Klimastreik als Arbeitskampf?

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)
Der folgende Beitrag untersucht, wie Arbeitskämpfe, die mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Zusammenhang stehen, arbeitsrechtlich zu beurteilen sind. Zu diesem Zweck wird vorweg auf Arbeitskämpfe und ihre Rechtsfolgen allgemein eingegangen, bevor konkret die Zulässigkeit von „Klimastreiks“ anhand der genannten Beispiele erörtert wird.
  1. Worum geht es?

  2. Was ist ein Arbeitskampf?

  3. Streikrecht und seine Grenzen

  4. Rechtmäßigkeit von Klimastreiks

    1. Klimastreik als politischer Streik

    2. Unternehmensbezogene Klimastreiks

    3. Begleitmaßnahmen

  5. Zusammenfassung

1.
Worum geht es?

„Klimastreik“ hat sich zu einem häufig gebrauchten schillernden Begriff entwickelt, man kann auch von einem Modewort sprechen. Von den Medien und von NGOs, die die Bekämpfung der Klimakrise auf ihre Fahnen geheftet haben, werden darunter meist Kundgebungen verstanden, die auf spektakuläre Art und Weise auf die Klimakrise selbst und Versäumnisse bei ihrer Bekämpfung aufmerksam machen wollen. Die Klimakleber:innen, die sich zu diesem Zweck auf Straßen festkleben und den Verkehr behindern, sind die augenscheinlichste und umstrittenste Form dieser Protestmaßnahmen. Mit dem Begriff „Streik“, wie er in der Arbeitswelt bzw im Arbeitsrecht verwendet wird, hat das wenig zu tun. Darunter versteht man nämlich planmäßige kollektive Arbeitsniederlegungen von AN zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Sogenannte Klimastreiks sind hingegen Protestmaßnahmen, die grundsätzlich nicht im Rahmen von Arbeitsverhältnissen stattfinden. Streiks werden idR (aber nicht zwingend) von AN-Interessenvertretungen (Gewerkschaften) organisiert, Klimastreiks von NGOs, die sich für den Klimaschutz engagieren.

Eine Verbindung ist aber möglich. Zunehmend beteiligen sich Gewerkschaften oder andere AN-Interessenvertretungen an politischen Aktionen, die Klimaschutz oder Nachhaltigkeit zum Gegenstand haben. Im Jahr 2020 haben die deutsche Gewerkschaft ver.di und die NGO „Fridays for Future“ eine Allianz für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Personennahverkehr und für den Klimaschutz gebildet.* Am 3.3.2023 hat ver.di zum Streik der Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs in sechs deutschen Bundesländern aufgerufen. Gleichzeitig veranstaltete ver.di zusammen mit „Fridays for Future“ einen Aktionstag zur „Mobilitätswende“.* Der Streikaufruf wurde so begründet:

Die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stehen im Mittelpunkt eines bundesweiten Aktionstags am 3. März. Ver.di und die Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Fridays for Future (FFF) kritisieren die Arbeitsbedingungen in der Branche, die Orientierungslosigkeit der Arbeitgeber und der Politik. Sie fordern dauerhaft mehr Geld für Konsolidierung und Ausbau des Nahverkehrs. An dem Tag findet gleichzeitig der globale Klimastreik der Fridays for Future- Bewegung statt.*

Am 15.9.2023 wurde von ver.di und „Fridays für Future“ erneut zu gemeinsamen Kundgebungen im Rahmen des „globalen Klimastreiks“ aufgerufen.* Klimastreiks könnten sich aber auch auf einzelne Unternehmen oder Betriebe beziehen. Derzeit gibt es dazu noch wenige praktische Anwendungsbei- 104 spiele. In diesem Beitrag geht es aber nicht um unmittelbare und aktuelle Praxisrelevanz, sondern um die Einschätzung und Beurteilung von Fallgestaltungen, die in der Zukunft auftreten könnten. So wäre es etwa vorstellbar, dass die Belegschaft eines Unternehmens oder Betriebs streikt, um den/ die AG zu Klimaschutzmaßnahmen (zB Umstellung auf biologische Produktion, nachhaltiger Einkauf von regionalen Produkten) zu bewegen. Im Zuge eines solchen Streiks könnte die Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, dass das bestreikte Unternehmen ein Klimasünder ist, oder es könnte der Zugang für Lieferant:innen umweltschädlicher Produkte blockiert werden.

Ein Streik könnte aber auch geführt werden, um die Finanzierung eines „Klimatickets“ oder ähnlicher Leistungen durch den/die AG zu erreichen. Auch die Forderung nach Einführung der Vier-Tage- Woche könnte mit Nachhaltigkeitserwägungen (weniger Verkehr) begründet werden.

Schließlich wäre denkbar, dass AN und/oder Gewerkschaft einen Streik organisieren, um die Erreichung einer steuerlichen Begünstigung für Entgeltsysteme oder Maßnahmen zu erreichen, die dem Klimaschutz dienen.

2.
Was ist ein Arbeitskampf?

Unter einem Arbeitskampf versteht man jede von einer Partei des Arbeitslebens ausgehende planmäßige Störung des Arbeitsfriedens durch kollektive Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Ziele.* Man unterscheidet den Streik, bei dem es um den kollektiven Entzug der Arbeitskraft geht, vom Boykott, bei dem andere Störungen des Betriebs meist als Begleitmaßnahme eines Streiks durchgeführt werden, wie zB die Aufforderung an die Kunden, keine Waren des bestreikten Unternehmens zu kaufen oder die Errichtung einer Betriebsblockade. Auf die Aussperrung als Kampfmittel der AG, das auf den Entzug von Arbeit und Entgelt gerichtet ist, muss hier nicht eingegangen werden.

Schon aufgrund der Definition des Arbeitskampfes kann das einleitende Beispiel der Klimakleber:innen aus der weiteren Betrachtung ausgeschieden werden. Ein Bezug zum Arbeitsrecht besteht bei den Protestkundgebungen, die im öffentlichen Raum stattfinden und bei denen es auf die berufliche Seite nicht ankommt, in aller Regel nicht. Beim Arbeitskampf geht es immer um die Störung des Arbeitsfriedens. Die geschilderten politischen Manifestationen haben daher zwar mit Nachhaltigkeit, nicht aber mit Arbeitskampf zu tun.

Bei den anderen angeführten Beispielen kann man dagegen durchaus von Arbeitskämpfen sprechen, weil AN und Gewerkschaften beteiligt sind und die Aktionen (Arbeitsniederlegung und Begleitmaßnahmen) geradezu typisch für Arbeitskämpfe sind. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob diese Maßnahmen auch rechtmäßig sind.

3.
Streikrecht und seine Grenzen

Im hochregulierten österreichischen Arbeitsrecht ist der Arbeitskampf eine Ausnahme. Es gibt keine Streikgesetze oder -verordnungen, nur mittelbar wird in der innerstaatlichen Rechtsordnung in einzelnen Vorschriften auf den Streik eingegangen. Der Staat hält sich aus kollektiven Streitigkeiten in der Arbeitswelt heraus, man spricht auch von der diesbezüglichen Neutralität des Staates.* Dass jedenfalls dem Grunde nach Arbeitskämpfe geführt werden dürfen, wird meist blumig, aber nichtssagend mit natürlicher Kampffreiheit begründet. Nach der Devise „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“ wird letztlich darauf verwiesen, dass Arbeitskämpfe nach der allgemeinen Rechtsordnung zu beurteilen seien. Soweit diese keine Einschränkungen vorsehe, sei auch der Arbeitskampf zulässig.*

Mit dieser Argumentation steht die sogenannte „Trennungsthese“ im Zusammenhang. Die Rechtmäßigkeit des Streiks als Gesamtaktion sei getrennt von der Streikbeteiligung des/der einzelnen AN zu beurteilen. Als Gesamtaktion sei der Streik nur rechtswidrig, wenn es ein Streikverbot oder Streikbeschränkungen gebe. Die Streikbeteiligung des/ der einzelnen AN sei aber idR als unentschuldigtes Unterlassen der Arbeitsleistung und damit als Verletzung des Arbeitsvertrags anzusehen. Diese könne arbeitsvertraglich sanktioniert werden und uU einen Entlassungsgrund darstellen.*

Die Trennungsthese ist nach mittlerweile hM nicht mehr aufrechtzuerhalten.* Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass das Unionsrecht nun in Art 28 GRC ein ausdrückliches Streikrecht vorsieht und andererseits der EGMR seine Rsp zu Art 11 EMRK geändert hat. Das Streikgrundrecht des Art 28 gilt nach Art 51 Abs 1 GRC für die Mitgliedstaaten allerdings nur bei der Durchführung des Rechts der Union. Wann Unionsrecht durchgeführt wird, ist im Detail unklar. Zwar ist die Union für das Streikrecht gar nicht zuständig (Art 153 Abs 5 AEUV), in der Literatur und wohl auch vom EuGH wird aber „Durchführung“ von Unionsrecht eher weit verstanden.* Ein Streik, der die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt, könnte dies uU schon erfüllen.*

Fast noch wichtiger für die Änderung der österreichischen Streikrechtsdogmatik ist die Änderung der Rsp des EGMR. Art 11 EMRK, der in Österreich im Verfassungsrang steht, schützt die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschließlich des Rechts, Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. In Abkehr von seiner langjährigen Judika- 105 tur hat der EGMR in zwei die Türkei betreffenden Entscheidungen 2008 (Demir und Baykara)* und vor allem 2009 (Enerji Yapi-Yol Sen)* festgehalten, dass die Koalitionsfreiheit des Art 11 EMRK auch ein Streikrecht der Gewerkschaften beinhalte. In späteren Urteilen wurde dies mehrfach bestätigt.* Obwohl sich die Urteile meist auf das Streikrecht der Gewerkschaften bezogen haben, wird daraus auch ein Streikrecht der einzelnen AN abgeleitet, weil Art 11 EMRK bei der Koalitionsfreiheit diesbezüglich nicht differenziert.* Zu Recht wird ausgehend von diesen Entscheidungen angenommen, dass nicht nur die Organisation eines rechtmäßigen Streiks, sondern auch die Beteiligung daran nicht sanktioniert werden darf. Eine Entlassung aufgrund eines rechtmäßigen Streiks ist daher unzulässig.*

Die Grenzen des Streikrechts sind noch nicht endgültig gezogen. Zweifellos können Streiks sittenwidrig und damit unzulässig sein. Das ist der Fall, wenn gezielt gegen gesetzliche Vorschriften (insb strafrechtliche Verbote) verstoßen wird, zB Gewaltanwendung strategisch eingeplant wird.* Noch zu diskutieren wird die Frage sein, ob man in Hinkunft wie in Deutschland Streiks einer generellen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterziehen muss und ob ein Ultima-Ratio-Prinzip gilt.* Auch die Frage, wie Streiks in der Daseinsvorsorge* und im staatlichen Bereich beurteilt werden müssen, bedarf noch weiterer Diskussion.

Anerkannt sind Streikverbote, die aus einer Friedenspflicht abgeleitet werden. Der BR bzw die Belegschaft des Betriebs, aber auch die Kammern, können sich jedenfalls nicht auf die Koalitionsfreiheit berufen. Sie sind keine Koalitionen, weil Beitritt und Austritt nicht freiwillig sind. Für sie gilt die Rsp des EGMR zum Streikrecht daher nicht.* Ob sie sich auf ein Streikrecht berufen können, hängt ausschließlich vom innerstaatlichen Recht ab. Insoweit zB von einem betriebsverfassungsrechtlichen Kampfverbot ausgegangen wird, ist dieses weder an Art 11 EMRK noch an Art 28 GRC zu messen. Im Übrigen wird hinsichtlich der Streikorganisation durch Betriebsratsmitglieder von der hM vertreten, dass sich das Verbot nur auf die Funktion bezieht. Die bloße Streikteilnahme von Betriebsratsmitgliedern ohne Bezug zur Funktion bzw in der Eigenschaft als Gewerkschaftsfunktionäre wird als zulässig angesehen.*

Der Schutz des Streikrechts bezieht sich nicht unbedingt auf alle mit dem Streik im Zusammenhang stehenden Maßnahmen. Man unterscheidet zwischen dem Streik als Gesamtaktion, also dem organisierten kollektiven Unterlassen der Arbeitsleistung, und Begleitmaßnahmen wie etwa Demonstrationen, Betriebsblockaden oder die Herstellung von Öffentlichkeit durch Flugblätter oder Medieninformation. Unzulässige Begleitmaßnahmen (zB Sachbeschädigungen, Beleidigungen) können dazu führen, dass der Streik als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn sie geplant erfolgen bzw Teil des Streikkonzepts sind. Ist dies nicht der Fall, treffen die Folgen der unzulässigen Begleitmaßnahmen nur die rechtswidrig handelnden Personen, der Streik als Gesamtaktion wird dadurch aber nicht rechtswidrig.* Umgekehrt hat die Zulässigkeit der Gesamtaktion nicht zwingend die Zulässigkeit der Begleitmaßnahmen zur Folge.

4.
Rechtmäßigkeit von Klimastreiks
4.1.
Klimastreik als politischer Streik

Bei näherer Betrachtung des von der Gewerkschaft ver.di organisierten Streiks zur Mobilitätswende zeigt sich eines der zentralen rechtlichen Probleme von Arbeitskämpfen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitszielen. Sie haben eine politische Schlagseite, die über Interessenvertretungspolitik zuguns ten der AN hinausgeht. Im konkreten Fall wurde ein gegen eine/n bzw mehrere AG gerichteter Streik zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der im Personennahverkehr Beschäftigten verknüpft mit Forderungen an die Politik zum Ausbau des Nahverkehrs und dem Hinweis auf den „Klimastreik“ genannten Aktionstag von „Fridays for Future“, der am selben Tag wie der Streik stattgefunden hat. Implizit war dies wohl so zu verstehen, dass sich die Streikenden an den Aktionen von „Fridays for Future“ beteiligen sollen (zT wurde auch ausdrücklich dazu aufgefordert).

In Deutschland wurde in der Folge diskutiert, ob ver.di damit zu einem Streik zur Durchsetzung klimapolitischer Ziele aufgerufen hat und ob die Vorgangsweise rechtswidrig war.* Jedenfalls sei die Teilnahme an diesem „Klimastreik“ (dh an den Demonstrationen) ohne Einwilligung des/ der AG während der Arbeitszeit unzulässig.* Da in Deutschland erstens Streiks viel häufiger als in Österreich durchgeführt werden und zweitens nach der Rsp des BAG und der überwiegenden Lehre jedenfalls dem Grunde nach ein Streik nur um kollektivvertraglich regelbare Ziele geführt werden darf,* ist das Thema noch brisanter als in Österreich.

Aber auch nach österreichischem Recht stellt sich die Frage, ob und inwieweit politische Streiks 106 zulässig sind. Nach der älteren Literatur wurde die Rechtmäßigkeit generell verneint, weil einerseits die verfassungsrechtlich geordnete Willensbildung der Staatsorgane nicht unter Druck gesetzt werden dürfe, andererseits der/die AG die Kampfforderung gar nicht erfüllen könne.* Politischer Streik wurde also verstanden als Streik, bei dem eine Forderung an den Gesetzgeber gerichtet, aber der/die AG durch den Entzug der Arbeitskraft getroffen wird.

Rebhahn hat schon 2004 zu Recht darauf hingewiesen, dass zu unterscheiden sei: Tritt der Staat als AG auf und wird durch die gesetzliche Regelung der Arbeitsbedingungen bloß der KollV ersetzt, sei der Streik dem Grunde nach zulässig.* Es ließe sich dann zwar immer noch argumentieren, dass der Staat in unterschiedlicher Rolle betroffen sei, nämlich einerseits als AG im Rahmen der Exekutive, andererseits aber im Rahmen der Gesetzgebung. Dem könne man wiederum entgegenhalten, dass der Druck auf die politische Willensbildung durch das Strafrecht geschützt wird. Danach sei nur die Druckausübung mit Gewalt, nicht aber durch Arbeitsniederlegung verboten. Eine Verstärkung dieses Schutzes durch das Privatrecht sei nicht erforderlich.*

Gegen die Zulässigkeit eines Streiks gegen ein allgemeines arbeitsrechtliches Gesetz spreche hingegen tatsächlich, dass der/die AG die Forderung nicht erfüllen kann.*Grillberger relativiert dieses Argument mit dem Hinweis, dass dieselbe Situation auch bei einem Streik um die Änderung oder Beibehaltung eines KollV gegeben sei, weil der KollV fast immer vom AG-Verband geschlossen werde, der/die einzelne AG aber streikbetroffen sei. Vor allem wenn der Gesetzgeber Arbeitsbedingungen zu Lasten der AN verändern will, reiche daher ein relevanter Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen bzw Arbeitsplätzen der Kämpfenden aus, wenn der Arbeitskampf grundsätzlich geeignet ist, dem betreffenden Anliegen zu dienen.*

All diese Stellungnahmen sind noch davon ausgegangen, dass es kein subjektives Streikrecht gibt. Die schon angesprochene Änderung der Rsp des EGMR und die Einführung der GRC haben dies geändert. Ob damit auch der politische Streik anders zu beurteilen ist, kann noch nicht endgültig gesagt werden. Der EGMR hat jedenfalls Sympathiestreiks, also Streiks, die nicht auf die Verbesserung der eigenen Beschäftigungsbedingungen ausgerichtet sind, sondern die Streikforderungen anderer AN unterstützen wollen, als grundsätzlich dem Schutz von Art 11 EMRK unterworfen angesehen.* Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung wurde also relativ weit gezogen. Das spricht für die Einbeziehung von politischen Streiks, als und insoweit sie wenigstens mittelbar mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang stehen.*

Schließt man sich dieser Meinung an, könnte sich eine Gewerkschaft in Österreich hinsichtlich eines Streiks, bei dem es jedenfalls auch um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor geht, auf den Schutz des Art 11 EMRK berufen.* Die Verknüpfung mit (klima-)politischen Forderungen schadet diesbezüglich nicht. Anders wäre der Fall wohl dann zu beurteilen, wenn der Streik nur oder ganz vorrangig auf die Änderung der Klimapolitik der Regierung bzw auf die Änderung klimapolitischer Gesetze abzielt. Es reicht als Konnex zu den Arbeitsbedingungen nicht aus, den Schutz der allgemeinen Lebensbedingungen auch als notwendig zur Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw als Schutz von Arbeitsbedingungen im weiteren Sinn anzusehen. Hingegen wäre ein Streik, bei dem die steuerliche Begünstigung von klimaschutzbezogenen Entgeltleistungen oder Arbeitszeitveränderungen gefordert wird, zwar staatsgerichtet, weist aber doch noch einen Bezug zu den Arbeitsbedingungen auf, weil sich diese Maßnahmen positiv auf das Entgelt auswirken würden.

Die Prüfung ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Fraglich ist nämlich, ob ein politischer Streik, der eine staatliche Initiative fordert, in jeglicher Intensität zulässig ist und wie es mit Begleitmaßnahmen aussieht. Grundsätzlich ist man in Österreich immer davon ausgegangen, dass ein Arbeitskampf – wenn sich nicht ein Streikverbot aus der Rechtsordnung ableiten lässt, wie es etwa hinsichtlich der Streikorganisation durch den BR der Fall ist – nur am Maßstab der Sittenwidrigkeit zu messen ist. Politische Streiks wurden aber in der älteren Literatur idR an sich als sittenwidrig angesehen.* Wenn sie nun über Art 11 EMRK (oder allenfalls auch Art 28 GRC)* dem Grunde nach geschützt sein sollen, sofern sie einen Bezug zu Arbeits- oder Entgeltbedingungen haben, fällt die Sittenwidrigkeit als Maßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit aus. Dass aber ein unbegrenzter (vielleicht sogar mehrere Wochen oder Monate dauernder) Streik um die Änderung oder Beibehaltung eines Gesetzes zulässig sein soll, ließe sich schwer argumentieren. Auch der EGMR sieht das Streikrecht nicht als absolutes Recht, sondern berücksichtigt die Rechte „anderer“. Das wird gerade in Randbereichen des Streikrechts eine besondere Rolle spielen.

So wird man etwa den Schutz der Allgemeinheit bzw betroffener Dritter in der Daseinsvorsorge berücksichtigen müssen. Die Grenzen des Streikrechts sind dort zweifellos von vornherein wesentlich enger zu ziehen, für politische Streiks wird das umso mehr gelten. Außerhalb der Daseinsvorsorge wird uU der Schutz des/der durch die Arbeitsniederlegung betroffenen AG im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit bzw im Unionsrecht im Hinblick 107 auf Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit eine Rolle spielen.* Das läuft letztlich auf ein Verhältnismäßigkeitsprinzip hinaus,* wie es in Deutschland – freilich bei abweichender Rechtslage – generell angewendet wird. Kurzzeitige Arbeitsniederlegungen, zB Warnstreiks, oft in Verbindung mit Demonstrationen oder Kundgebungen, um die Unterstützung oder Ablehnung einer gesetzlichen Regelung mit Bezug zu den Arbeitsbedingungen zum Ausdruck zu bringen, wären danach idR zulässig. (Klima-)Politische Streiks, die so lange fortgesetzt werden, bis die Forderung vom Gesetzgeber erfüllt bzw die Erfüllung verbindlich zugesagt wurde, wären hingegen unverhältnismäßig.

4.2.
Unternehmensbezogene Klimastreiks

Bei politischen Streiks kann der/die AG die Streikforderung nicht unmittelbar erfüllen, weil sie gegen den Staat gerichtet sind. Ist ein Unternehmen hingegen mit klimapolitischen Forderungen (zB Umstieg auf Bio-Produktion oder Einkauf regionaler Produkte) konfrontiert, könnten diese an sich erfüllt werden. Allerdings fehlt der erforderliche Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen. Ein solcher Streik wäre daher rechtswidrig, solange man keine andere Rechtfertigung für das Verhalten der Streikenden finden kann. Allenfalls könnte eine Kampagne, bei der es um gesundes Essen in der Kantine oder um die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitserwägungen bei Wohlfahrtseinrichtungen geht, noch als zulässiger Streikzweck angesehen werden. Dafür spricht jedenfalls, dass Wohlfahrtseinrichtungen in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen geregelt werden dürfen. Streiks um die Finanzierung eines „Klimatickets“, klimaschutzbezogene Entgeltleistungen oder Änderungen bei der Arbeitszeitgestaltung (zB Homeoffice als Maßnahme zur Verkehrsreduktion) wären jedenfalls dem Grunde nach vom Streikrecht gedeckt.

4.3.
Begleitmaßnahmen

Denkbar wäre noch, dass bei einem an sich rechtmäßigen Streik problematische Begleitmaßnahmen gesetzt werden. So könnten – wie möglicherweise im Beispiel mit dem Aktionstag der Gewerkschaft ver.di – im Zuge des Streiks Klimakleber:innen zum Einsatz kommen. Diese Maßnahmen stellen zwar einen Verwaltungsstraftatbestand dar. Sofern davon die Allgemeinheit betroffen ist, dh das Festkleben auf einer öffentlichen Straße durchgeführt wird, besteht aber kein relevanter Zusammenhang mit dem Streik. Der/Die AG ist durch die Arbeitsniederlegung nicht oder nur wie jede/r andere Verkehrsteilnehmer:in betroffen.

Wird hingegen die einzige Zufahrtsstraße zum Betrieb blockiert, handelt es sich um eine gegen den/die AG gerichtete Boykottmaßnahme. Ob der EGMR das noch unter Art 11 EMRK subsumieren würde, lässt sich schwer vorhersagen. Dafür spricht abermals die weite Auslegung der Koalitionsfreiheit im Hinblick auf Sympathiestreiks.* Man könnte also argumentieren, wenn schon Streiks geschützt werden, die sich nicht einmal auf die eigenen Arbeitsbedingungen beziehen, müssen Boykottmaßnahmen zur Unterstützung der Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen umso mehr zulässig sein. Auch die spektakuläre Entscheidung des deutschen BAG, wonach Flashmob-Aktionen nicht generell unzulässig seien, geht in diese Richtung.* Die Gewerkschaft hatte begleitend zu einem Streik im Einzelhandel Aktionen gesetzt und zu solchen aufgerufen, die einer teilweisen Blockade gleichgekommen sind. So haben viele Personen gleichzeitig jeweils einen Billigstartikel gekauft oder die Einkaufswagen gefüllt und sie bei der Kasse stehengelassen. Diese Maßnahmen wurden vom BAG als dem Grunde nach von der in Art 9 Abs 3 dt Grundgesetz (GG) geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften erfasst angesehen. Wie bei allen Kampfmitteln komme es auf die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes an.

Jedenfalls unzulässig sind Begleitmaßnahmen, die strafrechtlich zu ahnden sind. Das betrifft zB gefährliche Drohungen oder den Einsatz körperlicher Gewalt gegen den/die AG oder Führungskräfte.* Die bisher bekannt gewordenen Aktionen von Klimaaktivist:innen dürften allerdings nicht gerichtlich strafbar gewesen sein.* Auch wahrheitswidrige kreditschädigende Äußerungen über den/die AG oder das Unternehmen sind grundsätzlich rechtswidrig. Dabei wird es freilich auf die Formulierung im Detail ankommen. So ist die Bezeichnung des Unternehmens als „Klimasünder“ im Rahmen eines Streiks idR wohl noch keine kreditschädigende Handlung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Äußerung ein sachliches Substrat aufweist und zB auf entsprechende Defizite im Unternehmen hingewiesen wird. Die Abgrenzung ist allerdings sensibel. Der OGH hat etwa einen Unterlassungsanspruch einer Fluglinie als AG im Hinblick auf eine Äußerung in einem an Kunden verteilten Flugblatt des BR, in dem die Flugsicherheit wegen Kosteneinsparungen angezweifelt wurde, als berechtigt angesehen.* Auch die Rechtfertigung des BR, es handle sich um eine Arbeitskampfmaßnahme, wurde verworfen, weil ein BR keine Streikmaßnahmen setzen dürfe. Offen geblieben ist, ob die Rechtslage bei einem zulässigen Streik anders zu beurteilen wäre.*

Auch wenn und insoweit man Boykottmaßnahmen als dem Grunde nach geschützt ansieht, wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei politischen Streiks hinsichtlich der Streikdauer enge Grenzen setzen. Es sind allenfalls kurze Aktionen zur Erhöhung der öffentlichen Aufmerksamkeit, die nur eine relativ 108

geringe Beeinträchtigung des/der AG zur Folge haben, als noch zulässige Boykottmaßnahme anzusehen. Das gilt natürlich nicht für allfällige Verwaltungsdelikte, sondern im Verhältnis zum/zur AG.

Fraglich ist noch, ob eine unverhältnismäßige und daher rechtswidrige Aktion dem Streik an sich, also der Gesamtaktion, zuzurechnen ist. Das hat vor allem Auswirkungen auf die Haftung. Die Streikorganisator:innen haften für rechtswidrige Streiks nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechts. Das beinhaltet auch Begleitmaßnahmen, wenn sie eingeplant oder bewusst in Kauf genommen werden.* Ist eine Aktion hingegen den Organisator:innen des Streiks nicht zurechenbar, weil sie nicht angekündigt von einzelnen Teilnehmer:innen durchgeführt wurde, haften nur die Ausführenden dem/der AG für allfällige Schäden.

5.
Zusammenfassung
  • Aufgrund von Art 28 GRC und vor allem der neueren Rsp des EGMR zu Art 11 EMRK ist von einem Streikrecht der AN und Gewerkschaften auszugehen, das Sanktionen bei rechtmäßigen Streiks untersagt. Die in Österreich vertretene Trennungstheorie ist damit obsolet.

  • Klimastreiks sind vom Streikrecht nur geschützt, wenn sie einen Bezug zu Arbeitsverhältnissen bzw Arbeitsbedingungen aufweisen, nicht hingegen, wenn es sich um allgemeine klimapolitische Aktionen handelt.

  • Wird ein/e AG bestreikt, um Klimaschutzmaßnahmen bzw eine nachhaltige Unternehmenspolitik durchzusetzen, ist der Streik rechtswidrig, wenn der Konnex zu Arbeitsbedingungen fehlt.

  • Klimapolitische Arbeitskämpfe, die die Beibehaltung oder Änderung von Gesetzen mit Bezug zu Arbeits- und Entgeltbedingungen fordern, sind vom Schutz der Koalitionsfreiheit erfasst, wenn sie sich gegen den Staat als AG richten. Werden private AG bestreikt, die die Streikforderungen nicht erfüllen können, kommt das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Tragen. Es sind daher idR nur kurze Warn- oder Demonstrationsstreiks zulässig, nicht aber länger dauernde Erzwingungsstreiks.

  • Ähnliches gilt für begleitende Boykottmaßnahmen, sofern sie nicht überschießend und damit sittenwidrig sind. Sie sind der Gesamtaktion nur dann zuzurechnen, wenn sie eingeplant oder bewusst in Kauf genommen werden. 109