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Künstlerische Freiheit vor Demokratisierung der Unternehmen?

WOLFGANGKOZAK (WIEN)
  1. Keine analoge Anwendung von § 22 Bundestheaterorganisationsgesetz (BThOG) auf sonstige Theaterunternehmen, da der Gesetzgeber bewusst an der Ausnahme des § 133 Abs 6 ArbVG festhielt.

  2. Die vom Gesetzgeber gewählte Differenzierung begründet aufgrund des zulässigen Abstellens auf den Regelfall keine Gleichheitswidrigkeit.

Die Bekl betreibt ein Mehrspartentheater (*) sowie ein philharmonisches Orchester (*). Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass sie ein Theaterunternehmen ist. Die Bekl ist nicht auf Gewinn gerichtet, sondern dient iSd §§ 34 ff BAO ausschließlich und unmittelbar der Förderung der Kunst. Sie verfügt über einen gesetzlich zwingenden, aus 13 Kapitalvertretern bestehenden Aufsichtsrat.

Der Kl, Betriebsausschuss der Bekl, begehrte die Feststellung, dass ihm ein Entsenderecht von sieben, in eventu von zwei Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat der Bekl zukomme. Soweit revisionsgegenständlich, brachte er vor, der in § 133 Abs 6 ArbVG normierte absolute Tendenzschutz sei mangels sachlicher Rechtfertigung und in Anbetracht der für Bundestheater nun in § 22 Abs 2 BThOG enthaltenen Bestimmung verfassungswidrig und unanwendbar, sodass ihm gem § 110 ArbVG ein Entsenderecht in den Aufsichtsrat zustehe. Allenfalls sei § 22 Abs 2 BThOG analog anzuwenden. [...]

Das Erstgericht folgte dem Rechtsstandpunkt der Bekl und wies das Klagebegehren ab.

Der VfGH wies den vom Kl eingebrachten Parteiantrag auf Normenkontrolle, mit dem er die in § 133 Abs 6 ArbVG normierte Ausnahme des § 110 ArbVG bekämpfte, mit Beschluss vom 23.2.2017, G 447/2016-5, zurück.

Das Berufungsgericht gab der gegen das Urteil des Erstgerichts erhobenen Berufung des Kl keine Folge. Das in § 110 Abs 1 ArbVG normierte Entsenderecht des BR sei gem § 133 Abs 6 ArbVG auf Theaterunternehmen iSd § 1 Abs 2 TAG nicht anzuwenden. Zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Unanwendbarkeit des § 110 ArbVG auf Theaterunternehmen legte das Berufungsgericht eingehend die historische Entwicklung des Rechts auf Entsendung von AN-Vertretern in den Aufsichtsrat dar, woraus hervorzuheben ist:

Mit dem BRG 1947, BGBl 1947/197, wurden zwar die Mitwirkungsrechte des BR in wirtschaftlichen Angelegenheiten ausgeweitet, „Betriebe politischer, gewerkschaftlicher, konfessioneller, wissenschaftlicher, künstlerischer oder charitativer Art sowie die gesetzlichen Interessenvertretungen“ wurden jedoch von der – in der Regierungsvorlage in § 15 Abs 2 Z 1 vorgesehenen – Möglichkeit der Einwirkung auf die Wirtschaftsführung ausgenommen, „weil es sich in diesen Betrieben (Verwaltungen) um Zielsetzungen handelt, die eine Teilnahme der Betriebsräte an der Führung und Verwaltung entweder überhaupt unmöglich oder doch nicht zweckmäßig erscheinen lassen“ (ErlRV 320 BlgNR 5. GP 12). [...]An der mit der Schaffung des § 14 Abs 3 BRG 1947 verfolgten Zwecksetzung hat sich [...] mit dem Übergang zum ArbVG ebensowenig geändert wie mit der Neufassung des § 133 Abs 6 ArbVG durch BGBl 1986/394 (Art I Z 32), mit der § 109 Abs 3 S 2 ArbVG – ohne nähere Begründung im Initiativantrag (205/A BlgNR 16. GP) und im Ausschussbericht (1062 BlgNR 16. GP) – für Betriebsänderungen iSd § 109 Abs 1 Z 5 und 6 für anwendbar erklärt wurde, sofern dadurch künstlerische Belange nicht betroffen werden. [...]Bei der Ausgliederung von Burgtheater/Akademietheater, Staatsoper und Volksoper durch Gründung von drei Bühnengesellschaften hat der Gesetzgeber die Anwendung des § 133 Abs 6 ArbVG auf die Bühnengesellschaften – nach der Definition des § 3 Abs 4 BThOG also der Burgtheater GmbH, der Wiener Staatsoper GmbH und der Volksoper Wien GmbH – in § 22 Abs 2 BThOG ausgeschlossen und ausdrücklich „eine sondergesetzliche Entsendung von zwei Mitgliedern durch den Betriebsrat normiert“, weil ihm bewusst war, dass „bei den Bühnengesellschaften nach dem Arbeitsverfassungsgesetz eine Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht vorgesehen ist“ (vgl dazu die ErlRV 1207 BlgNR 20. GP 21). [...]Ein Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu einem Gesetz, mit dem unter anderem das ArbVG zur „Modernisierung der Mitbestimmung“ (178/ME BlgNR 24. GP 3) geändert werden sollte, hat den Entfall des § 133 Abs 6 ArbVG vorgesehen (Art 1 Z 23) [...] (178/ME BlgNR 24. GP 7).Dieser Vorschlag ist zwar im Begutachtungsverfahren gänzlich unkommentiert geblieben, also weder abgelehnt noch begrüßt worden, dennoch wurde er – anders als etwa die ebenfalls vorgeschlagene Möglichkeit der Beschlussfassung im BR im Umlaufweg (§ 68 Abs 4 ArbVG) oder die Neufassung des § 105 ArbVG samt Verlängerung der Anfechtungsfrist (vgl BGBl I 2010/101) – nicht in die anschließend eingebrachte Regierungsvorlage (901 BlgNR 24. GP) übernommen und bis dato nicht umgesetzt.

Das Berufungsgericht erachtete die in den Gesetzgebungsverfahren geäußerten Überlegungen auch als objektiv nachvollziehbar: Trotz einer zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstbetriebs im Allgemeinen und des Theaterbetriebs im Besonderen diene der Betrieb eines Theaterunternehmens nach wie vor – wie sich etwa auch aus dem kulturpolitischen Auftrag der Bekl (Pkt III. der Gesellschaftserrichtungserklärung) oder der Bundestheater (§ 2 BThOG) ergebe – in aller Regel nicht vorrangig wirtschaftlichen Zwecken, sondern vielmehr – wenn auch unter Beachtung der gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – künstlerischen Zwecken, die seit dem Jahr 1982 (BGBl 262) in343Art 17a StGG auch verfassungsrechtlichen Schutz genießen würden. [...] Wenn der Bundesgesetzgeber die künstlerische Entscheidungsfreiheit in den von ihm selbst ausgegliederten Bundestheatern dadurch einschränke, dass er den dort errichteten Betriebsräten ein – in der Intensität hinter dem in § 110 ArbVG vorgesehenen Recht zurückbleibendes – Mitwirkungsrecht im Aufsichtsrat einräume, so sei daraus noch nicht zu folgern, dass die Aufrechterhaltung des Ausschlusses der AN-Vertreter in anderen Theaterunternehmen dadurch unsachlich geworden wäre.

Eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 BThOG scheitere nach der Entstehungsgeschichte der Bestimmung und der nachfolgenden (bewussten) Aufrechterhaltung des § 133 Abs 6 ArbVG am Fehlen einer planwidrigen Unvollständigkeit der rechtlichen Regelungen. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen sehen vor:

Gem § 113 Abs 2 Z 3 ArbVG wird in Betrieben, in denen ein Betriebsausschuss errichtet ist, vom Betriebsausschuss die Befugnis der Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten gem §§ 109 bis 112 ausgeübt.

Gem § 110 Abs 1 ArbVG entsendet in Unternehmen, die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt werden, der Zentralbetriebsrat (ZBR) für je zwei nach dem Aktiengesetz oder der Satzung bestellte Aufsichtsratmitglieder einen AN-Vertreter in den Aufsichtsrat. Gem Abs 5 Z 1 leg cit ist Abs 1 sinngemäß auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung anzuwenden.

Gem § 133 Abs 6 ArbVG ist (ua) § 110 ArbVG in Theaterunternehmen nicht anzuwenden.

Gem § 22 Abs 2 BThOG ist § 133 Abs 6 des ArbVG auf die Bühnengesellschaften nicht anzuwenden. Abweichend von § 110 des ArbVG entsendet der jeweilige BR zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Bühnengesellschaften. Das Entsenderecht in den Aufsichtsrat der Bundestheater-Holding GmbH obliegt dem ZBR.

2. Der Kl beruft sich in der Revision vor allem auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes. [...] Aus dem Gesellschaftsvertrag der Bekl ergebe sich weiter, dass die AN-Vertreter Beschlüsse allenfalls verzögern, aber nicht verhindern könnten. Es bestehe daher nicht einmal potenziell eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit, sodass der diesbezüglichen Begründung des Berufungsgerichts der Boden entzogen sei.

3. Der erkennende Senat teilt die Beurteilung des Berufungsgerichts sowohl in ihrer methodischen Ableitung – insb auch im Hinblick auf die zum Gleichheitsgrundsatz ergangene Rsp (RIS-Justiz RS0053509 ua) – als auch in ihrem Ergebnis, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist festzuhalten:

3.1. Mit dem Tendenzschutz reagiert der Gesetzgeber im Hinblick auf die Mitbestimmung der AN darauf, dass auch solche Unternehmen dem Gesetz unterliegen, die primär andere als kaufmännisch-wirtschaftliche Ziele verfolgen. Einige dieser Zielsetzungen hält das ArbVG für so wichtig, dass es ihre Realisierung durch die volle Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der AN nicht gefährden will und deshalb in den §§ 132 ff ArbVG Teilausnahmen durch einfachen oder qualifizierten Tendenzschutz vorsieht. Dabei handelt es sich um geistig-ideelle Zielsetzungen, die häufig in einem engen Naheverhältnis zu Grundrechten stehen (siehe nur Kietaibl, Arbeitsrecht I9 170 mwN). Dass dazu grundsätzlich auch Theaterunternehmen (§ 133 ArbVG) zählen, stellt der Kl im Prinzip nicht in Frage. [...]

3.2. Die Revision richtet sich im Kern auch nicht dagegen, dass Theaterunternehmen überhaupt ein Tendenzschutz zukommt, sondern dagegen, dass die AN-Vertretung der Bekl im Vergleich zu jener der vom BThOG genannten Bühnen ohne ausreichenden Differenzierungsgrund eine Schlechterstellung erfährt, weil bei letzteren der jeweilige BR nach § 22 Abs 2 BThOG befugt ist, zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Bühnengesellschaften zu entsenden. [...]

§ 2 BThOG enthält die näheren Aufgaben des kulturpolitischen Auftrags (Abs 1) sowie die Grundsätze, nach denen die genannten Bühnen zu führen sind (Abs 2). Weiter wird – mit jeweils näheren Zielsetzungen – bestimmt, dass das Burgtheater mit seinen Spielstätten gleichzeitig das österreichische Nationaltheater und somit die führende Schauspielbühne der Republik Österreich ist (Abs 3), dass die Wiener Staatsoper als repräsentatives Repertoiretheater für Oper und Ballett mit umfassender Literatur zu führen ist (Abs 4) und dass die Volksoper Wien als repräsentatives Repertoiretheater für Oper, Spieloper, Operette, Musical und für Ballett und modernen Tanz zu führen ist (Abs 5).

3.4. Schon aus diesen Zielsetzungen ergibt sich, dass den genannten Bühnen aufgrund ihrer leitenden Bedeutung für das österreichische Kulturleben eine Sonderstellung zukommt, die auch in künstlerischer Hinsicht mit einem umfassenden gesetzlichen Auftrag zur Führung der Bühnen einhergeht und sich keineswegs nur durch ihre formale Rechtsträgerschaft (Bund vs Land/Gemeinden) unterscheidet. [...]

3.5. Soweit sich der Kl daran stößt, dass künstlerische Einrichtungen, die keine Theaterunternehmen sind, keinen wie immer gearteten Tendenzschutz aufweisen, hingegen auch völlig unkünstlerische Theaterunternehmen den Tendenzschutz genießen, wird damit noch keine Gleichheitswidrigkeit begründet, weil es dem Gesetzgeber freisteht, bei Prüfung von Unterschieden im Tatsächlichen von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (siehe RIS-Justiz RS0053509). Danach kommt es auch nicht darauf an, ob der konkrete Gesellschaftsvertrag der Bekl Möglichkeiten vorsieht, auch ohne Zustimmung des Aufsichtsrats einen Weisungsbeschluss zu fassen.

[...] Soweit der Kl im Anschluss an Jabornegg in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG, § 110 Rz 16, eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 BThOG anstrebt, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend auf das Fehlen einer planwidrigen gesetzlichen Lücke (siehe dazu RIS-Justiz RS0008866) hingewie-344sen. Eine Analogie ist jedenfalls dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RIS-Justiz RS0106092 [T2]). Letzteres ist hier, wie unter Pkt 3.4. dargelegt, der Fall.

5. Dass dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen der grundsätzlichen Regelung des § 133 Abs 6 ArbVG und den Bestimmungen des BThOG bewusst war, zeigt nicht zuletzt der schon vom Berufungsgericht zitierte Begutachtungsentwurf des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (178/ME BlgNR 24. GP 3), der auch angesichts des BThOG den Entfall des § 133 Abs 6 ArbVG als nicht mehr zeitgemäß vorgesehen hatte, weil Theaterunternehmen tendenziell immer mehr zu Wirtschaftsbetrieben würden. Dass der Gesetzgeber diesem Entwurf nicht gefolgt ist, erlaubt jedoch nur den Schluss, dass an der bestehenden Regelung in § 133 Abs 6 ArbVG bewusst festgehalten werden sollte. Raum für eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 BThOG besteht hier nicht. [...]

ANMERKUNG
1.
Parteiantrag auf Normenkontrolle

Vorliegender Verfahrensgang zeigt typischerweise die Zunahme der Relevanz von Parteianträgen an den VfGH, um eigenes Vorbringen im Instanzenzug begleitend unterstützen zu können. Bei vorliegendem Rechtsgang scheiterte die Antragstellerin jedoch an den Zulässigkeitskriterien desselben beim VfGH, so dass dieser den Antrag formell als unzulässig zurückwies, und der Gerichtshof diesen somit inhaltlich nicht behandelte (VfGH 23.2.2017, G 447/2016).

Wäre der OGH von der verfassungsrechtlichen Gleichheitswidrigkeit der Ausnahme des § 133 Abs 6 ArbVG überzeugt gewesen, hätte er selbst einen Aufhebungsantrag gem Art 140 Abs 1 lit a B-VG stellen können. In diesem Fall hätte sich das oberste Gericht jedenfalls auch mit dem Umfang des Aufhebungsantrags beschäftigen müssen, da fraglich ist, ob ein Aufhebungsantrag lediglich gem § 133 Abs 1 dritter Fall ArbVG (der Entsendung in den Aufsichtsrat) nicht zu eng gestellt gewesen wäre und nicht auch die übrigen Ausnahmen dieser Bestimmung in den Aufhebungsantrag aufgenommen hätten werden müssen.

2.
Nachträgliche Lücke

Inhaltlich steht in dieser E die rechtliche Problematik des absoluten Tendenzschutzes (Jabornegg in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 110 Rz 16 [Stand 1.12.2006, rdb.at]) für Theaterbetriebe auf dem Prüfstand. Der Gesetzgeber agiert bei der Handhabung dieses Tendenzschutzes insofern uneinheitlich, in dem er zwar als Grundsatz nicht zulässt, dass AN-Vertreter in den Aufsichtsrat von Theaterunternehmen entsendet werden, aber im Rahmen der Bundestheater eine Sondernorm statuiert, so dass AN-Vertreter sehr wohl in die Aufsichtsräte der Bundestheater, wenn auch in geringerem Ausmaß, entsandt werden (§ 22 Abs 2 BThOG). Diese (scheinbare) Inkonsequenz des Bundesgesetzgebers nimmt Jabornegg zum Anlass einer rechtspolitischen Kritik des absoluten Tendenzschutzes bei Theaterunternehmungen, dessen fehlende sachliche Notwendigkeit er durch die Bestimmung des Sondergesetzes als offenkundig ansieht.

Bereits das Berufungsgericht legt in geradezu bestechender Weise dar, dass der Gesetzgeber den absoluten Tendenzschutz trotz der Ausnahmebestimmung des BThOG aufrechterhalten wollte, also weder eine außerplanmäßige, noch eine nachträgliche Lücke vorliegen kann. Da der Gesetzestext eindeutig ist, bliebe in der Folge kein Platz für eine eventuell verfassungskonforme Auslegung, da die zentrale Anordnung von § 133 Abs 6 ArbVG vollständig ignoriert werden müsste (vgl Kerschner/Kehrer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB3 [2014] §§ 6, 7 Rz 78 f).

3.
Verfassungsrechtliches Sachlichkeitsgebot und Prüfungsmaßstab

Folgerichtig bleibt also bei Zweifeln an der Sachlichkeit der Regelung nur die Überprüfung, ob der Ausschluss von der wirtschaftlichen Mitbestimmung iSd Verfassungskonformität ausreichend sachlich begründet ist. Hierbei ist von einem weitreichenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auszugehen. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz liefert grundsätzlich keinen Beurteilungsspielraum für Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit (vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Mjur, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts11 [2015] Rz 1357).

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob eine abweichende Bestimmung eines in seiner Reichweite beschränkten Sondergesetzes jene Norm, die den legistischen Grundsatz regelt, verfassungsrechtlich invalidieren kann. Vielmehr muss ja eine sachliche Rechtfertigung iSd verfassungsrechtlichen Anforderungen gegeben sein, ansonsten die abweichende Sondergesetzgebung selbst verfassungswidrig wäre (vgl zur Zulässigkeit des Verlassens eines selbst geschaffenen Ordnungssystems durch den Gesetzgeber: Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Mjur, Grundriss Rz 1359). Aufgrund des kulturpolitischen Auftrags zu Führung der Bühnen der Bundestheater kann aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus eine Sonderstellung dieser Bühnen argumentiert werden, die eine Sondergesetzgebung im Lichte von Art 7 B-VG und Art 2 StGG grundsätzlich sachlich gerechtfertigt erscheinen lässt.

Engt man diese Argumentation auf die sondergesetzliche Zulassung der Entsendung in den Aufsichtsrat ein, erscheint sie aber nur in einem solchen Zusammenhang ausreichend valide, wenn man annimmt, dass durch die höhere gesetzgeberische Determinierung der Aufgaben und Führung der Bundesbühnen der sonst geltende Tendenzschutz hier geringere Bedeutung besitzt, da für alle345Beteiligten engere Handlungsspielräume definiert wurden. Damit ist aber lediglich die Verfassungskonformität der Sondernorm überprüft und keine Aussage über den Grundsatz getroffen.

ME kann also ein zulässig abweichendes Sondergesetz typischerweise keine Verfassungswidrigkeit des Grundsatzgesetzes und dessen Ausnahmeregelungen erzeugen bzw nicht als Argumentation für die ungeplante Lückenhaftigkeit dieses Gesetzes dienen. Die Bestimmung des BThOG hat für die Bewertung des Sachlichkeitsverhältnisses also unmittelbar keine Bedeutung. Zu prüfen ist daher lediglich, ob die Ausnahmeregelung von § 133 Abs 6 Satz 1 ArbVG sachgerecht zum allgemeinen Grundsatz der wirtschaftlichen Mitwirkung des ArbVG ist.

4.
Maßgeblichkeit des Abstellens auf das Grundrecht auf Freiheit der Kunst

Bemerkenswert ist aber, dass der Tendenzschutz, unabhängig von künstlerischen Abwägungen jedem Theaterunternehmen (auch jenen ohne künstlerische Ambition) zukommt (Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm2 § 133a ArbVG Rz 11 [Stand 1.9.2011, rdb.at]).

Ist eine künstlerische/kulturpolitische Ausrichtung nun keine Begründung der Einräumung des Tendenzschutzes, stellt sich die Frage, wo nun der Unterschied von Theaterunternehmen zu sonstigen Unternehmen besteht, dass (aufgrund der sogenannten Drittelparität kann im Bedarfsfall sowieso kein bestimmender Einfluss ausgeübt werden) sogar die durch die Anwesenheit im Aufsichtsrat zukommende Information und Anhörungsmöglichkeit für die Unternehmensführung untunlich sein sollte (vgl Preiss/Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVR5 [2015] § 110 Rz 1). Entgegen der Rechtsmeinung von Neumayr vertrat das OLG aber, dass ein Theaterbetrieb sich nicht vorrangig wirtschaftlichen Zwecken, sondern auch künstlerischen Zwecken widmete und somit unter verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz stünde, wodurch eine sachlich gerechtfertigte Unterscheidung für vorliegende Ausnahme vorliege.

Außer in diesem Gemeinplatz wird jedoch nicht näher darauf eingegangen, worin diese Gefährdung künstlerische Zwecke durch eine Entsendung in den Aufsichtsrat liegen sollte. Sachlich gerechtfertigt wäre die Ausnahme des § 133 Abs 6 Satz 1 ArbVG ja dann, wenn die Ausübung des Rechts auf Freiheit der Kunst für die Geschäftsführung des Theaterunternehmens durch die Grundsatzregel eingeschränkt wäre (man vergleiche nur die differenzierende Regelung von § 133 Abs 6 Satz 2!). Gerade wenn es um die essentiellen künstlerischen Belange der Unternehmensführung geht, wird es den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern zuzumuten und auch zuzutrauen sein, dass sie anstatt ominöse Einstimmigkeiten zu erzielen (Preiss/Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVR5 § 110 Rz 1), die den künstlerischen Zweck gefährden, die in den Aufsichtsrat entsandten Betriebsräte überstimmen können und dies auch tun würden. Das Grundrecht auf Freiheit der Kunst sichert gewiss nicht die Einstimmigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen ab.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass (iS einer Durchschnittsbetrachtung, vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Mjur, Grundriss Rz 1359) Theaterunternehmen eine wesentlich andere Funktion innerhalb von Staat und Gesellschaft einnehmen, als dies bei sonstigen Unternehmungen der Fall ist. Grundsätzlich kann daher dem Höchstgericht zugestimmt werden, dass gegenständliche Ausnahme jedenfalls dem verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebot entspricht.

4.1.
Umfang eines eventuellen Aufhebungsantrags

Wäre das Höchstgericht zum Schluss gekommen, dass die anzuwendende Norm verfassungsrechtlich bedenklich sei, hätte sich noch eine weitere Problematik gezeigt. Es wären in einer eventuellen Diskussion der Verfassungskonformität von § 133 Abs 6 der komplette Satz 1, also auch die Ausnahmen von der Bildung eines ZBR sowie von der Bildung einer Betriebsräteversammlung zu hinterfragen, und in einen bezüglichen Aufhebungsantrag zu beachten gewesen (vgl zu einer eventuell mangelnden sachlichen Rechtfertigung dieser beiden Ausnahmen: Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm2 § 133a ArbVG Rz 14 [Stand 1.9.2011, rdb.at]). Geht man nämlich mit der hM davon aus, dass im Falle eines zentralbetriebsratspflichtigen Betriebes dann kein Entsenderecht der Belegschaft in den Aufsichtsrat besteht, wenn kein ZBR eingerichtet ist (Preiss/Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVR5 § 110 Rz 13; Gagawczuk/Gahleitner/Leitsmüller/Preiss/Schneller, Der Aufsichtsrat2 [2011] 70), würde die Rechtslage durch die alleinige Aufhebung von der Ausnahme des Entsendungsrechtes bei Beibehaltung des Ausschlusses der Bildung eines ZBR eine unzulässige systemische Inkompatibilität darstellen.

5.
Rechtspolitische Erwägungen

Der absolute Ausschluss von der wirtschaftlichen Mitwirkung der Belegschaftsvertretung erscheint nicht mehr zeitgemäß, zumal sich in der Praxis die im BThOG zugestandene wirtschaftliche Mitwirkung und die Bildung von Zentralbetriebsräten jedenfalls bewährt haben und die sogenannte „Demokratisierung der Betriebe“, die bereits durch das Betriebsrätegesetz 1919 eingeleitet wurde, für Theaterunternehmen wie dargestellt vom Gesetzgeber bis heute nicht vollständig vollzogen wurde. Eine Rechtsänderung durch den gänzlichen Entfall von § 133 Abs 6 Satz 1 ArbVG wäre daher hoch an der Zeit, zumal künstlerische Entscheidungsbelange durch eine solche Rechtsänderung sowohl aus rechtlicher Betrachtung als auch faktisch von der gelebten Praxis der Bundestheater nicht beschränkt sind.346

6.
Zusammenfassung

Der Rechtsmeinung des Höchstgerichtes, dass die Ausnahme von der Entsendung von Belegschaftsvertretern in den Aufsichtsrat von Theaterunternehmen verfassungskonform ist, ist jedenfalls zuzustimmen. Auch ist keine außerplanmäßige Lücke innerhalb des Regelungstopos von § 133 Abs 6 ArbVG iVm § 110 ArbVG zu erkennen. Nichtsdestotrotz ist anzumerken, dass der absolute Tendenzschutz der Theaterunternehmen rechtspolitisch nicht mehr haltbar erscheint, weshalb der Bundesgesetzgeber diesen so bald wie möglich im Rahmen seines Vorhabens der Rechtsbereinigung entfallen lassen sollte.