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Betriebsverfassungsrechtliche AN-Eigenschaft eines Konzerntochter-Geschäftsführers?

LindaKreil (Wien)
  1. Im Hinblick auf die betriebsverfassungsrechtliche AN-Eigenschaft eines entsandten (Auslands-) Mitarbeiters ist zu prüfen, ob er noch als Glied der betrieblichen Organisation gesehen werden kann. Die Zugehörigkeit zum Betrieb ist aber dann zu bejahen, wenn die wesentlichen AG-Funktionen beim entsendenden Betrieb verbleiben.

  2. Bei einem als Geschäftsführer an eine Tochtergesellschaft entsandten AN einer Konzernmuttergesellschaft kommen der Muttergesellschaft weiterhin die wesentlichen AG-Funktionen zu, wenn ein Entsendungsvorbehalt bzw jederzeitige Widerrufbarkeit des Geschäftsführungsauftrages sowie das Recht, den AN auch andernorts oder für andere Organfunktionen in Konzernunternehmen einzusetzen, vertraglich vorgesehen ist und die Lohnzahlung ua Funktionen weiterhin bei ihr verbleiben. Ein solcher AN gilt daher als „im Rahmen des Betriebes“ der Muttergesellschaft beschäftigt iSv § 36 Abs 1 ArbVG. Speziell iZm dem allgemeinen Kündigungsschutz ist in solchen Fällen auch bedeutsam, dass (bzw ob) die arbeitsvertragliche Bindung zur Muttergesellschaft weiterhin besteht und diese daher Adressatin des Kündigungsschutzes bleibt.

  3. Ausgehend von einer materiellen Betrachtung der Organstellung eines Geschäftsführers kann auch ein AN unter die Ausnahme des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG fallen, der vertraglich verpflichtet ist, als Geschäftsführer einer anderen Konzerngesellschaft als seiner AG-Gesellschaft die Betriebsführungsfunktion für diese Konzerngesellschaft auszuüben. Dabei kommt es aber nicht auf die formale Organstellung, sondern auf die arbeitsvertraglich eingeräumten (Betriebsführungs-)Befugnisse bzw die tatsächlich zustehenden Entscheidungskompetenzen innerhalb der jeweiligen Konzerngesellschaft an.

Der 1958 geborene Kl war ab 1.10.1998 bei der A Österreich als Standortleiter für den Standort Linz und in der Folge als Regionalleiter für die Region Ost tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste die Unternehmensentwicklung für das Segment Entsorgung. Die Aktivitäten der A Österreich weiteten sich auf Tschechien und Ungarn aus. Im Jahr 2004 wurde die A Tschechien (idF: A CZ) und die A Ungarn gegründet und der Kl zum Geschäftsführer der A CZ bestellt. Für seine Tätigkeit bei der Wirtschaftskammer wurde dem Kl von der A Österreich auch Prokura erteilt, damit er als Vertreter in die Bundeswirtschaftskammer entsendet werden konnte.

Im Jahr 2006 wurde die Bekl als strategische Management-Holding gegründet. Alle die Entsorgung betreffenden Themen wurden gebündelt und gehörten zum Aufgabengebiet der Bekl. Sie hatte zunächst einen und ab Juni 2010 einen zweiten Geschäftsführer. Sie ist in acht Ländern tätig. Die A CZ ist eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der Bekl und nach Österreich der zweitwichtigste Standort. In der A CZ sind rund 1200 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umsatz betrug im Jahr 2011 etwas mehr als 140 Mio €.

Das Dienstverhältnis des Kl zur A Österreich wurde mit 31.12.2007 einvernehmlich aufgelöst und mit der Bekl ab 1.1.2008 ein neuer Dienstvertrag abgeschlossen. Darin ist ua festgelegt:

„Der Dienstnehmer wird für die Unternehmensentwicklung innerhalb der A-Gruppe eingestellt. Zu seiner Tätigkeit zählt unter anderem die Begleitung weiterer Expansionsschritte im Segment Entsorgung. Gleichzeitig erteilt der Dienstgeber die Beauftragung zur Ausübung der Geschäftsführertätigkeit bei der A CZ. Diese Beauftragung kann jederzeit widerrufen werden, sie erlischt jedenfalls zum Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftsführerfunktion, aus welchen Gründen immer diese erfolgt.“[Es folgen vertragliche Bestimmungen über die Tätigkeit des Kl, seine Geschäftsführerfunktion, Einsatzgebiet, Versetzungsklauseln, Gehaltshöhe, Auszahlungs- und Verrechnungsregelungen und die235 steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Bezüge in ihrem vollen Wortlaut.]

Am 1.6.2012 wurde der Kl von der Bekl entlassen und am 19.7.2012 eventualiter zum 30.11.2012 gekündigt.

Der Kl begehrt in den verbundenen Verfahren des Erstgerichts [...] die Entlassung und die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären, weil er keinen Entlassungsgrund gesetzt habe und die Kündigung aus einem verpönten Motiv erfolgt und sozialwidrig sei. Zur alleine rekursgegenständlichen Frage, ob ihm der arbeitsverfassungsrechtliche Entlassungs- und Kündigungsschutz zusteht, brachte er vor, AN iSd § 36 ArbVG, jedoch kein leitender Angestellter gewesen zu sein, weil ihm kein maßgeblicher Einfluss auf die Führung des Betriebs der Bekl, die ausschließlich von den Geschäftsführern der Bekl geführt worden sei, zugestanden sei. [...]

Das Erstgericht wies die beiden Klagebegehren ab. [Es folgen ausführliche Feststellungen über die Tätigkeit des Kl bei der A CZ sowie über von ihm zusätzlich auszuführende Aufgaben bei der und seine allfällige Einbindung in die Bekl und über die Zahlung und konzerninterne Abwicklung seines Entgelts.]

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung auf. [...] In ihrem dagegen erhobenen Rekurs beantragt die Bekl die Abänderung des berufungsgerichtlichen Beschlusses iS einer Klagsabweisung. [...]

Der Rekurs ist zulässig, im Ergebnis jedoch nicht berechtigt. [...]

1. Im Rekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Bekl und die A CZ keinen einheitlichen Betrieb führen. Davon wäre aufgrund der organisatorischen und räumlichen Trennung der Gesellschaften und ihren unterschiedlichen Zwecksetzungen auch nicht auszugehen.

2. Die Kündigung und die Entlassung eines AN unterliegen den im II. Teil des ArbVG („Betriebsverfassung“) geregelten Anfechtungsbestimmungen der §§ 105 ff ArbVG.

Gem § 36 Abs 1 ArbVG sind AN iSd II. Teils „alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen einschließlich der Lehrlinge und der Heimarbeiter ohne Unterschied des Alters“. Gem § 36 Abs 2 ArbVG gelten nicht als AN „1. in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist; ... 3. leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebes zusteht; ...“

Aus der Gesetzesstruktur geht hervor, dass es sich bei den in Abs 2 aufgezählten Personen um Ausnahmen von den von Abs 1 erfassten AN handelt. Sofern ein AN nicht unter die Generalklausel des Abs 1 fällt, kommt Abs 2 allenfalls deklarative Bedeutung zu (Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 36 Rz 2), weil sich die Unanwendbarkeit des II. Teils insofern schon aus § 36 Abs 1 leg cit ergibt. Vor der Frage, ob der Kl als Organmitglied oder als leitender Angestellter unter die Ausnahme des § 36 Abs 2 ArbVG fällt, ist daher zu prüfen, ob er die Kriterien des AN-Begriffs iSd § 36 Abs 1 ArbVG erfüllt.

3. Durch die Wortfolge „alle im Rahmen eines Betriebs beschäftigten Personen“ soll klargestellt werden, dass AN, die zwar nicht im örtlich engeren Betriebsrahmen tätig sind, wohl aber organisatorisch und soziologisch der Belegschaft des Betriebs zuzuordnen sind, dieser auch rechtlich angehören (zB Windisch-Graetz in

Neumayr/Reissner
, ZellKomm II2 ArbVG § 36 Rz 4).

Bezüglich entsandter (Auslands-)Mitarbeiter ist dabei jeweils zu prüfen, ob der betreffende AN in einer so engen Beziehung zum Betrieb steht, dass er als dem Betrieb noch zugehörig zu betrachten ist und ob er ungeachtet seiner außerhalb der Betriebsstätte verrichteten Tätigkeit noch als Glied der betrieblichen Organisation gesehen werden kann (RIS Justiz RS0107424; 9 ObA 54/09w [im Ausland tätiger Programmmanager]; Gahleitner in

Preiss/Schneller
, Arbeitsverfassungsrecht II2 § 36 Erl 1 S 297f; Tomandl in
Tomandl
, ArbeitsverfassungsG § 36 Rz 10 mwN).

Die Zugehörigkeit zum Betrieb wird aber auch dann bejaht, wenn die wesentlichen AG-Funktionen beim entsendenden Betrieb verbleiben (RIS Justiz RS0029057; Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 36 Rz 12; zur Maßgeblichkeit der Ausübung von AG-Befugnissen vgl auch Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht III Rz 12; Gahleitner in
Preiss/Schneller
, aaO).

4. Speziell im Hinblick auf den arbeitsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG wurde bereits in der E 9 ObA 63/87 (überlassener und in den Betrieb des Beschäftigers integrierter AN) klar zwischen der betrieblichen Zugehörigkeit des AN zum Entleiherbetrieb und der arbeitsvertraglichen Bindung zum Verleiherbetrieb unterschieden und ausgesprochen, dass die aufgrund einer betrieblichen Integration gegebene arbeitsverfassungsrechtliche Qualifikation eines AN als AN des Beschäftigers iSd § 36 nichts daran ändert, dass die arbeitsvertraglichen Beziehungen zum Verleiherbetrieb aufrecht bleiben und damit der arbeitsvertragliche AG als Adressat des in § 105 Abs 1 und 2 ArbVG normierten Kündigungsschutzes anzusehen ist (siehe RIS Justiz RS0050877; vgl dazu Schrank in

Tomandl
, ArbVG § 105 Rz 3; zur Bedeutung der arbeitsvertraglichen Komponente bezüglich der Befugnisse der Belegschaftsvertretung siehe auch Trost in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 105 Rz 72; Gahleitner, aaO § 36 Erl 1, S 297; Tomandl in
Tomandl
, aaO Rz 11).

5. Der Bekl kamen auch nach Übernahme der Geschäftsführertätigkeit des Kl bei der Tochtergesellschaft weiterhin die wesentlichen AG-Funktionen zu (Entsendungsvorbehalt durch jederzeitige Widerrufbarkeit des Auftrags zur Ausübung der Geschäftsführertätigkeit durch die Bekl; Recht der Bekl, den Kl auch andernorts oder für andere Organfunktionen in Konzern- und Beteiligungsunternehmen im Konzern der E AG einzusetzen; Lohnzahlung durch die Bekl; Erholungsurlaub nach Maßgabe des UrlaubsG [...] ua). Nach der unter Pkt 3. genannten Rsp und Literatur ist daher davon auszugehen, dass der Kl betriebsverfassungsrechtlich als „im Rahmen des Betriebes“ der Bekl beschäftigter AN iSd § 36 Abs 1 ArbVG anzusehen ist.

Überdies ist nicht weiter zweifelhaft, dass die Entsendung nichts an der arbeitsvertraglichen Bindung des Kl an die Bekl änderte, wodurch diese nach der236 unter Pkt 4. genannten Rsp Adressat des in § 105 ArbVG normierten Kündigungsschutzes blieb.

Beide Ansätze führen sohin dazu, dass dem Kl nicht schon aufgrund seiner Entsendung zur Tochtergesellschaft der betriebsverfassungsrechtliche Kündigungsschutz gegenüber der Bekl zu versagen wäre.

6. Damit stellt sich die Frage, ob der arbeitsvertragliche AG auch dann Anknüpfungspunkt für die Ausschlussgründe der § 36 Abs 2 ArbVG zu sein hat, wenn ein AN nicht bei diesem AG selbst, sondern aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung bei einer anderen Konzerngesellschaft eine Organfunktion ausübt.

6.1. Allgemein liegt den Ausnahmen vom AN-Begriff der Gedanke zugrunde, dass Personen, die eher AG- als AN-Stellung im Betrieb haben, nicht unter den Schutzbereich des ArbVG fallen sollen (Windisch-Graetz in ZellKomm, aaO Rz 10). Das ist bei einem Geschäftsführer zweifellos der Fall. Nicht anders wird als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG vor allem jener AN definiert, der durch seine Position an der Seite des AG und durch Ausübung von AG-Funktionen in einen Interessengegensatz zu anderen AN geraten kann (RIS Justiz RS0051002). Maßgeblich ist vor allem die Entscheidungsbefugnis im personellen Bereich, weil sie den Interessengegensatz zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern bewirkt, der der Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG zugrunde liegt (RIS Justiz RS0053034).

6.2. Zu 9 ObA 49/05d wurde es abgelehnt, alleine aufgrund der formalen Organstellung eines AN der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft die Erfüllung des Ausnahmetatbestands des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG zu bejahen. Denn die Organstellung bei der Tochtergesellschaft besage nicht, dass dieser AN – wie es für eine Qualifizierung als leitender Angestellter erforderlich wäre – im AG-Betrieb eine dem Unternehmer vergleichbare Stellung innehabe, die es ihm ermögliche, durch Verfügungen in die Interessensphäre der AN einzugreifen und wesentliche Unternehmensentscheidungen zu treffen. Jener E lag die Konstellation eines faktisch einheitlichen Betriebs zugrunde (Mutter- und Tochtergesellschaft am gemeinsamem Standort; Betriebszweck der Tochtergesellschaft: Verrechnung der Bezüge der leitenden Angestellten und Anteilsverwaltung; Tochtergesellschaft ohne Beschäftigte und ohne eigene Betriebsmittel). Da die Tochtergesellschaft völlig unselbständig und überdies betriebsmittel-, belegschafts- und im Entscheidungsprozess bedeutungslos war, wurde der dort als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft agierende Kl nicht als Organ der Betriebsinhaberin angesehen.

Die E nahm sohin auf die – dort fehlende – materielle Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis eines AN der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft Bedacht.

6.3. Ausgehend von einer solchen materiellen Betrachtung der Organstellung eines Geschäftsführers muss daher in jenem Fall, in dem ein AN arbeitsvertraglich dazu verpflichtet ist, als Geschäftsführer einer anderen Konzerngesellschaft mit selbständiger Entscheidungsbefugnis für die Belegschaft und für die Betriebsmittel die Betriebsführungsfunktion auszuüben, eine solche Organstellung eines AN aber

sehr wohl als Ausschlussgrund iSd § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG gewertet werden. Der tragende Grund liegt auch in einem solchen Fall darin, dass der AN im Interesse seines AG – zwar nicht in dessen, jedoch in einem anderen Konzernbetrieb – unternehmerische Leitungsbefugnisse ausübt. Denn es würde einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn man einerseits die Stellung des Kl bei der Bekl als AN der Bekl im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn deshalb bejaht, weil die AG-Funktionen arbeitsvertraglich bei der Bekl verbleiben, andererseits aber für die Beurteilung der Frage, ob der Kl als Geschäftsführer Organfunktion iSd § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG hat, nicht auf seine arbeitsvertraglichen Kompetenzen für die Bekl abstellen wollte. Da die arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Befugnisse eines AN insofern auch auf einen anderen Konzernteil ausstrahlen kann, ist es gerechtfertigt, für die Beurteilung des Ausnahmetatbestands nach § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG auch auf jene Konzerngesellschaft abzustellen, in der der AN auftragsgemäß die Geschäftsführungsfunktion wahrnimmt.

6.4. Unterstrichen werden diese Erwägungen dadurch, dass auch die Entwicklungen im Konzernbetriebsrecht [wohl gemeint: Konzernbetriebsverfassungsrecht] und im europäischen Betriebsverfassungsrecht auf die Möglichkeit konzerngesellschaftsüberschreitender Interessengegensätze zwischen AGund AN-Seite Bedacht nehmen (§§ 88a ff, 189, 191 ff ArbVG).

6.5. Damit kommt es aber entscheidend auf die dem Kl arbeitsvertraglich eingeräumten Befugnisse und die ihm innerhalb der Tochtergesellschaft zustehenden Entscheidungskompetenzen an. Käme ihm nach seinem Arbeitsvertrag dagegen faktisch keine Betriebsführungsfunktion bei einer Konzerngesellschaft zu, so hätte es bei seiner AN-Stellung iSd § 36 Abs 1 ArbVG zu bleiben. In diesem Zusammenhang könnte alleine der Umstand, dass gewisse Rechtsgeschäfte der Tochtergesellschaft der Genehmigungspflicht der Bekl unterliegen, noch nicht dazu führen, dass die Leitungsfunktion des Kl zu verneinen wäre.

7. Im Ergebnis erweist sich der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts daher als zutreffend, weil dem Kl der Kündigungsschutz der §§ 105 ArbVG nicht alleine aufgrund seiner formalen Organstellung bei der Tochtergesellschaft versagt werden kann, sondern geprüft werden muss, ob und inwieweit ihm mit der arbeitsvertraglichen Beauftragung zur Übernahme der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft die tatsächliche Betriebsführungsbefugnis für diese übertragen war. [...]

Dem Rechtsmittel der Bekl ist danach keine Folge zu geben. Es bleibt bei der Aufhebung des Ersturteils und der Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Anmerkung

Die vom OGH erörterten Fragen ergeben sich nur bei der sogenannten Drittanstellung von (Fremd-) Geschäftsführern und anderen Organmitgliedern, dh wenn diese nicht mit der AG-Gesellschaft, sondern mit einem Dritten arbeitsvertraglich verbunden sind. Diese Konstellation ist in der Praxis vor allem bei der237 GmbH & Co KG sowie im Konzern anzutreffen, in letzterem, wenn etwa Angestellte der Muttergesellschaft deren Töchter leiten sollen, wozu sie im Dienstvertrag verpflichtet werden können. Im Verhältnis zur Muttergesellschaft haben solche Tochter-Geschäftsführer mitunter keine Betriebsführungsbefugnisse, sodass der Wortlaut des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG auf sie nicht zutrifft. Demnach müsste aber auch ein Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft mit hunderten AN und weitläufigen Produktionsbetrieben Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG genießen. Damit setzt sich der OGH auseinander.

1.
Kein gemeinsamer Betrieb

Zutreffend hat der OGH das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes zwischen Mutter- und Tochterunternehmen „aufgrund ihrer organisatorischen und räumlichen Trennung und ihrer unterschiedlichen Zielsetzung“ verneint. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich hier um eine österreichische Holding und eine von mehreren ausländischen Tochtergesellschaften handelt, die für sich alleine genommen 1200 Mitarbeiter beschäftigt und einen Jahresumsatz von 140 Mio € erwirtschaftet, kann man dem nur zustimmen. Die Konzernleitung alleine schafft noch keinen einheitlichen und/oder gemeinsamen Betrieb. Im vom OGH an anderer Stelle zitierten Urteil vom 22.2.2006 (OGH9 ObA 49/05dArb 12.597 = ZAS 2007/37 [Risak]) war ein einheitlicher Betrieb zwischen Mutter und Tochter bejaht worden, weil dort die betriebliche Verflechtung zwischen Mutter und Tochter wesentlich enger war (ausführlich Kreil, Die Belegschaftsorganisation im Konzern im Spiegel der österr Rechtsprechung, ZAS 2014, 52).

2.
Betriebszugehörigkeit von Tochter- Geschäftsführern und Kündigungsschutz

Ebenfalls zutreffend hat das Höchstgericht die Betriebszugehörigkeit (Eingliederung) des drittangestellten Tochter-Geschäftsführers wie bei einem an ein Tochterunternehmen überlassenen AN behandelt (in diesem Sinne allgemein Mazal, Organmitglieder als überlassene Arbeitskräfte, ecolex 2001, 763) und darüber hinaus auf die Versetzbarkeit und Rückrufbarkeit Augenmerk gelegt (ähnlich bereits Resch, Drittanstellung von Organpersonen und Arbeitsrecht, GesRZ 2005, 76, 79 ff).

Auf den ersten Blick merkwürdig mag erscheinen, dass der OGH der arbeitsvertraglichen Beziehung zur Konzernmuttergesellschaft entgegen dem Wortlaut des § 36 ArbVG ebenfalls Bedeutung beimisst. Doch wegen des nach wie vor allein bei der Muttergesellschaft (bzw beim Überlasser/Entsender) liegenden Beendigungsrechts gibt es iZm dem allgemeinen Kündigungsund Entlassungsschutz (§§ 105 ff ArbVG) wohl keine andere Lösung, will man den Bestandschutz bei ANEntsendungen nicht ins Leere laufen lassen.

3.
Schutzwürdigkeit von Geschäftsführern im Konzern?

Auf einem anderen Blatt steht, ob einem Geschäftsführer dieser Schutz überhaupt zugestanden werden soll. Grundsätzlich liegt ja, wie der OGH hervorhebt, den Ausnahmen in § 36 Abs 2 ArbVG iZm Organmitgliedern und leitenden Angestellten der Gedanke zugrunde, dass Personen, die eher AG- als AN-Stellung im Betrieb haben, nicht unter den Schutzbereich des ArbVG fallen sollen.

Die hier gewählte differenzierende Lösung überzeugt mE, weil nicht jeder Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft tatsächlich Einfluss auf die Betriebsführung hat – nicht auf die der Tochter, und noch weniger auf die der Muttergesellschaft. Die fehlende Betriebsführungsbefugnis war beim erwähnten Judikat (OGH 22.2.2006, 9 ObA 49/05d) entscheidend, um dem Geschäftsführer trotz des einheitlichen Betriebes von Mutter und Tochter Kündigungsschutz zu gewähren. Hinter einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft kann sich ein wirtschaftlich völlig unselbständiges Gebilde ohne Betriebsqualität verbergen. Und/oder der Geschäftsführer ist womöglich zugleich ein „normaler“ AN der Muttergesellschaft, der die Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft nur miterledigt (vgl Resch, Drittanstellung von Organpersonen und Arbeitsrecht, GesRZ 2005, 79). Im vorliegenden Fall fällt der Geschäftsführer hingegen letztlich – mE normzweckkonform – aus § 36 ArbVG heraus.

Dabei kommt es also auf die tatsächliche Betriebsführungsbefugnis des Konzerntochter-Geschäftsführers an. Eine solche Einzelfallbetrachtung wird zwar zu Lasten der Rechtssicherheit gehen. Aber dieser Nachteil ist mE nicht so sehr der Rsp „anzulasten“, sondern dem Wirtschaftsleben, das sich aus steuerlichen und vielen anderen Gründen für verschiedenste vertragliche Konstruktionen entscheidet. Das ist im Lichte der Vertragsfreiheit zweifellos erlaubt, aber man darf sich dann nicht wundern, wenn die Ergebnisse im unternehmerischen Alltag mitunter schwer durchschau- und administrierbar werden.

4.
„Materielle“ Auslegung des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG

Methodisch gesehen hat das Höchstgericht, ohne sie so zu benennen, eine Analogie vorgenommen. Bemerkenswert ist auch die gewählte (und von ihm so bezeichnete) „materielle“ (wirtschaftliche) Betrachtungsweise, bei der der Einfluss auf ein anderes Unternehmen als der Betriebsinhaber auf die Beurteilung der AN-Stellung durchschlägt. Dass der OGH speziell im Konzern einer solchen, an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierten gegenüber einer formalen Betrachtungsweise den Vorzug gibt, ist zu begrüßen.238