung des Urlaubs ausdrücklich den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorbehalten ist.* AG werden freilich losgelöst von konkreten Urlaubsgesuchen ihrer AN doch zu erkennen geben müssen, dass sie grundsätzlich bereit sind, bezahlten Urlaub – während für die Betroffenen mit Blick auf den Erholungszweck des Urlaubs zumutbarer Zeiträume – zu gewähren. Dies gilt naturgemäß umso mehr, wenn AN das Bestehen eines Urlaubsanspruchs erkennbar nicht bekannt ist, diese somit gar keine Veranlassung haben, ein Begehren auf Urlaubsgewährung zu stellen.

3.2.
Unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Abs 5 UrlG

Damit stellt sich die Frage, was das Gesagte für das österreichische Urlaubsrecht bedeutet. Angesichts der (wohl) fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 7 RL 2003/88 bzw Art 31 Abs 2 GRC zwischen Privaten* ist hier – solange es zu keiner gesetzlichen Änderung kommt* – vor allem die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Interpretation relevant. Eine solche verlangt nach dem EuGH, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen RL zu gewährleisten und zu einem Ergebnis gelangen, das mit dem von dieser verfolgten Ziel im Einklang steht.* Gem § 4 Abs 5 UrlG idgF verjährt der Urlaubsanspruch wie erwähnt nach Ablauf von zwei Jahren ab Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Als „Erstreckungsgrund“ genannt wird nur die Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG/VKG. Schon die Rsp des OGH zur (Ablauf-)Hemmung der Verjährung in Krankheitsfällen macht jedoch deutlich, dass hieraus nicht der Umkehrschluss zu ziehen ist, dass es in allen anderen Fällen zu keiner Verjährungshemmung kommen kann. Zwar wurde oben auf die bei „bloßer“ Verweigerung des Urlaubskonsums durchaus objektiv mögliche (gerichtliche) Geltendmachung hingewiesen; auch dies steht aber einer unionsrechtskonformen Auslegung (nur) der Sondernorm des § 4 Abs 5 UrlG nicht entgegen. Berücksichtigt man nämlich die Vereinbarungsabhängigkeit des konkreten Urlaubsverbrauchs, so kann § 4 Abs 5 UrlG dahingehend ausgelegt werden, dass eine Verjährung nur – mit dem Ziel eines Schutzes der AG vor „Urlaubshortung“ – dann eintreten soll, wenn der Nichtverbrauch des Urlaubs dem/der AN zuzurechnen ist. Solange dem/der AN der Urlaubskonsum durch den/die AG nicht ermöglicht wird, ist folglich von einer Hemmung der Verjährungsfrist auszugehen. Dabei scheint die Annahme einer Ablaufhemmung – verbunden mit einer einen zweckmäßigen und beiderseits zumutbaren Urlaubsverbrauch ermöglichenden „Nachfrist“ – zur Herstellung der Unionsrechtskonformität ausreichend.* Sie wird auch der genannten Zielsetzung der Verjährungsbestimmung wohl am besten gerecht. Wird das Arbeitsverhältnis, was regelmäßig der Fall sein wird, beendet, bevor dem/der AN der Urlaubsverbrauch zugebilligt wurde, so steht diesem/dieser gem § 10 UrlG eine Urlaubsersatzleistung in Höhe des gesamten (!) nicht konsumierten Urlaubs zu.

Fraglich ist damit freilich noch, ob die geschilderten Grundsätze nur für den vierwöchigen Mindesturlaub nach der RL oder auch für die nach dem österreichischen Recht vorgesehene fünfte bzw sechste Urlaubswoche (vgl § 2 Abs 1 UrlG) zu gelten haben. Rein unionsrechtlich könnte hier wohl differenziert werden. Legt man die Verjährungsbestimmung jedoch teleologisch im genannten Sinn aus, so lässt sich deren Nichtanwendung auf den „rein nationalen“ Urlaubsanspruch interpretativ nicht begründen. Auch ließe sich eine entsprechende Differenzierung sachlich kaum rechtfertigen.*

3.3.
Gesetzliche Anpassungen bezüglich sondergesetzlicher Verfallsfristen

Schwierig gestaltet sich die interpretative Herstellung der Unionsrechtskonformität dagegen im Hinblick auf die bestehenden gesetzlichen Verfalls-303fristen. Soweit in den einschlägigen Regelungen, wie in § 27h VBG und § 69 BDG, eine ausdrückliche Verlängerung auch für Fälle vorgesehen ist, in denen der Urlaubsverbrauch „aus dienstlichen Gründen“ nicht möglich ist, wird man darunter auch Fälle der Verweigerung der Urlaubsgewährung durch den/die AG subsumieren können und müssen. Da der Verfall in solchen Fällen jedoch explizit erst – aber eben doch – mit Ablauf des folgenden (übernächsten) Kalenderjahres eintritt, scheidet eine richtlinienkonforme Interpretation iSe generellen Unverjährbarkeit bei „Verweigerung“ aus. Insoweit liegt es daher am Gesetzgeber, durch entsprechende Anpassungen den unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen.

4.
Beschränkungen der Verjährbarkeit weiterer arbeitsrechtlicher Ansprüche?
4.1.
Grundsätzliches

Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten drängt sich die Frage auf, ob Vergleichbares nicht auch für andere arbeitsrechtliche Ansprüche – deren Erfüllung von dem/der AG ja ebenso verweigert werden kann – zu gelten hat.

Soweit nicht gesetzliche Spezialregelungen bestehen (vgl etwa §§ 15, 29 GlBG; § 6 DHG; § 34 AngG und § 1162d ABGB), sind auch für arbeitsrechtliche Ansprüche die allgemeinen Verjährungsbestimmungen des ABGB maßgeblich. Entgeltansprüche oder solche auf Auslagenersatz verjähren demnach gem § 1486 Z 5 ABGB binnen drei Jahren ab Fälligkeit. Ebenso gilt für Ansprüche auf jährliche Leistungen eine dreijährige Verjährungsfrist (§ 1480 ABGB).

Der OGH lässt darüber hinaus auch hinsichtlich gesetzlich zwingender Ansprüche grundsätzlich die Vereinbarung (sogar wesentlich) kürzerer Verfallsfristen* sowohl in Kollektivverträgen als auch in Arbeitsverträgen zu. Begründet wird dies zum einen im Wesentlichen mit einem – für das Arbeitsrecht freilich keineswegs zwingenden – Umkehrschluss zu § 1502 ABGB* sowie § 11 Abs 2 Z 5 AÜG, § 26 Abs 8 AZG und § 1164 iVm § 1162b ABGB (§ 40 iVm § 34 AngG).*, * Zum anderen wird – ebenfalls wenig überzeugend – darauf hingewiesen, dass derartige Verfallsklauseln nicht die Ansprüche selbst, sondern nur zulässigerweise ihre Geltendmachung beschränken, weshalb der einseitig zwingende Charakter des Anspruchs insoweit nicht durchschlage.* Die besondere Schutzbedürftigkeit des/der AN und dessen Schwierigkeiten bei Geltendmachung von Ansprüchen im aufrechten Arbeitsverhältnis kann nach Ansicht des OGH im Hinblick auf das Interesse des/der AG an einer möglichst raschen Klärung strittiger Fragen bzw der Einschätzung der tatsächlichen „Kostenstruktur“ ebenfalls nicht durchschlagen.* Nur ganz ausnahmsweise nimmt der OGH eine Unzulässigkeit wegen Sittenwidrigkeit (§ 879 ABGB) an. Dies zunächst, wenn die Geltendmachung des Anspruchs aufgrund der Kürze der Frist ohne sachlichen Grund wesentlich erschwert wird, was aber etwa selbst bei Fristen von (nur) drei Monaten idR nicht der Fall sei.* Darüber hinaus kann die Berufung auf eine grundsätzlich wirksame Verfallsklausel im konkreten Fall gegen Treu und Glauben verstoßen, etwa weil der/die AN mangels Erhalts einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung gar nicht erkennen konnte, dass seine/ihre Ansprüche nicht erfüllt wurden.* Insb eine bestehende „Scheinselbständigkeit“ steht dem OGH zufolge dagegen grundsätzlich weder der Gültigkeit der Verfallsklausel noch einer Berufung auf diese entgegen.*

Diese Rsp wurde in der Literatur berechtigterweise wiederholt kritisiert.* Der OGH hat jedoch mehrfach deutlich gemacht, dass er ungeachtet aller vorgebrachten Argumente an seiner Auffassung festhält.* Dies macht die Frage möglicher Auswirkungen der E in der Rs King umso bedeutsamer.

4.2.
Unionsrechtliche Implikationen

Nimmt man den EuGH dahingehend beim Wort, dass schon die schlichte Verweigerung der Anspruchserfüllung durch den/die AG einer Verjährung entgegensteht, so liegt a priori der Schluss nahe, dass eine Verjährung durch den/die AG nicht erfüllter Ansprüchen generell unzulässig ist, soweit diese in den Anwendungsbereich des Unionsrechts304fallen. Eine nähere Betrachtung zeigt freilich, dass hiervon keinesfalls auszugehen ist: So musste zunächst zwar die Frage der Verjährbarkeit des mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung in der Rs King nicht beantwortet werden, da die Klage insoweit unstrittig fristgerecht eingebracht worden war. Die gesamte Begründung des EuGH deutet jedoch darauf hin, dass es diesem spezifisch (nur) um die Problematik der Verunmöglichung eines Urlaubsverbrauchs in natura ging. Dafür, dass auch eine Verjährung des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung aus Sicht des EuGH unzulässig sein könnte, gibt es kein Indiz. Darüber hinaus wurde bereits darauf hingewiesen (Pkt 2.2.), dass der EuGH eine Verjährung (einen Verfall) arbeitsrechtlicher Ansprüche wiederholt – und auch im aufrechten Arbeitsverhältnis – zugelassen hat. Über den (Natural-)Urlaub hinaus ist damit keine unionsrechtliche Verpflichtung anzunehmen, bei Verweigerung der Anspruchserfüllung durch den/die AG generell von der Unverjährbarkeit auszugehen oder die Verjährung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben.

Nicht gesagt ist damit allerdings insb, dass konkret vorgesehene Verjährungs- oder Verfallsfristen mit dem unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgebot vereinbar sind. So werden in der Literatur etwa die in Diskriminierungsfällen vorgesehenen Verjährungsfristen (vgl §§ 15, 29 GlBG; § 7g BEinstG) zT durchaus kritisch gesehen. Überzeugend wird hier sowohl bezüglich der (nur) 14-tägigen Anfechtungsfrist als auch der Sechsmonatsfrist für die Geltendmachung von Schadenersatz bei Diskriminierung bei Begründung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die Problematik verwiesen, dass eine Diskriminierung für den/die AN ohne Nachforschungen selten sofort erkennbar und daher eine fristgerechte Geltendmachung beträchtlich erschwert ist.* Umso mehr erweisen sich kurze Verjährungs- oder Verfallsfristen dann problematisch, wenn der/die AN wegen fälschlich angenommener Selbständigkeit nichts vom Bestehen bestimmter arbeitsrechtlicher Ansprüche – und daher etwa von deren diskriminierender Nichtgewährung – weiß.* Man denke nur bspw an den Fall, dass der/die AG einem Menschen mit Behinderung angesichts befürchteter Leistungseinschränkungen nur eine Tätigkeit als „Selbständiger“ anbietet und ihn infolgedessen – ebenfalls in diskriminierender Weise – beim Entgelt oder sonstigen Arbeitsbedingungen benachteiligt.

Der EuGH hat zwar deutlich gemacht, dass der Umstand allein, dass der/die AN vor Erlassung eines entsprechenden Urteils von der Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts – und folglich vom Nichtbestehen bestimmter Ansprüche – ausgegangen ist, die Verjährungseinrede nicht hindert.* Folglich gebietet es das Effektivitätsprinzip offenkundig nicht, Verjährungs- und Verfallsfristen generell erst mit jenem Zeitpunkt laufen zu lassen, zu dem der/die AN den Anspruch erkennen kann. Es wurde aber etwa auch entschieden, dass das Unionsrecht der Anwendung einer Verfallsfrist (konkret von zwei Jahren) zur Geltendmachung des Anspruchs auf rückständiges Arbeitsentgelt und Schadenersatz wegen Diskriminierung entgegensteht, wenn eine AN die Diskriminierung wegen bewusst wahrheitswidriger Informationen des/der AG über das Entgelt männlicher Kollegen nicht erkennen konnte.* Dass der Erkennbarkeit für den/die Berechtigte/n gerade bei vorwerfbarem Verhalten des „Gegenübers“ aus Sicht des EuGH Bedeutung zukommt, zeigen überdies bspw (österreichische Regelungen betreffende) Entscheidungen zur Unzulässigkeit eines Erlöschens des Rücktrittsrechts in der privaten Lebensversicherung, bevor der/die Versicherungsnehmer/in über dieses Recht belehrt wurde* sowie zum Verstoß gegen das Effektivitätsgebot durch Normierung sechsmonatiger Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens mangels Bekanntgabe.*

Unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH in der Rs King ist dem/der AG nun eine bestehende „Scheinselbständigkeit“ auch über bewusste „Täuschungen“ hinaus jedenfalls insoweit vorwerfbar, als sich diese/r nicht die nötige Kenntnis über die Rechtslage verschafft hat. Beachtet man weiter, dass der/die AN infolgedessen das Bestehen entsprechender arbeitsrechtlicher Ansprüche regelmäßig von vornherein nicht erkennen kann, so spricht vieles dafür, dass der Beginn des Laufs oder zumindest der Ablauf von Verjährungs- und Verfallsfristen hier im Lichte des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots nicht vor der Erkennbarkeit für den/die AN einsetzen darf, soweit es um dem Unionsrecht entspringende Ansprüche geht. Dies zumindest insoweit, als es nicht um lange 30- oder gar 40-jährige Fristen geht, bezüglich derer (wohl) das Interesse der Rechtssicherheit in den Vordergrund tritt.

4.3.
Neubewertung von Verjährung und Verfall im nationalen Recht?

Soweit einer Verjährung bestimmter Ansprüche unionsrechtlich Grenzen gesetzt sind, liegt wiederum die Frage nahe, ob Entsprechendes nicht aus Sachlichkeitsgründen auch für andere, rein nationale Ansprüche, wie etwa solche auf laufendes Entgelt, gelten muss. Insoweit ist nun zunächst zu305konstatieren, dass allein die infolge der Rs King gebotene Verjährungshemmung bei Verweigerung eines fristgerechten Urlaubskonsums in natura aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Übertragung auf andere zwingende arbeitsrechtliche Ansprüche gebietet. Denn der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz (Art 7 B-VG) verpflichtet den Gesetzgeber nach stRsp des VfGH (nur), Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser darf also nicht ohne sachliche Rechtfertigung vergleichbare Sachverhalte ungleich oder nicht vergleichbare gleich behandeln.* Aufgrund des aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Sachlichkeitsgebots ist jede unsachliche Differenzierung verfassungswidrig.* Sachliche Unterscheidungen sind damit aber jedenfalls zulässig. Der Verjährungseintritt hat zwar bezüglich sämtlicher Ansprüche des/der AN gegen seine/n oder ihre/n AG im Ergebnis eine „Begünstigung“ dessen/deren rechtswidrigen Verhaltens sowie einen Verlust (auch) zwingend ausgestalteter Ansprüche zur Folge. Der Urlaub unterscheidet sich als vereinbarungsabhängiger Naturalanspruch mit spezifischem (Erholungs-)Zweck aber doch – gerade auch, was das Gewicht einer „Verweigerung“ betrifft – deutlich von anderen arbeitsrechtlichen Ansprüchen.* Eine Gleichbehandlung erfordernde vergleichbare Situation ist daher insoweit nicht anzunehmen. Ungeachtet des spezifischen Schutzzwecks des Arbeitsrechts ist der Gesetzgeber aus Sachlichkeitsgründen auch nicht gehalten, Verjährungs- und Verfallsfristen generell erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufen zu lassen.

Durchaus anders stellt sich die Situation freilich dar, wenn man iSd oben Gesagten im Hinblick auf das Effektivitätsgebot im Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht nur sehr kurze Fristen für unzulässig hält, sondern bei dem/der AG vorwerfbarer „Scheinselbständigkeit“ vor Erkennbarkeit des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses für den/die AN von der Unzulässigkeit einer Verjährung (eines Verfalls) ausgeht. Nimmt der/die AN fälschlich eine selbständige Tätigkeit an, unterscheidet sich seine/ihre Lage nämlich hinsichtlich der Schwierigkeiten einer zeitgerechten Geltendmachung bei rein nationalen Ansprüchen nicht von jener bei dem Unionsrecht entspringenden. Auch können allein die unionsrechtlichen Implikationen hier (wohl) keinen eine Ungleichbehandlung rechtfertigenden „Unterschied im Tatsächlichen“ begründen.*

Auch wenn man all dem nicht folgt, sollte die Argumentation des EuGH in der Rs King – insb dessen berechtigter Hinweis, dass rechtswidriges Verhalten nicht belohnt werden soll – schließlich (wenigstens) Anlass bieten, die Frage der Zulässigkeit von Verfallsklauseln* sowie des Verjährungs-/Verfallseintritts in Fällen der „Scheinselbständigkeit“ einer Neubewertung zu unterziehen:

Die Annahme einer Verjährungshemmung in allen Fällen nicht arbeitsrechtskonformer Anspruchserfüllung durch den/die AG würde wohl unbestritten dem Grundkonzept der Verjährung diametral zuwiderlaufen. Auch eine generelle Hemmung der Verjährung/des Verfalls (auch nur zwingender) arbeitsrechtlicher Ansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses scheint de lege lata schwer begründbar.* Dafür spricht zwar a priori das Abhängigkeitsverhältnis des/der AN. Auch geben die §§ 1494 ff ABGB zu erkennen, dass neben rechtlichen auch gewisse faktische Schwierigkeiten bei Geltendmachung von Ansprüchen durchaus Auswirkungen auf die Verjährbarkeit haben. So kann die Verjährung insb gem § 1495 ABGB ausdrücklich zwischen EhegattInnen (eingetragenen PartnerInnen) sowie zwischen gesetzlichen VertreterInnen und den von ihnen Vertretenen weder anfangen noch fortgesetzt werden, solange die Ehe (eingetragene Partnerschaft) oder das Vertretungsverhältnis andauert. Grund für diese Regelung ist nach hA, dass die genannten (familienrechtlichen) Beziehungen Rücksichten auferlegen, welche die Geltendmachung von Rechten und Pflichten erschweren.* Zum einen kann aber die „Sorge“ des/der AN vor einer Klage seines/seiner AG diesen (und den anderen in §§ 1494 ff ABGB genannten)* Gründen im Gewicht wohl nicht gleichgehalten werden. Auch gilt die Hemmung nach § 1495 ABGB ausdrücklich gerade für Ansprüche auf Abgeltung der Mitwirkung im Erwerb des/der EhegattIn nicht. Zum anderen sprechen die spezifisch arbeitsrechtlichen gesetzlichen Verjährungs- und Verfallsregelungen gegen die Annahme einer Unverjährbarkeit im aufrechten Arbeitsverhältnis. So statuiert etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – § 15 Abs 1 GlBG für Ansprüche wegen Belästigung ausdrücklich eine ein- bzw dreijährige Verjährungsfrist und verweist für andere diskriminierungsrechtliche Ansprüche auf die – ab der Fälligkeit laufende – dreijährige Verjährungsfrist gem § 1486 ABGB. Hätte der Gesetzgeber anderes gewollt, hätte er den Beginn des Fristlaufs wohl jedenfalls mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses festgelegt oder zumindest eine Fristhemmung bis zu diesem Zeitpunkt vorgesehen.306

Vor dem Hintergrund der bestehenden gesetzlichen Regelungen gerade nicht ausgeschlossen ist jedoch zunächst eine Auslegung iSd in der Literatur (bereits lange vor Ergehen der E in der Rs King) wiederholt vertretenen Ansicht, dass gesetzliche Verjährungsfristen in Bezug auf zwingende arbeitsrechtliche Ansprüche durch Einzelvereinbarung und (jedenfalls) hinsichtlich gesetzlich zwingender Ansprüche auch durch Kollektivverträge* von vornherein nicht verkürzt werden dürfen (vgl schon oben 4.1.). Darüber hinaus wäre selbst bei grundsätzlicher Zulassung von Verfallsklauseln bezüglich der nach § 879 ABGB gebotenen (Mindest-)Länge eine strengere Sichtweise – so etwa eine Orientierung an der Sechsmonatsfrist des § 34 AngG bzw § 1164 ABGB – möglich und auch geboten.*

Vor allem aber besteht im Hinblick auf besonders problematische Fälle von „Scheinselbständigkeit“ ein entsprechender Interpretationsspielraum. Denn Verjährungs- und Verfallsfristen laufen zwar bei objektiv möglicher Geltendmachung nach hA unabhängig von der Kenntnis des Anspruchs;* es wird aber auch die Ansicht vertreten, dass die Verjährung dann (doch) nicht Platz greifen kann, wenn dem/der RechtsinhaberIn die Untätigkeit nicht einmal objektiv zum Vorwurf gemacht werden kann.* Die Annahme einer Ablaufhemmung sowohl der Frist nach § 1486 Z 5 ABGB als auch – umso mehr – kürzerer Verfallsfristen bis zur Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses in dem/der AG zuzurechnenden „Umqualifizierungsfällen“ scheint somit nicht unvertretbar. Darüber hinaus ist bislang zwar nur anerkannt, dass der Verjährungseinrede unter Berufung auf § 879 ABGB die Replik der Arglist entgegengehalten werden kann, wenn der/die SchuldnerIn den/die GläubigerIn arglistig an der Kenntnisnahme der anspruchsbegründenden Tatsachen hindert.* Unter Berücksichtigung des Abhängigkeitsverhältnisses des/der AN ist jedoch mE auch bei Berufung auf die „kurzen“ dreijährigen Verjährungs- und umso mehr auf kürzere Verfallsfristen ein iSd § 879 ABGB relevantes auffallendes Missverhältnis zwischen dem geförderten Interesse des/der AG an der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und/oder möglichst raschen Klärung strittiger Ansprüche und den Interessen des/der AN an Erfüllung seiner (zwingenden) arbeitsrechtlichen Ansprüche anzunehmen, wenn das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses für den/die AG erkennbar war, der/die AN aber dennoch im Glauben gelassen wurde, aufgrund bestehender Selbständigkeit keine arbeitsrechtlichen Ansprüche zu haben.*

5.
Fazit

Die E des EuGH in der Rs King hat jedenfalls im Urlaubsrecht erhebliche praktische Auswirkungen. Soweit die nationalen Vorgaben dies zulassen, ist hier in unionsrechtskonformer Auslegung von einer Ablaufhemmung entsprechender Verjährungs- und Verfallsfristen bis zur Ermöglichung eines Urlaubsverbrauchs durch den/die AG auszugehen. Für Fälle von „Scheinselbständigkeit“ ist damit im Regelfall zumindest bis zur Feststellung der AN-Eigenschaft von der Unverjährbarkeit des Urlaubsanspruchs und folglich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer uU Jahr(zehnt)e umfassenden Urlaubsersatzleistung auszugehen.* Darüber hinausgehende unmittelbare Auswirkungen auf andere arbeitsrechtliche Ansprüche sind aus der E des EuGH wohl nicht abzuleiten. Sowohl im Unionsrecht als auch im nationalen Recht finden sich aber gute Gründe dafür, dass sich AG zumindest in Fällen von ihnen verschuldeter „Scheinselbständigkeit“ bis zu deren Erkennbarkeit für den/die AN nicht erfolgreich auf den Eintritt von Verjährung oder Verfall berufen können.

Nicht zuletzt bleibt die (zumindest kleine) Hoffnung, dass der OGH die E in der Rs King zum Anlass nimmt, seine Rsp zur Zulässigkeit von Verfallsklauseln doch noch grundsätzlich zu überdenken. Es ist geradezu kurios, dass der EuGH unter Verweis auf die sonst eintretende Bereicherung rechtswidrig handelnder AG im Ergebnis sogar von der Unverjährbarkeit verweigerten Urlaubs ausgeht, während der OGH AG bei Nichterfüllung zwingender AN-Ansprüche durch Zulassung selbst extrem kurzer Verfallsfristen belohnt!307