[...] 9. Im Jahr 2002 übertrug einer der Bezirksräte Londons, der Lewisham London Borough Council (im Folgenden: Lewisham), das Leisure Department (Abteilung für Freizeit) auf das Privatunternehmen CCL Limited (im Folgenden: CCL), das die AN dieser Abteilung übernahm. Im Mai 2004 übertrug CCL diesen Geschäftsbereich auf Parkwood, ein anderes Privatunternehmen.

10. Solange das Leisure Department Lewisham unterstand, galten für die Verträge mit den AN dieser Abteilung die Arbeitsbedingungen, die im Rahmen des NJC, einem Tarifverhandlungsorgan auf der lokalen öffentlichen Ebene, ausgehandelt wurden. Die Anwendbarkeit der im Rahmen des NJC ausgehandelten Vereinbarungen beruhte nicht auf dem Gesetz, sondern auf einer im jeweiligen Arbeitsvertrag enthaltenen Vertragsklausel, die Folgendes vorsah: „Während der Dauer Ihres Arbeitsverhältnisses mit [Lewisham] richten sich die Arbeitsbedingungen nach den vom [NJC] periodisch ausgehandelten Tarifverträgen ..., die durch von den Verhandlungsausschüssen von [Lewisham] auf lokaler Ebene geschlossene Vereinbarungen ergänzt werden.“

11. Zum Zeitpunkt des Übergangs des Leisure Departments auf CCL galt der im Rahmen des NJC für die Zeit vom 1.4.2002 bis zum 31.3.2004 geschlossene KollV. Im Mai 2004 ging das diesen Geschäftsbereich betreibende Unternehmen auf Parkwood über.

12. Parkwoodbeteiligt sich nicht am NJC und könnte dies auch gar nicht, da sie ein privates Unternehmen ist und nicht zur öffentlichen Verwaltung gehört.

13. Im Rahmen des NJC wurde im Juni 2004 eine neue Vereinbarung geschlossen, die rückwirkend zum 1.4.2004 in Kraft trat und bis zum 31.3.2007 galt. Diese Vereinbarung wurde mithin nach dem Übergang des betreffenden Unternehmens auf Parkwoodgeschlossen. Aufgrund dessen war Parkwood der Auffassung, dass die neue Vereinbarung für sie nicht bindend sei, und teilte dies den AN mit, denen sie die im Rahmen des NJC für die Zeit von April 2004 bis März 2007 vereinbarte Lohnerhöhung verweigerte.

14. Da sich Parkwood weigerte, die im Rahmen des NJC vereinbarten Bedingungen zu akzeptieren, erhoben die AN eine Klage [...].

Zu den Vorlagefragen

20. Mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art 3 der RL 2001/23 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs wie dem des Ausgangsverfahrens die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und geschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind. [...]

23. Ferner ergibt sich aus Art 8 der RL 2001/23, dass diese RL die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten nicht einschränkt, für die AN günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die AN günstigere Kollektivverträge und andere zwischen den Sozialpartnern abgeschlossene Vereinbarungen, die für die AN günstiger sind, zu fördern oder zuzulassen.

24. Im Ausgangsverfahren steht, wie bereits aus dem Wortlaut der zweiten Vorlagefrage hervorgeht, fest, dass sich diese Klauseln, die auf Kollektivverträge verweisen, die nach dem Zeitpunkt des betreffenden Unternehmensübergangs ausgehandelt und geschlossen wurden, und dynamische vertragliche Ansprüche gewähren, als für die AN günstiger erweisen.

25. Jedoch dient die RL 77/187 nicht nur dem Schutz der AN-Interessen bei einem Unternehmensübergang, sondern sie soll auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der AN einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten. Insb stellt sie klar, dass der Erwerber in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen (vgl in diesem Sinne Urteil Werhof, Rn 31).

26. Insoweit ist festzustellen, dass im Ausgangsverfahren das Unternehmen von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf eine juristische Person des Privatrechts übergegangen ist.

27. Da es sich um den Übergang eines Unternehmens vom öffentlichen auf den privaten Sektor handelt, ist davon auszugehen, dass die Fortsetzung der Tätigkeit des Erwerbers in Anbetracht der unvermeidlichen406 Unterschiede, die zwischen diesen beiden Sektoren bei den Arbeitsbedingungen bestehen, beträchtliche Anpassungen erfordert.

28. Eine Klausel, die dynamisch auf nach dem Übergang des betreffenden Unternehmens verhandelte und geschlossene Kollektivverträge verweist, welche die Entwicklung der Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor regeln sollen, könnte jedoch den Handlungsspielraum, den ein privater Erwerber benötigt, um diese Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, erheblich einschränken.

29. In einer solchen Situation kann eine solche Klausel den gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Erwerbers in seiner Eigenschaft als AG einerseits und denen der AN andererseits beeinträchtigen.

30. Zweitens ist festzustellen, dass nach stRsp die Bestimmungen der RL 2001/23 im Einklang mit den Grundrechten auszulegen sind, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anerkannt wurden [...].

31. Hierzu führt das vorlegende Gericht zwar aus, dass das Recht auf negative Vereinigungsfreiheit nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei. Art 3 der RL 2001/23 ist jedoch auf jeden Fall im Einklang mit Art 16 der Charta zur unternehmerischen Freiheit auszulegen.

32. Dieses Grundrecht umfasst insb die Vertragsfreiheit, wie sich aus den Erläuterungen ergibt, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfasst wurden (ABl 2007, C 303, S 17) und die gem Art 6 Abs 1 Unterabs 3 EUV und Art 52 Abs 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind [...].

33. Im Hinblick auf Art 3 der RL 2001/23 folgt daraus, dass es dem Erwerber möglich sein muss, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner AN bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln.

34. Dem Erwerber, um den es im Ausgangsverfahren geht, ist es jedoch verwehrt, in dem betreffenden Tarifverhandlungsorgan mitzuwirken. Dieser Erwerber hat daher weder die Möglichkeit, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens seine Interessen wirksam geltend zu machen, noch die Möglichkeit, die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner AN bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln.

35. Unter diesen Umständen ist die Vertragsfreiheit dieses Erwerbers so erheblich reduziert, dass eine solche Einschränkung den Wesensgehalt seines Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen kann.

36. Art 3 der RL 2001/23 iVm Art 8 dieser RL ist aber nicht dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten zum Erlass von Maßnahmen ermächtigt, die zwar für die AN günstiger sind, aber den Wesensgehalt des Rechts des Erwerbers auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen können (vgl entsprechend Urteil vom 6.9.2012, Deutsches Weintor, C-544/10, Rn 54 und 58).

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art 3 der RL 2001/23/EG des Rates vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der AN beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen.

Anmerkung

Das Urteil betrifft die Frage, inwieweit der Erwerber eines Betriebes an einen KollV und dessen Änderungen gebunden ist, auf den der Arbeitsvertrag eines übergegangenen AN ausdrücklich verweist, wenn diese Änderungen von den Parteien des KollV erst nach dem Übergang auf den Erwerber abgeschlossen werden. Die AN waren bis 2002 beim Lewisham London Borough Council in Großbritannien, in dessen Leisure Department (Abteilung für Freizeit) beschäftigt. Die Arbeitsverträge enthielten folgende Klausel: „Während der Dauer Ihres Arbeitsverhältnisses mit [Lewisham] richten sich die Arbeitsbedingungen nach den vom [NJC] periodisch ausgehandelten Tarifverträgen. ...“ Das Department wurde zuerst 2002 auf das Privatunternehmen CCL übertragen, im Mai 2004 übertrug CCL den Geschäftsbereich auf Parkwood, ein anderes Privatunternehmen. 2004 wurde vom NJC ein neuer KollV abgeschlossen, der ein höheres Entgelt vorsah. Parkwood war nicht Mitglied des NJC und konnte dies, als privates Unternehmen, auch nicht sein. Parkwood weigerte sich, die neuen höheren Entgelte an die übergegangenen AN zu bezahlen. Nach britischem Recht wäre Parkwood verpflichtet gewesen, sich an den neuen KollV zu halten, weil der Arbeitsvertrag darauf verwies und der Inhalt des KollV damit zum Inhalt des Arbeitsvertrages wird, auch in einer geänderten Fassung.

Wie stets ist (auch) bei Urteilen des EuGH zuerst nach dem genauen Inhalt der Aussage des Urteils zu fragen, und erst danach, ob diese Aussage überzeugt. Aussagen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren sind für die Gerichte der Mitgliedstaaten grundsätzlich verbindlich. Allerdings sind Entscheidungen des EuGH anders zu lesen als jene eines österreichischen oder deutschen Höchstgerichtes, weil der EuGH in erster Linie das Unionsrecht im Hinblick auf den Fall beurteilt und weniger (bis kaum) auf eine systematische, an dogmatischen Überlegungen orientierte Sicht abzielt. Es ist also erforderlich, den verbindlichen Gehalt der EuGH-E herauszuarbeiten (vgl Rebhahn, Auslegung und Anwendung des Unionsrechts, in

Fenyves/Kerschner/Vonkilch
[Hrsg], Klang-Kommentar zum ABGB3 Bd I [2014] Nach §§ 6, 7 ABGB Rz 7 ff, 114 ff). Dies ist oft nicht leicht.

Das Urteil ist schon wiederholt – überwiegend kritisch bis negativ – kommentiert worden (zB Thü407sing, FAZ 28.8.2013;

Jacobs/Frieling
, EuZW 2013, 737; Heuschmid, HSI-Newsletter 03/2013 – www.hugo-sinzheimer-institut.de/newsletter.html; Forst, DB 2013, 1847; Prassl, Freedom of Contract as a General Principle of EU Law?Industrial Law Journal 2013/4, 434-446; Kainer, EuZA 2014, 230 ff).

1.
Die Aussagen des Urteils

In der zu beurteilenden Konstellation stellen sich drei Fragen: Verlangt oder erlaubt oder verbietet die RL, dass die Mitgliedstaaten die fragliche dynamische Verweisung des Arbeitsvertrages auf den jeweiligen Inhalt des verwiesenen KollV zulassen und durchsetzen? Die Vorlage hat diese drei Fragen klar getrennt, das Urteil reduziert dies auf die Frage, ob die RL die Anerkennung der dynamischen Verweisung verbietet. Das Urteil bejaht dies und verneint damit implizit die zwei anderen Fragen. Nach dem Urteil darf also – unter bestimmten Voraussetzungen – der Erwerber einer wirtschaftlichen Einheit iSd RL nicht an einen KollV gebunden sein bzw werden, auf den der Arbeitsvertrag der übergegangenen AN ausdrücklich verweist.

In Bezug auf Auslegung und Zweck der Betriebsübergangs-RL sagt das Urteil (in Rn 25), dass die RL „nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Unternehmensübergang [dient], sondern sie soll auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten. Insbesondere stellt sie klar, dass der Erwerber in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen“. Nur der zweite Teil dieser Aussage findet sich schon im Urteil Werhof(Rn 31).

Wie schon im Urteil Werhof, wird der Schutz der Interessen des AG konkret allerdings nicht bzw weniger aus der RL abgeleitet, sondern aus den Grundrechten des AG. Im Urteil Werhof war es die negative Vereinigungsfreiheit, hier ist es die Vertragsfreiheit. Dessen Grundlage sieht der EuGH in Art 16 GRC. Konkret sieht das Urteil in der Bindung des Erwerbers an die dynamische Verweisung des Arbeitsvertrages an den KollV des früheren AG eine Verletzung des Wesensgehaltes der Vertragsfreiheit.

Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen das Verbot der Anerkennung einer dynamischen Verweisung gelten soll. Der Urteilstenor nennt als Einschränkung (nur), „wenn [der Erwerber] nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen“. Dies ist relevant, wenn der verwiesene KollV – wie in allen Mitgliedstaaten außer Österreich – von einer freiwilligen AG-Vereinigung abgeschlossen wird, und der Erwerber diesem Verband nicht angehört, aber angehören könnte. Dabei wird es darauf ankommen, ob der Erwerber fachlich und örtlich in den Anwendungsbereich des verwiesenen KollV fällt. Das Urteil hält daher nicht jede Bindung an den neuen KollV, die sich allein aus dem Arbeitsvertrag ergibt, für unzulässig.

Fraglich ist, ob das Urteil – implizit – andere Einschränkungen seiner Maßgeblichkeit enthält. So ist fraglich, inwieweit die Aussage des Urteils auf die Rechtslage zu KollV nach britischem Recht bezogen ist. Danach wirken Kollektivverträge – anders als in den meisten Mitgliedstaaten – nicht normativ, sondern sind für die Parteien des Arbeitsvertrages nur verbindlich, soweit der Arbeitsvertrag dies vorsieht. In Deutschland haben daraus manche geschlossen, die Aussage des Urteils gelte nur für solche Kollektivverträge gelte. Allerdings ist die vom Urteil angenommene Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit des Erwerbers nicht geringer, wenn der verwiesene KollV beim Übergeber normativ gewirkt hat. Das Verbot wird daher auch verbindlich sein, wenn dieser KollV normativ wirkt.

Schwieriger ist die Lage in Bezug auf das im Urteil verwendete Argument, dass der KollV des Übergebers für den öffentlichen Bereich gilt, während der Erwerber ein Unternehmen der Privatwirtschaft ist. Nach den Rz 28 f könnte eine dynamische Verweisung auf einen KollV, der die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor regelt, „den Handlungsspielraum, den ein privater Erwerber benötigt, um diese Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, erheblich einschränken“ und damit „den gerechten Ausgleich zwischen den Interessen ... andererseits beeinträchtigen“. Dies lässt fragen, ob das Verbot der dynamischen Kollektivvertragsverweisung im Arbeitsvertrag auch den Betriebsübergang zwischen Unternehmen der Privatwirtschaft erfassen soll. Für die Argumentation erscheint der Wechsel öffentlich zu privat wesentlich. Im Urteilstenor scheint das Element jedoch nicht mehr auf, was dagegen spricht, dass es die Reichweite des Verbots beschränkt.

Das Verbot der dynamischen Verweisung hat für die österreichische Rechtslage keine großen Auswirkungen, weil Kollektivverträge hier normativ wirken. Relevant werden könnte es allenfalls, wenn ein Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart, dass ein bestimmter KollV auch nach einem Betriebsübergang in der jeweiligen Fassung weiter für den Arbeitsvertrag maßgebend sein soll. Fraglich ist, ob das vom Urteil bejahte Verbot auch gelten soll, wenn der Arbeitsvertrag mit dem Übergeber nicht auf den für diesen anwendbaren KollV, sondern auf einen anderen KollV dynamisch verweist.

Die in Rz 37 des Urteils zum Ausdruck kommende Sorge, dass der Erwerber die „Möglichkeit [habe], die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln“, könnte in Fällen relevant sein, in denen der Erwerber anstrebt, den Arbeitsvertrag der übernommenen AN zu ändern. Der EuGH hat im Urteil 10.2.1988, 324/86, Daddy‘s Dancehall, Rn 14 ffgemeint, aufgrund der RL sei auch eine Änderungen der Arbeitsbedingungen der übergegangenen AN unzulässig, wenn der Übergang den (alleinigen) Grund für die Änderung darstellt. Folgt man dem vorliegenden Urteil, so dürfte dies jedenfalls nicht extensiv verstanden werden. Allerdings hat die österreichische Doktrin aus dem Urteil Daddy‘s Dancehall, soweit zu sehen, ohnehin keine besonderen Folgen gezogen.

2.
Würdigung der Urteilsbegründung

Bei der Würdigung ist zwischen der Auslegung der RL und den Schlüssen zu unterscheiden, die das Urteil aus der Vertragsfreiheit zieht.408

a) Die Aussage, dass die Betriebsübergangs-RL „nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Unternehmensübergang [dient], sondern auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten [soll]“, ist schon methodisch interessant. Anders als viele Urteile des EuGH (zum Arbeitsrecht) blickt sie nicht nur auf die Interessen jener Privaten, zu deren Schutz die betreffende RL prima facie erlassen wurde, sondern sagt, dass die RL einem gerechten Interessenausgleich diene. Damit nähert sich das Verständnis des EuGH jenem an, das in vielen Mitgliedstaaten bei der Auslegung von Normen vertreten wird.

Die Aussage wird aber kritisiert, weil sie den Zweck der RL vernachlässige und mit der bisherigen Auslegung der RL durch den EuGH breche (Prassl, Ind Law J 2014, 440: „radical break“; Heuschmid, HSI-Newsletter 3/2013). ME ist die Aussage jedoch an sich überzeugend, weil auch Normen, die primär eine Vertragspartei schützen sollen, nicht so ausgelegt werden sollten, dass sie nur die Interessen dieser Partei verfolgen (vgl Rebhahn in Klang-Kommentar I Nach §§ 6, 7 ABGB Rz 78 ff). Dies gilt auch für Normen des Unionsrechts zum Arbeitsrecht (vgl Rebhahn in

Riesenhuber
, Europäische Methodenlehre3 [2014] § 18 Arbeitsrecht Rz 18 ff). Für eine nicht einseitige Interpretationsmaxime spricht bei der Betriebsübergangs-RL überdies, dass diese gar nicht auf die Kompetenz zur Sozialpolitik (heute Art 153 AEUV) gestützt wurde, sondern – auch noch 2001 – auf jene zum Binnenmarkt (Art 94 EGV, nun Art 115 AEUV). Auch das vorliegende Urteil hat es leider verabsäumt, die Bedeutung der Kompetenzgrundlage für die Auslegung der RL ausdrücklich aufzugreifen.

Das Urteil sagt aber nicht ausdrücklich, dass die Betriebsübergangs-RL auch dem Zweck diene, den Betriebsübergang zu erleichtern, sondern beschränkt sich auf die Aussage zu den Möglichkeiten des Erwerbers, die Arbeitsbedingungen anzupassen. Letzteres kann bei der Auslegung des Verbotes der Kündigung in Art 4 RL relevant werden. Wenn das Urteil auf den Wechsel öffentlich zu privat abstellt, so deutet dies überdies darauf hin, dass die Einschränkung der Handlungsfreiheit des AG umso problematischer gesehen wird, je stärker die Arbeitsbedingungen beim Erwerber von jenen des Übergebers zum Nachteil der AN abweichen (vgl – kritisch – Prassl, Ind Law J 2013, 440). Dies überzeugt wenig, weil der Erwerber die Differenz sehen und beim Erwerb „einpreisen“ kann.

Im Übrigen ist für die Lage bei Betriebsübergang von Art 3 Abs 1 RL auszugehen. Danach geht der Arbeitsvertrag mit dem Übergeber ohne Änderung auf den Erwerber über. Zu wenig gewürdigt hat das Urteil nun schon die konkrete Verweisungsklausel. Danach richten sich die Arbeitsbedingungen „während der Dauer Ihres Arbeitsverhältnisses mit [Lewisham]“ nach dem für den ersten Übergeber geltenden KollV. Daraus musste ein Erwerber nicht unzweifelhaft entnehmen, dass auch er gebunden sein solle. Der EuGH hätte seine Bedenken gegen eine Bindung des Erwerbers also schon durch die Aussage verwirklichen können, dass diese Bindung mit dem Unionsrecht jedenfalls dann nicht vereinbar sei, wenn der Arbeitsvertrag die Bindung nicht unzweifelhaft zum Ausdruck bringt.

Unterstellen wir, dass die Klausel im Arbeitsvertrag unzweifelhaft sagt, auch ein Betriebserwerber solle an den KollV des Übergebers dynamisch gebunden sein. Trotz Art 3 Abs 1 RL kann dann mE mit den im Urteil erwähnten Argumenten (auch ohne Heranziehen des Wechsels vom öffentlichen in den privaten Bereich) abgeleitet werden, dass die RL die Bindung an die im Arbeitsvertrag vorgesehene dynamische Verweisung auf den KollV des Übergebers jedenfalls nicht verlangt. Bei der Auslegung der RL ist nämlich zu bedenken, dass erst die RL die Bindung des Erwerbers an den Arbeitsvertrag mit dem Übergeber anordnet, sodass Argumente zu den Interessen des Erwerbers zu einer teleologischen Reduktion des Art 3 Abs 1 RL führen können.

Nach Art 8 RL können die Mitgliedstaaten allerdings für die AN günstigere Regelungen vorsehen. Das Urteil schränkt diese Freistellung aber drastisch ein.

b) Das Urteil leitet aus der Vertragsfreiheit nämlich (auch) ein Verbot der Bindung an eine dynamische Verweisung im Arbeitsvertrag ab, und schränkt damit die Ermächtigung in Art 8 RL ein. In diesem, seinem zentralen Teil ist das Urteil sowohl methodisch wie materiell nicht überzeugend.

Methodisch erschreckend bis deprimierend ist der Umgang des Urteils mit der Grundrechtecharta (GRC). Treffend ist – letztlich nur – dass die GRC hier anwendbar ist. Fraglich ist schon die Verankerung der Vertragsfreiheit in Art 16, dem Grundrecht der unternehmerischen Freiheit. Auch Nichtunternehmer werden im Unionsrecht hoffentlich ein Grundrecht auf Vertragsfreiheit haben. Ungenügend ist ferner die Inhaltsbestimmung des Art 16 GRC. Art 16 sagt: „Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“ Das Urteil geht offenbar davon aus, dass es sich bei Art 16 GRC um ein Recht und nicht bloß einen „Grundsatz“ iSd Art 51 Abs 5 GRC handelt. Dies müsste aber gesagt und begründet werden, gerade in Anbetracht des Verweises auf Unionsrecht und das Recht der Mitgliedstaaten. Auch wenn man Art 16 GRC als Recht sieht, wäre nach der Bedeutung des eben genannten Verweises zu fragen, insb ob daraus eine geringere Intensität des Schutzes folgt als bei Rechten, zu denen dieser Verweis nicht vorkommt.

Zur gesamten Argumentation des Urteils zur Vertragsfreiheit ist fraglich, welche Bedeutung der Aussage zukommt, dass das Verbot der dynamischen Verweisung nur gelte, wenn der Erwerber nicht einmal die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über den verwiesenen KollV teilzunehmen. Die konstatierte Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit soll wohl (nur) hinnehmbar sein, wenn der verwiesene KollV durch die Beteiligung an der (ebenfalls grundrechtlich geschützten) Tarifautonomie legitimiert werden könnte (kritisch dazu Kainer, EuZA 2014, 235). Die Unklarheit zu diesem Punkt wirkt sich etwa aus, wenn der Arbeitsvertrag auf einen anderen KollV als jenen, der für den Übergeber (und den Erwerber) gilt, dynamisch verweist. Der Erwerber ist auch dann in Bezug auf die Änderungen dieses KollV fremdbestimmt – allerdings nicht mehr als der Übergeber. Das erste spricht dafür, dass das vom Urteil bejahte Verbot auch in409 dieser Konstellation eingreift. Das zweite spricht eher dagegen, weil der Verweis auf den schon von Anfang an fremden KollV dann ebenso ein Bestandteil des Arbeitsvertrages ist wie etwa die Bestimmung der Entgelthöhe.

Völlig ungenügend ist der Umgang des Urteils mit den Voraussetzungen des Grundrechtsschutzes. Nicht begründet wird, dass Art 16 GRC nicht nur die Freiheit, einen Vertrag zu schließen, umfasse, sondern auch die Freiheit, diesen inhaltlich nach seinen Vorstellungen zu schließen. Das zweite ist etwas anderes als das erste. Auch die Beeinträchtigung der zweiten Facette wird nicht treffend herausgearbeitet. Das Urteil sieht die Beeinträchtigung in der fehlenden Möglichkeit des Erwerbers, den verwiesenen KollV zu beeinflussen. Dies ist aber keine Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit. Auch die Koalitionsfreiheit ist (anders als Rz 37 des Urteils nahe legt) in keiner Weise beeinträchtigt, weil die Relevanz des verwiesenen KollV allein aus dem Arbeitsvertrag folgt; der Schlussantrag von GA Cruz-Villalón hat dies treffend gesehen.

Die Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit liegt hier vielmehr – allein – darin, dass ein Erwerber (auch) aufgrund der RL auch an den Inhalt des Arbeitsvertrages mit dem Übergeber gebunden ist. Das Urteil verdunkelt (oder verkennt) dies, wenn es stets nur von „Artikel 3“ der RL spricht, anstatt präzise auf Art 3 Abs 1 RL Bezug zu nehmen. Die genannte Beeinträchtigung kann ein Erwerber schon dadurch leicht vermeiden, indem er den Betrieb – in Anbetracht des Inhalts der Arbeitsverträge – eben nicht erwirbt (auch die Qualität der Betriebsmittel kann er ja nicht ändern). In Anbetracht dieser Möglichkeit ist es schlicht nicht nachvollziehbar, warum das Urteil den Wesensgehalt der Vertragsfreiheit als beeinträchtigt ansieht, sofern man darunter den Kern des Grundrechts und nicht dessen vollen Schutzbereich versteht (so wohl auch Art 52 Abs 1 GRC). Würde man diesen Maßstab überall anlegen, dann könnten viele andere Verträge, die ein Unternehmenserwerber übernehmen „muss“, inhaltlich unzulässig sein. Völlig zu Unrecht beruft sich das Urteil auf die EuGH-E 6.9.2012, C-544/10, Deutsches Weintor; dort wurde ein Eingriff in den Wesensgehalt der Unternehmerfreiheit erst angenommen, wenn eine bestimmte Maßnahme faktisch zu einem Verbot der Berufsausübung führt (Rn 57). Auch die Auslegung der Vertragsfreiheit in EuGH 31.1.2013, C-12/11, McDonagh/Ryanair, Rz 60 ff und der Unternehmerfreiheit in EuGH (GK) 22.1.2013, C-12/11, Sky Österreich, Rz 45 ff deuten in eine völlig andere Richtung als jene im Urteil Alemo-Herron. Das Urteil verwertet aus früheren Entscheidungen also nur das, was gerade passt – dies ist kein seriöser Umgang mit Vorjudikatur (vgl Rebhahn in Klang-Kommentar I Nach §§ 6, 7 ABGB Rz 118 ff). Prassl spricht treffend von einer „aggressive interpretation“ des Art 16 GRC.

Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob die Alternative, vor den eine strikte Anwendung des Art 3 Abs 1 RL in Bezug auf eine dynamische Verweisklausel den Erwerbswilligen stellt, nach Art 52 Abs 1 GRC gerechtfertigt werden kann. Dabei ist auf der Seite des AN die Tatsache des Vertragsschlusses und damit dessen – ebenfalls grundrechtlich zu schützende – Vertragsfreiheit sowie sein Interesse an vorhersehbaren Arbeitsbedingungen ebenso in Anschlag zu bringen wie die Bedeutung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften (nach Art 16 und Art 51 Abs 6 GRC). Auf der Seite des Erwerbswilligen ist das Interesse an einem freien Aushandeln der Bedingungen einer Übernahme zu veranschlagen, ein Interesse, das die RL in Bezug auf den Inhalt der Arbeitsverträge grundsätzlich nicht erhört. Man durfte sich Ausführungen zur Abwägung dieser Interessen erwarten, insb zur Frage, inwieweit das Recht den Übergang wirtschaftlicher Einheiten durch die Bindung an den vereinbarten Inhalt der Arbeitsverträge unattraktiv machen soll/darf. Das Urteil scheint davon auszugehen, dass die Vertragsfreiheit es verbiete, diesen Übergang allzu unattraktiv zu machen. Der unausgesprochene Hintergrund dafür könnte sein, dass die RL nicht als sozialpolitische Maßnahme erlassen wurde, sondern zur Förderung des Binnenmarktes. Dies mag das Überspielen des Art 8 RL durch Art 16 GRC beeinflusst haben. Bei Normen, die auf Art 115 AEUV gestützt werden, ist eine Ermächtigung zu Abweichungen zwar wohl zulässig, aber vom Zweck der Kompetenznorm her nicht unproblematisch.

Nicht nur aus britischer Sicht ist schließlich befremdlich, dass das Urteil den britischen Vorbehalt zur Anwendung der GRC im Protokoll Nr 30 zum Lissabon-Vertrag überhaupt nicht erwähnt. Offenbar ist für manche Urteile des EuGH selbst Primärrecht irrelevant, wenn es gerade „nicht passt“.

Insgesamt ist das Urteil Alemo-Herronvon den Urteilen des EuGH zum Privatrecht aus letzter Zeit mE eines der am schlechtesten begründeten, obwohl es mit der Reichweite der Vertragsfreiheit eine zentrale Frage betrifft – und (schon) daher inhaltlich falsch. Zum Glück ist der Umgang mit der GRC in anderen Urteilen nicht ebenso oberflächlich (man vgl etwa die umsichtige Argumentation im Urteil Sky Österreich).

Auch wenn man den Binnenmarktbezug der RL in Rechnung stellt, muss man feststellen, dass – neben den ökonomischen Freiheiten – nun auch das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit die Auslegung der arbeitsrechtlich relevanten Vorschriften des Unionsrechts beschränkt. Man wird sehen, inwieweit dies auch zu anderen Fragen relevant wird. Zum Betriebsübergang könnte das Urteil dazu beitragen, dass die Verpflichtung des Erwerbers, die Arbeitsbedingungen beim Übergeber unverändert beizubehalten, abgeschwächt wird. ME dürfte die Grundhaltung des Urteils Alemo-Herronaber nicht sehr um sich greifen (so zitiert GA Cruz-Villalón in seinem Schlussantrag vom 3.6.2014 zu C-328/13ÖGB-Wirtschaftskammer[AUA-KollV] das Urteil gar nicht, obwohl es um eine ähnliche Problematik geht).410